Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand: Ein Schauspiel. Johann Wolfgang von Goethe
mich fast gesteinigt, wie er hцrte, ich sei ein Jurist.
Abt. Behьte Gott!
Olearius. Aber das kommt daher: Der Schцppenstuhl, der in groяem Ansehn weit umher steht, ist mit lauter Leuten besetzt, die der Rцmischen Rechte unkundig sind. Man glaubt, es sei genug, durch Alter und Erfahrung sich eine genaue Kenntnis des innern und дuяern Zustandes der Stadt zu erwerben. So werden, nach altem Herkommen und wenigen Statuten, die Bьrger und die Nachbarschaft gerichtet.
Abt. Das ist wohl gut.
Olearius. Aber lange nicht genug. Der Menschen Leben ist kurz, und in einer Generation kommen nicht alle Kasus vor. Eine Sammlung solcher Fдlle von vielen Jahrhunderten ist unser Gesetzbuch. Und dann ist der Wille und die Meinung der Menschen schwankend; dem deucht heute das recht, was der andere morgen miяbilliget; und so ist Verwirrung und Ungerechtigkeit unvermeidlich. Das alles bestimmen die Gesetze; und die Gesetze sind unverдnderlich.
Abt. Das ist freilich besser.
Olearius. Das erkennt der Pцbel nicht, der, so gierig er auf Neuigkeiten ist, das Neue hцchst verabscheuet, das ihn aus seinem Gleise leiten will, und wenn er sich noch so sehr dadurch verbessert.
Sie halten den Juristen so arg, als einen Verwirrer des Staats, einen Beutelschneider, und sind wie rasend, wenn einer dort sich niederzulassen gedenkt.
Liebetraut. Ihr seid von Frankfurt! Ich bin wohl da bekannt. Bei Kaiser Maximilians Krцnung haben wir Euern Brдutigams was vorgeschmaust. Euer Name ist Olearius? Ich kenne so niemanden.
Olearius. Mein Vater hieя цhlmann. Nur, den Miяstand auf dem Titel meiner lateinischen Schriften zu vermeiden, nenn ich mich, nach dem Beispiel und auf Anraten wьrdiger Rechtslehrer, Olearius.
Liebetraut. Ihr tatet wohl, daя Ihr Euch ьbersetztet. Ein Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande, es hдtt' Euch in Eurer Muttersprache auch so gehen kцnnen.
Olearius. Es war nicht darum.
Liebetraut. Alle Dinge haben ein paar Ursachen.
Abt. Ein Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande!
Liebetraut. Wiяt Ihr auch warum, hochwьrdiger Herr?
Abt. Weil er da geboren und erzogen ist.
Liebetraut. Wohl! Das mag die eine Ursache sein. Die andere ist:
Weil, bei einer nдheren Bekanntschaft mit den Herrn, der Nimbus von Ehrwьrdigkeit und Heiligkeit wegschwindet, den uns eine neblichte Ferne um sie herumlьgt; und dann sind sie ganz kleine Stьmpfchen Unschlitt.
Olearius. Es scheint, Ihr seid dazu bestellt, Wahrheiten, zu sagen.
Liebetraut. Weil ich 's Herz dazu hab, so fehlt mir's nicht am Maul.
Olearius. Aber doch an Geschicklichkeit, sie wohl anzubringen.
Liebetraut. Schrцpfkцpfe sind wohl angebracht, wo sie ziehen.
Olearius. Bader erkennt man an der Schьrze und nimmt in ihrem Amte ihnen nichts ьbel. Zur Vorsorge tдtet Ihr wohl, wenn Ihr eine Schellenkappe trьgt.
Liebetraut. Wo habt Ihr promoviert? Es ist nur zur Nachfrage, wenn mir einmal der Einfall kдme, daя ich gleich vor die rechte Schmiede ginge.
Olearius. Ihr seid verwegen.
Liebetraut. Und Ihr sehr breit.
(Bischof und Abt lachen.)
Bischof. Von was anders! – Nicht so hitzig, ihr Herrn. Bei Tisch geht alles drein – Einen andern Diskurs, Liebetraut!
Liebetraut. Gegen Frankfurt liegt ein Ding ьber, heiяt Sachsenhausen-Olearius (zum Bischof). Was spricht man vom Tьrkenzug, Ihro Fьrstliche Gnaden?
Bischof. Der Kaiser hat nichts Angelegners, als vorerst das Reich zu beruhigen, die Fehden abzuschaffen und das Ansehn der Gerichte zu befestigen. Dann, sagt man, wird er persцnlich gegen die Feinde des Reichs und der Christenheit ziehen. Jetzt machen ihm seine Privathдndel noch zu tun, und das Reich ist, trotz ein vierzig Landfrieden, noch immer eine Mцrdergrube. Franken, Schwaben, der Oberrhein und die angrenzenden Lдnder werden von ьbermьtigen und kьhnen Rittern verheeret. Sickingen, Selbitz mit einem Fuя, Berlichingen mit der eisernen Hand spotten in diesen Gegenden des kaiserlichen Ansehens-Abt. Ja, wenn Ihro Majestдt nicht bald dazu tun, so stecken einen die Kerl am End in Sack.
Liebetraut. Das mьяt ein Kerl sein, der das Weinfaя von Fuld in den Sack schieben wollte.
Bischof. Besonders ist der letzte seit vielen Jahren mein unversцhnlicher Feind, und molestiert mich unsдglich; aber es soll nicht lang mehr wдhren, hoff ich. Der Kaiser hдlt jetzt seinen Hof zu Augsburg. Wir haben unsere Maяregeln genommen, es kann uns nicht fehlen. – Herr Doktor, kennt Ihr Adelberten von Weislingen?
Olearius. Nein, Ihro Eminenz.
Bischof. Wenn Ihr die Ankunft dieses Mannes erwartet, werdet Ihr Euch freuen, den edelsten, verstдndigsten und angenehmsten Ritter in einer Person zu sehen.
Olearius. Es muя ein vortrefflicher Mann sein, der solche Lobeserhebungen aus solch einem Munde verdient.
Liebetraut. Er ist auf keiner Akademie gewesen.
Bischof. Das wissen wir. (Die Bedienten laufen ans Fenster.) Was gibt's?
Ein Bedienter. Eben reit Fдrber, Weislingens Knecht, zum Schloяtor herein.
Bischof. Seht, was er bringt, er wird ihn melden.
(Liebetraut geht. Sie stehn auf und trinken noch eins. – Liebetraut kommt zurьck.)
Bischof. Was fьr Nachrichten?
Liebetraut. Ich wollt, es mьяt sie Euch ein andrer sagen. Weislingen ist gefangen.
Bischof. Oh!
Liebetraut. Berlichingen hat ihn und drei Knechte bei Haslach weggenommen. Einer ist entronnen, Euch's anzusagen.
Abt. Eine Hiobspost.
Olearius. Es tut mir von Herzen leid.
Bischof. Ich will den Knecht sehn, bringt ihn herauf – Ich will ihn selbst sprechen. Bringt ihn in mein Kabinett. (Ab.)
Abt (setzt sich). Noch einen Schluck.
(Die Knechte schenken ein.)
Olearius. Belieben Ihro Hochwьrden nicht eine kleine Promenade in den Garten zu machen? Post coenam stabis seu passus mille meabis.
Liebetraut. Wahrhaftig, das Sitzen ist Ihnen nicht gesund. Sie kriegen noch einen Schlagfluя.
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