Briefe Schillers und Goethes an A. W. Schlegel. Friedrich von Schiller
diesem Aufsatz zu finden. Der Gehalt kämpfte noch in seinen Arbeiten zu sehr mit der Form und es fehlte an Leichtigkeit und Licht. Aber es ist sehr viel Realität in ihm, und siegt er in diesem Kampf, so ist in ihm ein vortreflicher Schriftsteller zu erwarten.
Sie urtheilen von dem Voßischen Almanach günstiger, als ich biß jetzt vermag. Ich weiss schlechterdings nicht, wie ich die Härte und Undeutschheit seiner Sprache (ich begehe selbst eine, indem ich davon spreche) bey so vieler Trivialität, oft Plattitüde des Gedankens entschuldigen soll. Wenn es ja so schwer ist, ein edles Gefühl, einen gehaltreichen Gedanken leicht und schön auszudrücken, so sollte wenigstens das Gemeine angenehm klingen, und das rauhklingende den Geist durch Gehalt entschädigen. Doch das sey unter uns gesagt!
Leben Sie recht wohl. Hier das neue Stück der Horen. Das Eilfte oder Zwölfte wird Ihre Briefe enthalten.
Sie erhalten hier, mein vortreflicher Freund, das Eilfte Stück, worinn der Anfang Ihrer Briefe abgedruckt ist. Die Fortsetzung bringe ich im ersten Stück des neuen Jahrganges nach, da ich einen sehr bogenreichen historischen Aufsatz im XII. Stück nicht habe abbrechen dürfen. Diese Fortsetzung hat mich sehr interessiert und auf das Ganze noch begieriger gemacht. Das nüchterne Anschließen an die Natur und daß Sie überal lieber eine physische Nothwendigkeit als einen Akt der Freyheit und des Verstandes zur Quelle des Rhythmus machen wollen, erweckt Ihren Behauptungen ein großes Vertrauen, und wird durch eine sehr allgemeine und durchgreifende Analogie unterstützt. Nichts desto weniger gestehe ich, daß ich Ihre Erklärungsart doch ein wenig zu physiologisch finde, denn so gewiss ich glaube, daß man alles was der Mensch in jener GeistesEpoche thut, und was er besonders in so verschiedenen Lagen auf gleiche Weise thut, zugleich aus physischen Gründen deducieren muss, so glaube ich doch daß immer zugleich auf die Wirkung seiner Selbstthätigkeit muss Rücksicht genommen werden. Mir däucht, sobald seine Persönlichkeit sich zu deklarieren angefangen und die Reflexion eingetreten ist, so entstehen gleich nothwendige Foderungen aus seiner selbstständigen und moralischen Natur, und eine von diesen scheint mir auch das Zeitmaaß in seinen Bewegungen zu seyn; es ist das Beharrliche im Wechsel, und eben das ist der Charakter seiner Selbstheit, die sich in dieser Erscheinung ausdrückt. Meine Idee wäre also diese, daß man in Erklärung so früher und so allgemein und gleichförmigeintretender Phænomene, auf den ganzen Menschen, also den moralischen wie den physischen, Rücksicht nehmen sollte, und hierinn die Analogie auf seiner Seite hat, welche lehrt, daß überal wo die Natur rein wirket, die Bedürfniße der Sinnlichkeit den Foderungen der Vernünftigkeit begegnen. Dafür aber bin ich sehr, daß der Verstand als das Vermögen deutlicher Begriffe an diesem Geschäft schlechterdings keinen Antheil hat. Es ist eine doppelte Nothwendigkeit der physischen und moralischen Natur, aber kein Werk der Freyheit, keine absichtliche Handlung. Der Verstand wird hier, wie auch bey der Schönheit, übersprungen, indem die Vernunft sich, wie instinktmäßig, äußert, und, wie bey der dichterischen Einbildungskraft, mit der Sinnlichkeit unmittelbar verbunden wirket.
Von Schütz werden Sie in dieser Zeit wohl Antwort erhalten haben. Er hat sich, und zwar sehr gegen meinen Wunsch entschloßen, die Horen selbst zu recensieren; ein Geschäft, dem er bey der jetzigen Beschaffenheit seines Körpers und Geistes schwerlich gewachsen ist. Da ich aber dabey interressiert bin, so konnte und wollte ich seinen Entschluß nicht genieren.
Ihre Idee, Elegien von Properz für die Horen zu übersetzen, ist schon vor langer Zeit realisiert. Ein Herr von Knebel in Weimar hat den Versuch schon seit mehreren Jahren gemacht, und obgleich er nur Dilettant ist, mit nicht gemeinem Glücke ausgeführt. Göthe und Herder, in deren Umgang er beständig lebt, haben seine Muße gepflegt und gewartet, und da er selbst einen ziemlich feinen Sinn hat, sich in eine fremde Manier hineinzustudieren, so hat er sich des Römers ganz gut bemächtigt. Zwanzig und einige Elegien sind bereits übersetzt, von Göthen überarbeitet, von uns allen bekritelt und der Anfang davon erscheint in dem Ersten Horenstücke 1796.
Was Sie über Condorcets Schrift niederschreiben wollen, soll mir sehr willkommen seyn. Er scheint mir ein solcher Autor, bey dem man bloß durch das was er hätte denken und sagen sollen und nicht gesagt hat, sehr viel Ehre einlegen kann. Diese Herren nehmen es etwas leicht, und es ist nicht schwer kühn einherzujagen, wenn man keine große Fracht geladen hat. Uebrigens macht diese Schrift jetzt viel Aufsehen, bey einzelnen ein gewaltiges Glück, und ein Aufsatz der sich darauf bezieht wird begierig gelesen werden.
Warum können Sie nicht hier in Jena bey uns leben? Dieß sollte mir große Freude seyn. Das Gespräch würde so manches rege machen, was eine schriftliche Communication nicht berüht.
Erfreuen Sie mich sobald Sie können wieder mit einem Produkte Ihres Geistes. Ganz der Ihrige
Gestern endlich, mein vortreflicher Freund bekam ich Ihre Recension zu Gesichte, und ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, daß Sie mich, insofern entweder ich selbst oder mein Journal dabey interessiert sind, mehr als befriedigt hat. Aber auch ohne alle diese Privatrücksichten erfreute mich die schöne Verbindung poetischer Wärme mit kritischer Kälte, welche darinn herrscht, und ohne welche ich keinen Kunstrichter anerkennen kann. Es ist zu umständlich und ich bin heute auch zu sehr überhäuft, um in ein ordentliches Detail davon einzugehen; selbst die zwey Fragen, welche Sie in Beziehung auf mich anregten
1. Ob eine poetische Unternehmung wie das Reich der Schatten überhaupt zu vertheidigen sey?
2. Ob der dichterische Geist den ganzen Weg strenger Wißenschaft gehen müsse und dürfe?
muss ich für heute dahingestellt seyn lassen. Vielleicht antwortet Ihnen die hier folgende Abhandlung über sentimentalische Dichter auf die zweyte dieser Fragen. Was meine eigne Erfahrung anbetrifft, so fehlt zwar sehr viel daran, daß ich den Weg der Wißenschaft völlig zurückgelegt hätte; aber was ich davon zurücklegte, hat mich auf dem poetischen Wege eher gefördert als von demselben entfernt: wenigstens muss ich dasjenige, was ich nach dieser Epoche der Speculation und während derselben gedichtet habe, auch in poetischer Rücksicht für beßer halten, als was ich vor derselben ausgeführt habe. Alle poetischen Stücke aber, die Sie in dem Almanach und in den Horen von mir lesen, sind spätere Produkte und alle erst vom Junius des vorigen Jahrs biß zum September entstanden.
Ihre Erinnerungen, die Metrik in meinem und Göthens Gedichten betreffend finde ich, in den mehresten Punkten, sehr richtig; nur in wenigen Kleinigkeiten sind wir verschiedener Meinung. So ist der halbe Pentameter:
freilich kein guter Vers, aber Die als relativum muß offenbar lang seyn. Das Zeitwort in dem halben Pentameter:
wird dadurch entschieden kurz, daß auf Dir ein doppelter Accent liegt. Es wäre ganz unmöglich, jenes gilt, bey gehöriger Declamation nicht merklich zu verkürzen. Ich bin darinn völlig von Moritz Meinung, daß in unserer Sprache der Verstandes Gehalt die Länge und Kürze bestimmt.
Sonst bin ich übrigens weit davon entfernt, mich meines Hexameters gegen Ihre Critik sehr anzunehmen; denn ich selbst habe es von jeher mit der Rigoristischen Parthey gehalten, und wenn ich dagegen excipiere, so ist es nicht, weil ich dem Dichter das Spiel leichter sondern weil ich es dem Critiker schwerer machen will; denn offenbar ist noch zuviel willkührliches in unsern prosodischen Gesetzen. Leider habe ich noch keine Musse gehabt, durch eigene Praxis zu zeigen, wie ich den deutschen Hexameter behandelt wünsche, denn alles was Sie in dieser Versart von mir gelesen ist bloß der erste Wurf, an dem ich, der Kürze der Zeit wegen, die Feile gar nicht versuchen konnte. Seitdem z. B. die Elegie gedruckt ist, habe ich schon über 40 corrigenda darinn entdeckt, den bloßen Versbau betreffend. Zu meiner Entschuldigung muss ich jedoch anführen, daß dieses die ersten Hexameter sind, die ich in meinem Leben gemacht, einige jugendliche Versuche in meinem sechzehnten Jahre abgerechnet.
Göthe, der eben hier ist, war mir Ihrer Recension so wie überhaupt mit Ihrer Art zu urtheilen, sehr zufrieden, nur daß auch Er sowohl gegen Ihre, als gegen die Voßische Prosodie noch manches einzuwenden hat. Er glaubt, und muß seiner Natur nach diese Meinung haben, daß in Rücksicht auf den Versbau den Foderungen des Moments und der Convenienz des individuellen Falles weit mehr als einem allgemeinen