Unterm Birnbaum. Theodor Fontane

Unterm Birnbaum - Theodor Fontane


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Zeugreste kamen zu Tage, zerschlissen und gebräunt, aber immer noch farbig und wohlerhalten genug, um erkennen zu lassen, daß es ein Soldat gewesen sein müsse.

      Wie kam der hierher?

      Hradscheck stützte sich auf die Krücke seines Grabscheits und überlegte. »Soll ich es zur Anzeige bringen? Nein. Es macht blos Geklätsch. Und Keiner mag einkehren, wo man einen Todten unterm Birnbaum gefunden hat. Also besser nicht. Er kann hier weiter liegen.«

      Und damit warf er den Armknochen, den er ausgegraben, in die Grube zurück und schüttete diese wieder zu. Während dieses Zuschüttens aber hing er all jenen Gedanken und Vorstellungen nach, wie sie seit Wochen ihm immer häufiger kamen. Kamen und gingen. Heut aber gingen sie nicht, sondern wurden Pläne, die Besitz von ihm nahmen und ihn, ihm selbst zum Trotz, an die Stelle bannten, auf der er stand. Was er hier zu thun hatte, war gethan, es gab nichts mehr zu graben und zu schütten, aber immer noch hielt er das Grabscheit in der Hand und sah sich um, als ob er bei böser That ertappt worden wäre. Und fast war es so. Denn unheimlich verzerrte Gestalten (und eine davon er selbst) umdrängten ihn so faßbar und leibhaftig, daß er sich wohl fragen durfte, ob nicht Andere da wären, die diese Gestalten auch sähen. Und er lugte wirklich nach der Zaunstelle hinüber. Gott sei Dank, die Jeschke war nicht da. Aber freilich, wenn sie sich unsichtbar machen und sogar Todte sehen konnte, Todte, die noch nicht todt waren, warum sollte sie nicht die Gestalten sehn, die jetzt vor seiner Seele standen? Ein Grauen überlief ihn, nicht vor der That, nein, aber bei dem Gedanken, daß das, was erst That werden sollte, vielleicht in diesem Augenblicke schon erkannt und verrathen war. Er zitterte, bis er, sich plötzlich aufraffend, den Spaten wieder in den Boden stieß.

      »Unsinn. Ein dummes altes Weib, das gerade klug genug ist, noch Dümmere hinter’s Licht zu führen. Aber ich will mich ihrer schon wehren, ihrer und ihrer ganzen Todtenkuckerei. Was ist es denn? Nichts. Sie sieht einen Sarg an der Thür stehn, und dann stirbt Einer. Ja, sie sagt es, aber sagt es immer erst, wenn Einer todt ist oder keinen Athem mehr hat oder das Wasser ihm schon an’s Herz stößt. Ja, dann kann ich auch prophezeihn. Alte Hexe, Du sollst mir nicht weiter Sorge machen. Aber Ursel! Wie bring’ ich’s der bei? Da liegt der Stein. Und wissen muß sie’s. Es müssen zwei sein …«

      Und er schwieg. Bald aber fuhr er entschlossen fort: »Ah, bah, es wird sich finden, weil sich’s finden muß. Noth kennt kein Gebot. Und was sagte sie neulich, als ich das Gespräch mit ihr hatte? ›Nur nicht arm sein … Armuth ist das Schlimmste.‹ Daran halt’ ich sie; damit zwing’ ich sie. Sie muß wollen.«

      Und so sprechend, ging er, das Grabscheit gewehrüber nehmend, wieder auf das Haus zu.

      III

      Als Hradscheck bis an den Schwellstein gekommen war, nahm er das Grabscheit von der Schulter, lehnte die Krücke gegen das am Hause sich hinziehende Weinspalier und wusch sich die Hände, saubrer Mann der er war, in einem Kübel, drin die Dachtraufe mündete. Danach trat er in den Flur und ging auf sein Wohnzimmer zu.

      Hier traf er Ursel. Diese saß vor einem Nähtisch am Fenster und war, trotz der frühen Stunde, schon wieder in Toilette, ja noch sorglicher und geputzter als an dem Tage, wo sie die Kränze für die Kinder geflochten hatte. Das hochanschließende Kleid, das sie trug, war auch heute schlicht und dunkelfarbig (sie wußte, daß Schwarz sie kleidete), der blanke Ledergürtel aber wurde durch eine Bronzeschnalle von auffälliger Größe zusammengehalten, während in ihren Ohrringen lange birnenförmige Bummeln von venetianischer Perlenmasse hingen. Sie wirkten anspruchsvoll und störten mehr als sie schmückten. Aber für dergleichen gebrach es ihr an Wahrnehmung, wie denn auch der mit Schildpatt ausgelegte Nähtisch, trotz all seiner Eleganz, zu den beiden hellblauen Atlas-Sophas nicht recht passen wollte. Noch weniger zu dem weißen Trumeau. Links neben ihr, auf dem Fensterbrett, stand ein Arbeitskästchen, darin sie, gerade als Hradscheck eintrat, nach einem Faden suchte. Sie ließ sich dabei nicht stören und sah erst auf, als der Eintretende, halb scherzhaft, aber doch mit einem Anfluge von Tadel sagte: »Nun, Ursel, schon in Staat? Und nichts zu thun mehr in der Küche?«

      »Weil es fertig werden muß.«

      »Was?«

      »Das hier.« Und dabei hielt sie Hradscheck ein Sammtkäpsel hin, an dem sie gerade nähte. »Wenig mit Liebe.«

      »Für mich?«

      »Nein. Dazu bist Du nicht fromm und, was Du lieber hören wirst, auch nicht alt genug.«

      »Also für den Pastor?«

      »Gerathen.«

      »Für den Pastor. Nun gut. Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, und die Freundschaft mit einem Pastor kann man doppelt brauchen. Es giebt einem solch Ansehen. Und ich habe mir auch vorgenommen, ihn wieder öfter zu besuchen und mit Ede Sonntags umschichtig in die Kirche zu gehen.«

      »Das thu nur; er hat sich schon gewundert.«

      »Und hat auch Recht. Denn ich bin ihm eigentlich verschuldet. Und ist noch dazu der Einzige, dem ich gern verschuldet bin. Ja, Du siehst mich an, Ursel. Aber es ist so. Hat er Dich nicht auf den rechten Weg gebracht? Sage selbst. Wenn Eccelius nicht war, so stecktest Du noch in dem alten Unsinn.«

      »Sprich nicht so. Was weißt Du davon? Ihr habt ja gar keine Religion. Und Eccelius eigentlich auch nicht. Aber er ist ein guter Mann, eine Seele von Mann, und meint es gut mit mir und aller Welt. Und hat mir zum Herzen gesprochen.«

      »Ja, das versteht er; das hat er in der Loge gelernt. Er rührt einen zu Thränen. Und nun gar erst die Weiber.«

      »Und dann halt’ ich zu ihm,« fuhr Ursel fort, ohne der Unterbrechung zu achten, »weil er ein gebildeter Mann ist. Ein guter Mann, und ein gebildeter Mann. Und offen gestanden, daran bin ich gewöhnt.«

      Hradscheck lachte. »Gebildet, Ursel, das ist Dein drittes Wort. Ich weiß schon. Und dann kommt der Göttinger Student, der Dir einen Ring geschenkt hat, als Du vierzehn Jahr alt warst (er wird wohl nicht echt gewesen sein), und dann kommt vieles nicht oder doch manches nicht … verfärbe Dich nur nicht gleich wieder … und zuletzt kommt der Hildesheimer Bischof. Das ist Dein höchster Trumpf, und was Vornehmeres giebt es in der ganzen Welt nicht. Ich weiß es seit lange. Vornehm, vornehm. Ach, ich rede nicht gern davon, aber Deine Vornehmheit ist mir theuer zu stehn gekommen.«

      Ursel legte das Sammtkäpsel aus der Hand, steckte die Nadel hinein und sagte, während sie sich mit halber Wendung von ihm ab und dem Fenster zukehrte: »Höre, Hradscheck, wenn Du gute Tage mit mir haben willst, so sprich nicht so. Hast Du Sorgen, so will ich sie mittragen, aber Du darfst mich nicht dafür verantwortlich machen, daß sie da sind. Was ich Dir hundert Mal gesagt habe, das muß ich Dir wieder sagen. Du bist kein guter Kaufmann, denn Du hast das Kaufmännische nicht gelernt, und Du bist kein guter Wirth, denn Du spielst schlecht oder doch nicht mit Glück und trinkst nebenher Deinen eigenen Wein aus. Und was da nach drüben geht, nach Neu-Lewin hin, oder wenigstens gegangen ist (und dabei wies sie mit der Hand nach dem Nachbardorfe), davon will ich nicht reden, schon gar nicht, schon lange nicht. Aber das darf ich Dir sagen, Hradscheck, so steht es mit Dir. Und anstatt Dich zu Deinem Unrecht zu bekennen, sprichst Du von meinen Kindereien und von dem hochwürdigen Bischof, dem Du nicht werth bist die Schuhriemen zu lösen. Und wirfst mir dabei meine Bildung vor.«

      »Nein, Ursel.«

      »Oder daß ich’s ein bischen hübsch oder, wie Du sagst, vornehm haben möchte.«

      »Ja, das.«

      »Also doch. Nun aber sage mir, was hab’ ich gethan? Ich habe mich in den ersten Jahren eingeschränkt und in der Küche gestanden und gebacken und gebraten, und des Nachts an der Wiege gesessen. Ich bin nicht aus dem Haus gekommen, so daß die Leute darüber geredet haben, die dumme Gans draußen in der Ölmühle natürlich an der Spitze (Du hast es mir selbst erzählt), und habe jeden Abend vor einem leeren Kleiderschrank gestanden und die hölzernen Riegel gezählt. Und so sieben Jahre, bis die Kinder starben, und erst als sie todt waren und ich nichts hatte, daran ich mein Herz hängen konnte, da hab’ ich gedacht, nun gut, nun will ich es wenigstens hübsch haben und eine Kaufmannsfrau sein, so wie man sich in meiner Gegend eine Kaufmannsfrau vorstellt. Und als dann der Konkurs auf Schloß Hoppenrade kam, da hab’ ich Dich gebeten, dies Bischen hier anzuschaffen, und das hast Du gethan und


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