Gösta Berling: Erzählungen aus dem alten Wermland. Lagerlöf Selma
die stolze Erbin antwortete: »Ich wäre auch wohl ohne Gösta Berling nach Borg gekommen.«
»Es ist doch eigentlich schade um dich, Anna,« sagte Gösta nachdenklich, »daß du weder Vater noch Mutter hast. Nun bist du, wie du bist, und man darf es nicht so genau mit dir nehmen.«
»Es ist weit mehr schade, daß du das nicht früher gesagt hast, dann hätte mich ein anderer fahren können.«
»Die Pfarrerin denkt wie ich, daß du eines Mannes bedarfst, der dir zugleich den Vater ersetzen kann, sonst hätte sie dich wohl nicht mit so einer alten Kracke eingespannt.«
»Die Pfarrerin hat nichts damit zu tun.«
»Großer Gott, hast du selber dir den schönen Mann ausgesucht?«
»Der nimmt mich wenigstens nicht des Geldes wegen.«
»Nein, die alten sehen nur auf blaue Augen und rote Wangen, und Narren sind sie, daß sie das tun.«
»Ach, Gösta, du solltest dich schämen!«
»Bedenke aber, daß du fortan nicht mehr mit den jungen Männern spielen darfst. Mit Tanz und Spiel ists nun vorbei. Du gehörst in die Sofaecke – oder vielleicht ziehst du es vor, eine Partie Rabouge mit dem alten Dahlberg zu spielen?«
Dann saßen sie stumm da, bis sie die steilen Hügel bei Borg hinanfuhren.
»Ich danke dir für die gütige Beförderung. Es soll nicht sobald wieder geschehen, daß ich mit Gösta Berling fahre!«
»Danke bestens! Ich kenne mehr als einen, der es bereut hat, mit dir zum Fest gefahren zu sein.«
Ein wenig milder als sonst trat die trotzige Schöne in den Tanzsaal und überschaute die versammelten Gäste.
Zu allererst erblickte sie den kleinen, kahlköpfigen Dahlberg neben dem hohen, schlanken, blondlockigen Gösta Berling. Sie hatte die größte Lust, sie beide zur Tür hinauszujagen. Ihr Verlobter kam, um sie zum Tanz aufzufordern, aber sie empfing ihn mit höhnischem Staunen.
»Willst du tanzen? Seit wann pflegst du zu tanzen?«
Und die jungen Mädchen kamen, um sie zu beglückwünschen.
»Verstellt euch doch nicht, Kinder! Ihr glaubt doch unmöglich, daß man sich in den alten Dahlberg verlieben kann? Aber er ist reich, und ich bin reich, deswegen passen wir zueinander.«
Die alten Damen kamen auf sie zu, drückten ihr die weiße Hand und sprachen von dem höchsten Glück des Lebens.
»Gratuliert der Pfarrerin,« erwiderte sie, »die freut sich mehr darüber als ich.«
Aber dort stand Gösta Berling, der muntere Kavalier, mit Jubel begrüßt ob seines frischen Lachens und seiner schönen Worte, die Goldstaub über das graue Einerlei des Lebens streuten. Nie zuvor hatte sie ihn so gesehen wie an diesem Abend. Er war kein Verstoßener, kein Verworfener, kein heimatloser Spaßmacher, nein, ein König war er unter Männern, ein geborener König.
Er und die andern jungen Männer verschworen sich gegen sie. Sie sollte Muße haben, darüber nachzudenken, wie übel sie daran getan, daß sie sich mit ihrem schönen Gesicht und ihrem großen Reichtum an einen alten Mann weggeworfen hatte. Und sie ließen sie zehn Tänze hindurch sitzen.
Ihr Blut kochte vor Zorn.
Als der elfte Tanz begann, kam ein Mann, der Geringste unter den Geringen, einer, mit dem niemand tanzen wollte, und forderte sie auf.
»Das Bier ist getrunken, jetzt kommt die Bärme«, sagte sie.
Dann spielte man Pfänderspiele. Blondlockige junge Mädchen steckten die Köpfe zusammen und verurteilten sie, den zu küssen, der ihr der liebste sei. Und lächelnden Mundes warteten sie auf das Schauspiel, wie die stolze Schöne den alten Dahlberg küssen würde. Sie aber erhob sich stolz in ihrem Zorn und sagte: »Darf ich nicht lieber demjenigen eine Ohrfeige geben, den ich am wenigsten leiden kann?«
Einen Augenblick später brannte Göstas Wange unter ihrer festen Hand. Er wurde dunkelrot, ergriff ihre Hand, hielt sie eine Sekunde fest und flüsterte: »Warte in einer halben Stunde im roten Saal unten auf mich!«
Seine blauen Augen strahlten auf sie herab und umschlossen sie mit magischen Banden. Sie fühlte, daß sie gehorchen mußte.
Dort unten empfing sie ihn mit Stolz und bösen Worten.
»Was geht es Gösta Berling an, mit wem ich mich verheirate?«
Er hatte noch keine freundlichen Worte auf der Zunge, auch erschien es ihm noch nicht ratsam, gleich von Ferdinand zu reden.
»Ich meine nicht, daß die Strafe, dich zehn Tänze über sitzen zu lassen, zu groß war. Aber du willst die Freiheit haben, ungestraft Eidschwüre und Versprechungen zu brechen. Hätte ein besserer Mann als ich das Strafgericht in die Hand genommen, so hätte er es härter handhaben können.«
»Was habe ich dir und euch allen getan, daß ihr mich nicht in Frieden lassen könnt? Nur des Geldes wegen verfolgt ihr mich. Ich will es in den Löfsee werfen, mag es da auffischen, wer Lust hat.«
Sie barg ihr Antlitz in den Händen und weinte vor Zorn.
Da ward das Herz des Poeten gerührt. Er schämte sich seiner Härte. Seine Stimme ward zärtlich.
»Ach, Kind, Kind, verzeih mir! Verzeih dem armen Gösta Berling! Niemand kehrt sich daran, was so ein Lump sagt oder tut, das weißt du ja. Niemand weint über seinen Zorn; man könnte ebensowohl über den Stich einer Mücke weinen. Es war Wahnsinn – aber ich wollte es verhindern, daß sich unser schönstes und reichstes Mädchen mit dem Alten verheiratete. Und nun habe ich nichts erreicht, als dich zu betrüben.«
Er setzte sich neben sie ins Sofa. Leise legte er seinen Arm um ihre Taille, um sie mit zärtlicher Fürsorge zu stützen und aufzurichten. Sie entzog sich ihm nicht. Sie schmiegte sich an ihn, schlang ihre Arme um seinen Hals und weinte, ihr schönes Haupt an seine Schulter gelehnt.
Ach, Poet, du Stärkster und Schwächster unter den Menschen! Nicht an deinem Halse sollten diese weißen Arme ruhen!
»Wenn ich dies gewußt hätte, so würde ich niemals den Alten genommen haben, heute abend erst habe ich dich kennen gelernt, niemand ist wie du!«
Zwischen bleichen Lippen aber drängte Gösta ein Wort hervor: »Ferdinand!«
Sie brachte ihn mit einem Kuß zum Schweigen.
»Er ist nichts! Niemand außer dir ist etwas. Dir will ich treu sein!«
»Ich bin Gösta Berling,« erwiderte er finster, »mit mir kannst du dich nicht verheiraten.«
»Dich liebe ich, dich, den ersten unter allen Männern! Du brauchst nichts zu tun, nichts zu sein. Du bist ein geborener König.«
Da wallte das Blut des Poeten auf. Sie war schön und liebreizend in ihrer Liebe. Er schloß sie in seine Arme.
»Wenn du die Meine werden willst, kannst du nicht auf dem Pfarrhof bleiben. Laß mich dich diese Nacht nach Ekeby fahren, dort werde ich dich schon zu verteidigen wissen, bis wir Hochzeit halten können.«
Es ward eine berauschende Fahrt in jener Nacht. Sie beugten sich dem Gebot der Liebe und ließen sich von Don Juan entführen. Es war, als wenn das Knirschen des Schnees unter den Schlittenkufen die Klage des Betrogenen sei. Was kehrten sie sich daran? Sie hing an seinem Halse, und er beugte sich zu ihr hinab und flüsterte ihr ins Ohr: »Kann sich eine Seligkeit mit gestohlenem Glück vergleichen?«
Das Aufgebot – was hatte das zu bedeuten? Sie hatten Liebe. Und der Zorn der Menschen? Gösta Berling glaubte an das Schicksal. Das Schicksal hatte sie bezwungen, gegen das Schicksal kann niemand streiten. Wären die Sterne Hochzeitslichter gewesen, die zu ihrer Hochzeit angezündet waren, wären Don Juans Schellen Kirchenglocken gewesen, die die Leute zu ihrer Hochzeit mit dem alten Dahlberg zusammenriefen – sie hätte dennoch mit Gösta Berling fliehen müssen. So mächtig ist das Schicksal! –
Sie waren glücklich und wohlbehalten am Pfarrhof zu Munkerud vorübergekommen. Sie hatten noch eine halbe Meile bis Berga und eine zweite halbe Meile bis Ekeby zurückzulegen. Der Weg führte