Aus zwei Welttheilen, Erster Band.. Gerstäcker Friedrich

Aus zwei Welttheilen, Erster Band. - Gerstäcker Friedrich


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vor den heiligen drei Königen verloren; und was das Theater anbetrifft, so gaben sie, als ich im vorigen Jahre zum letzten Male in Hamburg war, dort zufällig dasselbe Stück und die Erinnerung an meine Kindheit trieb mich hinein. – Ich wollte, ich wäre nicht gegangen, denn als ich wieder heraus kam, – und ich sollte mich eigentlich schämen es zu gestehen – habe ich großer erwachsener Kerl geweint, bittere, große Thränen geweint, und weshalb? weil ich durch meine Neugierde ein kleines Heiligthum muthwillig zerstört hatte, das mein Herz seit seiner Jugendzeit in seiner innersten Zelle still und heilig genährt – weil ich das muthwillig und mit roher Hand jetzt von mir gerissen sah, was mich so viele, viele Jahre mit froher geheimnißvoller Lust erfüllt. Die hohen schattigen Palmen, die mir bis dahin noch immer vorgeschwebt, schrumpften zu Pappdeckeln mit hölzernen Stützen zusammen, – jener Zweikampf, an den ich oft mit stillem Schauder zurückgedacht, wurde zu einem gewöhnlichen Hämmern auf Blechschilde, – der alte ehrwürdige Emir – in der einen Scene fiel ihm der Bart ab, und das ganze Publikum lachte, während mir die Thränen in die Augen traten – die fürchterliche Aebtissin – war die Frau meines freundlichen Wirths, eine treffliche brave Seele, die sich noch an demselben Nachmittag erst so theilnehmend erkundigt hatte, wie es all' den Meinigen zu Hause ging – die Frau konnte unmöglich ein Bösewicht sein; und nun erst die Knappen und Ritter, die früher einen solchen Eindruck auf mich gemacht, – wie hölzern sie dastanden und wie ungelenk – ach, mein schöner Jugendtraum, wie bös, wie häßlich war der zerstört worden, und wie viel besser wäre es gewesen, wenn ich keine natürliche Erklärung für all den süßen Zauber gefunden hätte!«

      »Es läßt sich auch nicht Alles natürlich erklären,« sagte der Verwalter ernst und stopfte sich dabei langsam den hohen Maserkopf mit dem vor ihm liegenden Tabak – »und wenn man's noch so gern erklären möchte und wollte. Ich selbst habe zum Beispiel etwas erlebt, was so wunderbar und märchenhaft klingt, daß ich es selten erzähle – es glaubt mir's Niemand, und es thut mir nachher weh wenn etwas bespöttelt wird, das – heiliger Gott, wie das wieder rast und tobt, man sollte glauben, es schüttelte die alte Erde aus den Achsen – das mir selbst so allgewaltig in's Leben gegriffen hat.«

      »Sie scheinen mich für einen total Ungläubigen zu halten, lieber Verwalter, sagte der Pastor freundlich, darin thun Sie mir aber Unrecht, – das vertrüge sich auch nicht einmal mit meiner Stellung, mit meiner Religion. Auch von Gott ward uns ja weiter nichts, als in sinnbildlichen Uebertragungen eine Ahnung seines Wesens, und was Anderes als Ahnung einer höhern Welt ist es, wenn uns bei frommen, erhebenden Choralgesang die Seele in süßer unbegriffener Lust zusammenschauert. Ich glaube an Ahnungen, möchte sie aber nur von den gewöhnlichen Vorbedeutungen geschieden sehen.«

      »Vorbedeutungen – Ahnungen!« – sagte der Verwalter kopfschüttelnd, und hielt dabei den brennenden Fidibus auf die Pfeife, ohne jedoch den Blick zu erheben, der sich von da an fest und unbeweglich in die eine Zimmerecke heftete, »das sind am Ende nur immer verschiedene Worte für ein und dieselbe Bedeutung – doch zu meiner Erzählung, aus der sich Jeder seinen Schluß selber ziehen mag, denn ich selbst kann nichts weiter als die Thatsachen geben. Es war nach dem letzten Kriege; – mein Bruder Carl, ein tüchtiger, stattlicher Bursche, hatte sich auch anwerben und später nie wieder etwas von sich hören lassen. Bei Leipzig wollten sie ihn zuletzt gesehen haben; bis dahin dienten wenigstens Landleute aus demselben Ort, in dem nämlichen Regiment mit ihm, und er ließ mich auch einmal in einem von den Briefen grüßen. Nachher blieb er verschollen und zehn Jahre, die ebenfalls verflossen ohne daß ich die mindeste Nachricht erhielt, nahmen mir endlich den letzten Zweifel, daß er in jener blutigen Schlacht gefallen.«

      »Nach dieser Zeit, und als der Friede schon lange wieder seine segensreichen Früchte getragen, verwaltete ich in der Nähe von Grimma, eine kurze Strecke von Leipzig entfernt, ein Gut, schaffte im Juni meine Wolle in die Stadt, zum dort gehaltenen Markte, verkaufte sie, und schickte, weil ich noch bei Thräna einen Freund besuchen wollte, den Wagen von dort aus allein voraus. Dort kam das Gespräch, ich weiß jetzt selbst eigentlich nicht mehr recht wie, auf die frühere Kriegszeit und auf unsere gefallenen Freunde und Brüder, wobei ich äußerte, wie schmerzlich es doch für die Hinterbliebenen sein müsse, nicht einmal zu wissen wo die geliebten Todten begraben lägen und ob sie überhaupt ein ehrliches Soldatengrab bekommen hätten.«

      »Du lieber Gott,« meinte hierauf mein Freund, der dortige Förster, »da ist wohl Mancher Wochen lang im lieben Walde liegen geblieben, oder, was noch schlimmer ist, mit der ganzen Masse in eine große Grube geworfen, und wie Viele wurden noch vorher von den Kosaken und – anderem Volk – geplündert und gemißhandelt – ich sage Dir, Bernhard, ich habe da schauerliche Dinge mit angesehen. Ich erinnere mich noch an einen armen Teufel, dem hatten sie drei Kugeln in die Brust geschossen und er lebte immer noch. Von den Unsern waren dabei Leute hinausgeschickt die Gebliebenen aus dem Wege zu schaffen und in ein Loch zu werfen; die, aber natürlich bei denen sie noch Leben fanden, die legten sie bei Seite bis sie fertig waren, und dann konnten sie gewöhnlich bei denen wieder von vorn anfangen. Der Verwundete nun, der unter einer Eiche lag, streckte die Hand nach mir aus, und bat mich ihm zu helfen – lieber Gott, was konnte ich für ihn thun – die Zunge klebte ihm schon am Gaumen und er brachte kein Wort mehr über die Lippen; selbst einen Trunk Wasser den ich ihm reichte vermochte er nicht mehr hinunterzuschlucken. Während ich ihn noch im Arme hielt, holte er seinen letzten Athemzug, und als ich ihm die Uniform aufriß, nach seiner Wunde zu sehen, fiel er, eine Leiche, zurück. Auf der bloßen Brust fand ich aber einen Ring, den ich zum Andenken mitnahm und den armen Teufel dafür draußen am Waldesrand, etwa eine Stunde von hier, und nicht weit von dort, wo jetzt der Fußpfad in die große Straße einläuft, warm und weich in die Erde bettete.«

      »So lautete seine Erzählung, und er wollte mir den Ring, noch ehe ich fortging, zeigen, bald nachher kamen wir aber auf ein anderes Gespräch und vergaßen ihn. Gegen Abend endlich – denn ich hatte nun noch volle drei Stunden zu marschiren und der Mond ging etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang auf – nahm ich Abschied von meinem Freunde und machte mich, nachdem er mir einen nähern Pfad durchs Holz gezeigt, auf den Heimweg.«

      »Die Sonne sank eben hinter den Wipfeln nieder als ich ausmarschirte, und im Walde dämmerte es schon; meinen Pfad konnte ich aber nichtsdestoweniger deutlich genug erkennen, und schritt rüstig darauf vorwärts, bis ich von fern das hellere Licht des offenen Feldes durch die Bäume schimmern sah; – bald darauf erreichte ich die äußerste Grenze des Waldes und vor mir, vielleicht noch eine Viertelstunde entfernt, lief die Chaussee, die sich ganz genau an den Pappeln unterscheiden ließ. Ich überflog die ausgedehnte Fläche mit meinem Blick, um nach den nächsten Thürmen genau die Stelle bestimmen zu können, wo ich mich eigentlich befand, als ich in gar nicht großer Entfernung und mitten auf einer kleinen feuchten Wiese einen einzelnen Menschen, und als ich näher hinsah, einen Soldaten erkannte, der hier allem Anschein nach und mit dem Gewehr im Arme, Schildwache stand.«

      »Was um des Himmels willen, dachte ich so bei mir selber, macht nur der einzelne Posten hier mitten auf dem Felde – die Früchte sind doch noch nicht reif, und der Klee – hm, das muß ein Forstschutz sein, – hat sich aber einen sonderbaren Platz dazu gewählt.«

      »Der Mann stand still und regungslos und ich blieb ebenfalls einen Augenblick stehen und schaute nach ihm hinüber – er rührte sich nicht, und die Uniform fiel mir jetzt auf, die er trug. So viel ich in der immer zunehmenden Dämmerung erkennen konnte, gehörte sie keineswegs nach Sachsen, war auf jeden Fall von der sehr verschieden, die ich sonst zum Forstschutz verwendet gesehen, und der Tschacko – ein Schauer lief mir unwillkürlich über den Leib, als ich zu dem Gesicht des Posten aufschaute – der Tschacko saß in der richtigen Entfernung zu dem Kopf, aber der Kopf? – das matte Licht mußte mich jedenfalls täuschen, denn gerade wo ich stand, konnte ich deutlich durch die Stelle durch, wo doch sein Gesicht hätte sein müssen, das dahinter durchschimmernde Grün der Wiese erkennen.«

      »Lächerlich, murmelte ich aber leise vor mich hin, – daher entstehen so viele Geister- und Gespenstergeschichten, daß uns irgend ein ungewisser Lichtschein oder eine Brechung der Strahlen, ja vielleicht der aufsteigende feuchte Dunst der Erde, wunderliche Geschichten vorspiegelt, die sich nachher, wenn man näher hinzugeht, auf die natürlichste Art von der Welt erklären. Wäre jetzt an meiner Stelle irgend ein furchtsamer Bauerjunge den Weg gekommen, und sein Blick dorthin gefallen, wer weiß, ob er nicht in voller Angst


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