Unter Palmen und Buchen. Erster Band.. Gerstäcker Friedrich
war es so spät geworden, daß die Kinder zu Bett geschickt werden mußten, so setzte sich sein Weib mit ihm allein zum Essen nieder.
Im Frühjahr schienen Bertha's Leiden heftiger wiederzukehren, und der Arzt kam fast täglich, aber auch er sah keine Gefahr darin. Er wußte selber nicht, daß Bertha ihr Leiden leichter nahm, als es wirklich war, oder vielleicht mehr vor ihm verbarg, als sie hätte thun sollen; aber sie fürchtete, dem Gatten das Haus dadurch noch ungemüthlicher zu machen, und trug deshalb lieber Alles allein.
Eines Abends, im Mai, saß Dr. Brethammer wieder am Kartentisch und zwar in einem Garten, etwa drei Viertelstunden Wegs von X. entfernt, wohin die kleine Gesellschaft bei schönem Wetter allabendlich auswanderte, als ein Bote hereingestürzt kam und ihm einen kleinen Zettel überreichte. Es standen nur wenige Worte darauf:
»Komm zu mir. – Bertha.« Aber die Worte waren mit zitternder Hand geschrieben, und den Mann überkam, als er sie gelesen, eine ganz sonderbare Angst.
Was konnte da vorgefallen sein? war Bertha krank geworden? daß sie fortwährend krank gewesen, wollte er sich gar nicht gestehen, aber der Bote wußte weiter nichts. Man hatte ihn auf der Straße angerufen und gut bezahlt, damit er so schnell wie möglich diesen Brief übergeben sollte. – Mitten im Spiel hörte der Doctor auf, ein Beisitzender mußte dasselbe übernehmen, und so rasch ihn seine Füße trugen, eilte er in die Stadt zurück. Und er hatte nicht zu sehr geeilt – unten im Hause traf er sein Mädchen, die eben aus der Apotheke kam und verweinte Augen hatte.
»Was um Gotteswillen ist vorgefallen – meine Frau –?«
»O gehen Sie hinauf, gehen Sie hinauf!« rief das Mädchen. »Sie hat so danach verlangt, Sie noch einmal zu sehen.«
Der Mann wußte nicht, wie er die Treppe hinauf kam. Der Arzt stand neben dem Bett, streckte ihm die Hand entgegen, drückte sie leise und verließ das Zimmer, und neben dem Bett kniete der Unglückliche, die kalte Hand seines treuen Weibes mit Küssen und Thränen bedeckend.
»Mein Kuno,« flüsterte die zitternde Stimme, »o wie lieb das von Dir ist, daß Du noch einmal gekommen bist – mir ist nur so kurze Zeit geblieben – das Alles brach so schnell herein.«
»Bertha, Bertha, Du kannst – Du darfst mich nicht verlassen,« schluchzte der Mann und schlang seinen Arm krampfhaft um sie.
»Du thust mir weh,« bat sie leise, »fasse Dich Kuno, es muß sein – ich muß fort von Dir und den Kindern – o sei gut mit ihnen, Kuno – sei nicht so rauh und heftig mehr – sie sind ja lieb und brav, und Du, – hast sie ja auch so lieb.«
Der Mann konnte nicht sprechen. In der leisen, mit bebender Stimme gesprochenen Bitte lag ein so furchtbarer Vorwurf für ihn, daß er seinen Gefühlen, seiner Reue, seiner Zerknirschung nicht mehr Worte geben konnte. Nur seine Stirn preßte er neben die Sterbende auf das Bett, und ihre Hand lag auf seinem Haupt und drückte es leise an sich.
»Kuno,« hauchte ihre Stimme nach einer langen Pause wieder.
»Bertha, meine Bertha!« rief der Mann, sein Antlitz zu ihr hebend, »fühlst Du Dich besser?«
»Leb wohl!«
»Bertha!« stöhnte der Unglückliche, »Bertha!«
»Mach mir den Abschied nicht schwer,« bat die Frau, »die Kinder habe ich schon geküßt, ehe Du kamst – ich wollte noch mit Dir allein sein. Laß mich ausreden,« flehte sie, »mir bleibt nicht mehr viel Zeit und das Sprechen wird mir schwer – leb wohl, Kuno – habe noch Dank – tausend Dank für all das Liebe und Gute, was Du mir gethan – sei mir nicht bös, wenn ich vielleicht –«
»Bertha, um Gottes willen, Du brichst mir das Herz –«
»Es ist gut – es ist vorbei – es wird Licht um mich – leb' wohl Kuno – sei gut mit den Kindern – auf Wiedersehen!«
»Bertha!« – es war vorbei. Der Mann knieete neben der Leiche seiner Frau, und es war ihm, als ob das Weltall ausgestorben wäre und er allein und trostlos in einer Wüste stände.
Die nächsten drei Tage vergingen ihm wie ein Traum. Fremde Leute kamen und gingen ein und aus im Hause; er sah sie, wie man gleichgültige Menschen auf offener Straße vorbeipassiren sieht, und selbst als sie die Leiche in den Sarg legten, blieb er still und theilnahmlos. Die Kinder kamen über Tag zu ihm, hingen an seinem Hals und weinten; er preßte sie fest an sich und küßte sie und blieb dann wieder allein bei der Geschiedenen.
Endlich kam die Stunde, wo der Sarg fortgeschafft werden mußte, und jetzt war es, als ob er sich dem widersetzen wolle. Aber es traten eine Masse Leute in's Zimmer; Freunde von ihm dazu, die herzlich mit ihm sprachen und ihm zuredeten, daß er sich den Unglücksfall nicht so schwer zu Herzen nehmen solle. Er hörte ihre Trostgründe gar nicht, aber er fühlte, daß was hier geschah – eben geschehen mußte, und duldete Alles.
Nach dem Begräbniß kehrte er mit seinen Kindern nach Haus zurück, schloß sich hier in sein Zimmer ein und weinte sich recht von Herzen aus. Danach wurde ihm etwas leichter – und es ist ein altes und wahres Sprüchwort – die Zeit mildert jeden Schmerz, denn das Menschenherz wäre sonst nicht im Stande zu tragen, was nach und nach ihm aufgehoben bleibt. Die Zeit mildert jeden Schmerz, aber – die Zeit mildert und sühnt keine Schuld.
Den Verlust der Gattin hätte er ertragen – mit bitterem Weh wohl, es ist wahr, denn er hatte sie treu und innig geliebt, aber mit Jahr und Tag wäre die schwere Stunde des Verlustes, das Gefühl, nie mehr ihr treues Auge wieder schauen zu können, mehr in den Hintergrund getreten, und ihm nur die Erinnerung an ihre Liebe und Treue geblieben. Jetzt aber nagte ein anderes Gefühl an seinem Herzen, nicht allein das Gefühl der Schuld, nein auch die Reue über vergangene Zeit mit dem Bewußtsein, diese nie zurückbringen, das Versäumte nie, nie wieder nachholen oder ungeschehen machen zu können, und das bohrte sich ihm in's Herz, nicht mit der Zeit weichend, nein, mit den wachsenden Jahren fester und fester und unzerstörbarer.
Draußen die Welt merkte Nichts davon; er war immer ernst und abgeschlossen für sich gewesen, und daß er sich jetzt vielleicht noch etwas zurückgezogener hielt, konnte nicht auffallen, aber daheim in seiner jetzt verödeten Klause, da stieg die Erinnerung an die Geschiedene mahnend vor ihm empor, und je weniger Vorwürfe sie ihm je im Leben gemacht hatte, desto mehr machte er sich jetzt selber.
Wieder und wieder malte er sich die Stunden aus die er mit vollkommen gleichgültigen Menschen draußen bei den Karten oder hinter dem Wirthstische verbracht, während seine Bertha daheim mit einer wahren Engelsgeduld auf ihn wartete, und so lieb, so freundlich ihn empfing, wenn er endlich zurückkehrte. Wieder und wieder malte er sich die einzelnen Fälle aus, wo er rauh und heftig gegen sie gewesen, die nie ein rauhes und heftiges Wort zu irgend einer Erwiderung gehabt, und vor Scham und Reue hätte er in die Erde sinken mögen, wenn er sich jetzt überlegte, wie er damals immer – immer Unrecht gehabt, und das nur, wenn er es auch früher eingesehen, nicht früher hatte eingestehen mögen.
Aber das Alles kam jetzt zu spät – zu spät für ihn wenigstens. Er hatte einen Schatz gehalten, und mißachtet, bis er von ihm genommen wurde – keine Reue brachte ihn je zurück, und daß er sich jetzt elend und unglücklich fühlte, war nur die Strafe für eine begangene Sünde.
Für ihn war es zu spät – aber noch nicht für Viele, die diese Zeilen lesen. Viele, viele halten in gleicher Weise einen ähnlichen Schatz – und vernachlässigen, mißhandeln ihn ebenso, und es war der Zweck dieser Zeilen, daß sie sich den Moment jetzt, da es noch für sie Zeit ist, ausmalen möchten, wo die Gattin plötzlich, unvorbereitet abgerufen wurde, und die Reue des Mannes dann zu spät kam, und nie, nie wieder gut gemacht werden konnte.
Die Vision
In Alburg, einer nicht ganz unbedeutenden deutschen Stadt, lebte der Justizrath Bertling in glücklicher und zufriedener Ehe mit seiner jungen Frau.
Bertling war ein ruhiger, behäbiger Charakter, der die Welt gern an sich kommen ließ, und nichts weniger liebte als unnütze und unnöthige Aufregungen. Er hatte auch in der That besonders deshalb sein Junggesellenleben aufgegeben, um sein Haus gemüthlich zu machen, und sich – bisher vermißte – Bequemlichkeiten zu verschaffen;