Gösta Berling: Erzählungen aus dem alten Wermland. Lagerlöf Selma
seinem weißschäumenden Wasserfall das Ufer hinabstürzt, lag ein Sägewerk oder eine Mühle.
Auf den offenen, hellen Stellen, wo die Ebene bis an den See hinabging, lagen Kirchen und Pfarrhäuser; aber am Talrande, halbwegs am Abhang, auf den mit Steinen angefüllten Feldern, wo kein Korn gedeiht, lagen die Gehöfte der Bauern, die Offiziershäuser und hin und wieder ein Herrensitz.
Aber man darf nicht vergessen, daß die Gegend in den zwanziger Jahren lange nicht so angebaut war wie jetzt. Große Strecken, die heute fruchtbare Felder tragen, lagen damals als Wald, Sumpf und See da. Die Bevölkerung war auch nicht so zahlreich und ernährte sich teils durch Fuhren, teils durch Arbeit in Mühlen und Sägewerken und an fremden Orten; der Ackerbau konnte ihnen das Leben nicht fristen. Zu jener Zeit kleideten sich die Bewohner der Ebene in selbstgewebte Stoffe, sie aßen Haferbrot und begnügten sich mit zwölf Schilling Tagelohn. Die Not war oft groß unter ihnen; aber sie wurde gemildert durch einen leichten und munteren Sinn, durch Tüchtigkeit, Handgeschicklichkeit, die namentlich an fremden Orten zur Entfaltung gelangten.
Aber alle diese drei, der lange See, die reiche Ebene und die blauen Berge, bildeten die schönste Landschaft, und das tun sie noch heutigen Tages, und das Volk ist noch heute kräftig, mutig und gut begabt. Jetzt hat es auch große Fortschritte in bezug auf Wohlstand und Bildung gemacht.
Möge es denen gut ergehen, die dort oben an dem langen See und an den blauen Bergen wohnen! Was ich hier schildern will, sind einige von ihren Erinnerungen.
Die Christnacht
Sintram heißt der böse Gutsherr auf Fors, mit dem schwerfälligen Körper, den langen Affenarmen, dem kahlen Kopf und dem häßlichen, grinsenden Gesicht, der nichts Schöneres kennt als Unfrieden stiften.
Sintram heißt er, der nur Landstreicher und Raufbolde als Knechte annimmt, der nur keifende, verlogene Mägde in seinem Dienst hat, er, der die Hunde bis zur Raserei quält, indem er ihnen Knopfnadeln in die Schnauze steckt, der sich am glücklichsten zwischen bösen Menschen und wilden Tieren fühlt.
Sintram heißt er, dessen schönstes Vergnügen es ist, sich wie der leibhaftige Teufel auszukleiden mit Hörnern und Schwanz und Pferdefuß, und der dann plötzlich aus den dunklen Ecken, aus dem Backofen oder hinter dem Holzschober hervorstürzt, um furchtsame Kinder und abergläubische Frauen zu erschrecken.
Sintram heißt er, der sich freut, wenn er alte Freundschaft in flammenden Haß verwandeln und die Herzen mit Lügen vergiften kann.
Sintram heißt er – und eines Tages kam er nach Ekeby.
»Zieht den großen Brennholzschlitten in die Schmiede, stellt ihn in die Mitte des Raumes, legt einen Karren darüber, den Boden nach oben gewendet, dann haben wir einen Tisch. Hurra, der Tisch soll leben!
»Jetzt herbei mit Stühlen und mit allem, was sich zum Sitzen benutzen läßt! Herbei mit dreibeinigen Schusterhockern und leeren Kisten! Herbei mit zerfetzten Lehnstühlen ohne Lehne, und her mit dem alten Einspännerschlitten ohne Kufen und mit der alten Karosse! Ha, ha! her mit der alten Karosse! Das soll die Rednertribüne sein. Nein, seht nur, das eine Rad ist ab, und der ganze Wagenkasten fehlt! Es ist nichts als der Bock übriggeblieben. Das Polster ist zerfetzt, die Krollhaare quellen daraus hervor, das Leder ist rot von Alter. Hoch wie ein Haus ist das alte Stück Rumpelzeug. Stoßt, stoßt, sonst stürzt es um!«
Hurra! Hurra! Es ist Christnacht auf Ekeby!
Hinter den seidenen Gardinen des Doppelbettes schlafen der Major und die Majorin, schlafen und glauben, daß auch der Kavalierflügel schläft. Knechte und Mägde können schlafen, übersättigt von dem festlichen Reisbrei, müde von dem starken Weihnachtsbier, nicht aber die Herren im Kavalierflügel. Kann überhaupt jemand glauben, daß der Kavalierflügel schläft?
Keine barfüßigen Schmiede rasseln mit den eisernen Stangen, keine rußgeschwärzten Knaben ziehen die Kohlenkarren hinter sich her, der große Hammer hängt wie ein Arm mit geballter Faust oben unterm Dach. Der Amboß steht leer, die Öfen sperren ihren roten Schlund nicht auf, um Kohlen zu verschlingen, die Bälge knirschen nicht. Es ist Weihnacht. Die Schmiede schläft.
Sie schläft, schläft! O du Menschenkind, sie schläft, wenn die Kavaliere wachen! Die langen Zangen stehen aufrecht auf dem Fußboden, halten Talglichter in ihrem Schnabel. Aus dem Zehnkannenkessel aus blankem Kupfer schlägt die blaue Flamme des Punsches zu dem dunklen Dach empor.
Beerencreutz’ Hornlaterne hängt an dem Stangeneisenhammer. Der gelbe Punsch schimmert in der Bowle wie die helle Sonne. Hier ist ein Tisch, und hier sind Bänke. Die Kavaliere feiern Weihnachten in der Schmiede.
Hier ist Lärm und Lustigkeit und Musik und Gesang. Das mitternächtliche Getöse weckt niemand. Aller Lärm, alles Geräusch aus der Schmiede ertrinkt in dem mächtigen Brausen des Gießbaches da draußen.
Da ist Lärm und Lustigkeit. Wenn die Frau Majorin sie jetzt sähe?
Nun, was dann? Sie würde sich sicher bei ihnen niederlassen und einen Becher mit ihnen leeren. Eine tüchtige Frau ist sie, sie läuft nicht davon vor einem donnernden Trinkliede, vor einem Spiel Rabouge. Die reichste Frau in ganz Wermland, barsch wie ein Kerl und stolz wie eine Königin. Gesang liebt sie, gellende Waldhörner und Violinen. Wein und Spiel hat sie gern und lange Tische, umringt von fröhlichen Gästen. Sie sieht es gern, wenn die Vorräte schwinden, wenn Tanz und Lustbarkeit in Kammer und Saal herrschen und der Kavalierflügel voller Kavaliere ist!
Seht sie dort rings im Kreise um die Bowle sitzen, Kavalier an Kavalier! Es sind ihrer zwölf, zwölf Männer! Keine Eintagsfliegen, keine Modehelden, sondern Männer, deren Ruf erst spät in Wermland ersterben wird, mutige Männer, starke Männer!
Keine dürren Pergamente, keine zugeschnürten Geldbeutel, sondern arme Männer, sorglose Männer, Kavaliere vom Morgen bis zum Abend.
Keine Hängeweiden, keine schläfrigen Stubenhocker, wegefahrende Männer, fröhliche Männer, Ritter von tausend Abenteuern.
– Jetzt hat der Kavalierflügel schon seit Jahren leer gestanden. Ekeby ist kein Zufluchtsort für heimatlose Kavaliere mehr. Pensionierte Offiziere und arme Edelleute fahren nicht mehr in wackeligen Gefährten auf den Landstraßen Wermlands umher; hier aber sollen sie wieder auferstehen, die Fröhlichen, Sorglosen, die ewig Jungen!
Alle diese weitberühmten Männer konnten ein oder mehrere Instrumente spielen. Alle sind sie so voller Eigenheiten, voller Redensarten, Einfälle und Lieder wie der Ameishaufen voller Ameisen, aber ein jeder von ihnen hat doch seine besondere vorzügliche Eigenschaft, seine hochgeschätzte Kavaliertugend, die ihn von den übrigen unterscheidet.
Zuerst von alle denen, die um die Bowle herumsitzen, will ich Beerencreutz nennen, den Obersten mit dem großen weißen Schnurrbart, den Rabougespieler, den Bellman-Sänger, und neben ihm seinen Freund und Kriegskameraden, den wortkargen Major, den großen Bärenjäger Anders Fuchs, und als dritten im Bunde den kleinen Ruster, den Trommelschläger, der lange Bursche des Obersten gewesen war, aber infolge seiner Geschicklichkeit im Punschbrauen und im Generalbaß Kavalierrang erhalten hatte. Dann muß der alte Fähnrich, Rutger von Örneclou, erwähnt werden, der Herzenbrecher in Perücke, steifer Halsbinde und Jabot, der geschminkt war wie eine Frau. Er war einer der hervorragendsten Kavaliere, und das war auch Christian Bergh, der starke Hauptmann, ein gewaltiger Held, aber ebenso leicht an der Nase herumzuführen wie der Riese im Märchen. In Gesellschaft dieser beiden sah man oft den kleinen, kugelrunden Patron Julius, fröhlich und munter, ein heller Kopf, Redner, Maler, Liedersänger und Anekdotenerzähler. Er ließ seine gute Laune gewöhnlich über den gichtbrüchigen Fähnrich und den dummen Riesen aus.
Hier sah man auch den großen Deutschen Kevenhüller, den Erfinder des selbsttätigen Wagens und der Flugmaschine, ihn, dessen Name noch in den sausenden Wäldern widerhallt. Ein Ritter war er von Geburt wie von Gestalt, mit großem, gedrehtem Schnurrbart, spitzem Kinnbart, Adlernase und kleinen schiefen Augen in einem Netz sich kräuselnder Falten. Hier saß der große Kriegsheld, Vetter Kristoffer, der nie aus den vier Wänden des Kavalierflügels herauskam, es sei denn, daß eine Bärenjagd oder sonst ein verwegenes Abenteuer in Aussicht war; und neben ihm Onkel Eberhard, der Philosoph, der nicht des Scherzes und der Lustbarkeit halber nach Ekeby gezogen war, sondern um ungestört von Nahrungssorgen