Die Wahlverwandtschaften. Johann Wolfgang von Goethe

Die Wahlverwandtschaften - Johann Wolfgang von Goethe


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ihm in den ersten Tagen keine Ruhe; er führte ihn überall herum, bald zu Pferde, bald zu Fuße, und machte ihn mit der Gegend, mit dem Gute bekannt; wobei er ihm zugleich die Wünsche mitteilte, die er zu besserer Kenntnis und vorteilhafterer Benutzung desselben seit langer Zeit bei sich hegte.

      "Das erste, was wir tun sollten", sagte der Hauptmann, "wäre, daß ich die Gegend mit der Magnetnadel aufnähme.

      Es ist das ein leichtes, heiteres Geschäft, und wenn es auch nicht die größte Genauigkeit gewährt, so bleibt es doch immer nützlich und für den Anfang erfreulich; auch kann man es ohne große Beihülfe leisten und weiß gewiß, daß man fertig wird.

      Denkst du einmal an eine genauere Ausmessung, so läßt sich dazu wohl auch noch Rat finden".

      Der Hauptmann war in dieser Art des Aufnehmens sehr geübt.

      Er hatte die nötige Gerätschaft mitgebracht und fing sogleich an.

      Er unterrichtete Eduarden, einige Jäger und Bauern, die ihm bei dem Geschäft behülflich sein sollten.

      Die Tage waren günstig; die Abende und die frühsten Morgen brachte er mit Aufzeichnen und Schraffieren zu.

      Schnell war auch alles laviert und illuminiert, und Eduard sah seine Besitzungen auf das deutlichste aus dem Papier wie eine neue Schöpfung hervorwachsen.

      Er glaubte sie jetzt erst kennenzulernen, sie schienen ihm jetzt erst recht zu gehören.

      Es gab Gelegenheit, über die Gegend, über Anlagen zu sprechen, die man nach einer solchen übersicht viel besser zustande bringe, als wenn man nur einzeln, nach zufälligen Eindrücken, an der Natur herumversuche.

      "Das müssen wir meiner Frau deutlich machen", sagte Eduard. "Tue das nicht!" versetzte der Hauptmann, der die überzeugungen anderer nicht gern mit den seinigen durchkreuzte, den die Erfahrung gelehrt hatte, daß die Ansichten der Menschen viel zu mannigfaltig sind, als daß sie, selbst durch die vernünftigsten Vorstellungen, auf Einen Punkt versammelt werden könnten.

      "Tue es nicht!" rief er, "sie dürfte leicht irre werden.

      Es ist ihr wie allen denen, die sich nur aus Liebhaberei mit solchen Dingen beschäftigen, mehr daran gelegen, daß sie etwas tue, als daß etwas getan werde.

      Man tastet an der Natur, man hat Vorliebe für dieses oder jenes Plätzchen; man wagt nicht, dieses oder jenes Hindernis wegzuräumen, man ist nicht kühn genug, etwas aufzuopfern; man kann sich voraus nicht vorstellen, was entstehen soll, man probiert, es gerät, es mißrät, man verändert, verändert vielleicht, was man lassen sollte, läßt, was man verändern sollte, und so bleibt es zuletzt immer ein Stückwerk, das gefällt und anregt, aber nicht befriedigt".

      "Gesteh mir aufrichtig", sagte Eduard, "du bist mit ihren Anlagen nicht zufrieden".

      "Wenn die Ausführung den Gedanken erschöpfte, der sehr gut ist, so wäre nichts zu erinnern.

      Sie hat sich mühsam durch das Gestein hinaufgequält und quält nun jeden, wenn du willst, den sie hinaufführt.

      Weder nebeneinander noch hintereinander schreitet man mit einer gewissen Freiheit.

      Der Takt des Schrittes wird jeden Augenblick unterbrochen; und was ließe sich nicht noch alles einwenden!" "Wäre es denn leicht anders zu machen gewesen?" fragte Eduard.

      "Gar leicht", versetzte der Hauptmann; "sie durfte nur die eine Felsenecke, die noch dazu unscheinbar ist, weil sie aus kleinen Teilen besteht, wegbrechen, so erlangte sie eine schön geschwungene Wendung zum Aufstieg und zugleich überflüssige Steine, um die Stellen heraufzumauern, wo der Weg schmal und verkrüppelt geworden wäre.

      Doch sei dies im engsten Vertrauen unter uns gesagt; sie wird sonst irre und verdrießlich.

      Auch muß man, was gemacht ist, bestehen lassen.

      Will man weiter Geld und Mühe aufwenden, so wäre von der Mooshütte hinaufwärts und über die Anhöhe noch mancherlei zu tun und viel Angenehmes zu leisten".

      Hatten auf diese Weise die beiden Freunde am Gegenwärtigen manche Beschäftigung, so fehlte es nicht an lebhafter und vergnüglicher Erinnerung vergangener Tage, woran Charlotte wohl teilzunehmen pflegte.

      Auch setzte man sich vor, wenn nur die nächsten Arbeiten erst getan wären, an die Reisejournale zu gehen und auch auf diese Weise die Vergangenheit hervorzurufen.

      übrigens hatte Eduard mit Charlotten allein weniger Stoff zur Unterhaltung, besonders seitdem er den Tadel ihrer Parkanlagen, der ihm so gerecht schien, auf dem Herzen fühlte.

      Lange verschwieg er, was ihm der Hauptmann vertraut hatte; aber als er seine Gattin zuletzt beschäftigt sah, von der Mooshütte hinauf zur Anhöhe wieder mit Stüfchen und Pfädchen sich emporzuarbeiten, so hielt er nicht länger zurück, sondern machte sie nach einigen Umschweifen mit seinen neuen Einsichten bekannt.

      Charlotte stand betroffen.

      Sie war geistreich genug, um schnell einzusehen, daß jene recht hatten; aber das Getane widersprach, es war nun einmal so gemacht; sie hatte es recht, sie hatte es wünschenswert gefunden, selbst das Getadelte war ihr in jedem einzelnen Teile lieb; sie widerstrebte der überzeugung, sie verteidigte ihre kleine Schöpfung, sie schalt auf die Männer, die gleich ins Weite und Große gingen, aus einem Scherz, aus einer Unterhaltung gleich ein Werk machen wollten, nicht an die Kosten denken, die ein erweiterter Plan durchaus nach sich zieht.

      Sie war bewegt, verletzt, verdrießlich; sie konnte das Alte nicht fahren lassen, das Neue nicht ganz abweisen; aber entschlossen wie sie war, stellte sie sogleich die Arbeit ein und nahm sich Zeit, die Sache zu bedenken und bei sich reif werden zu lassen.

      Indem sie nun auch diese tätige Unterhaltung vermißte, da indes die Männer ihr Geschäft immer geselliger betrieben und besonders die Kunstgärten und Glashäuser mit Eifer besorgten, auch dazwischen die gewöhnlichen ritterlichen übungen fortsetzten, als Jagen, Pferdekaufen, – tauschen, – bereiten und – einfahren, so fühlte sich Charlotte täglich einsamer.

      Sie führte ihren Briefwechsel auch um des Hauptmanns willen lebhafter, und doch gab es manche einsame Stunde.

      Desto angenehmer und unterhaltender waren ihr die Berichte, die sie aus der Pensionsanstalt erhielt.

      Einem weitläufigen Briefe der Vorsteherin, welcher sich wie gewöhnlich über der Tochter Fortschritte mit Behagen verbreitete, war eine kurze Nachschrift hinzugefügt nebst einer Beilage von der Hand eines männlichen Gehülfen am Institut, die wir beide mitteilen.

      "Von Ottilien, meine Gnädige, hätte ich eigentlich nur zu wiederholen, was in meinen vorigen Berichten enthalten ist.

      Ich wüßte sie nicht zu schelten, und doch kann ich nicht zufrieden mit ihr sein.

      Sie ist nach wie vor bescheiden und gefällig gegen andere; aber dieses Zurücktreten, diese Dienstbarkeit will mir nicht gefallen.

      Euer Gnaden haben ihr neulich Geld und verschiedene Zeuge geschickt.

      Das erste hat sie nicht angegriffen, die andern liegen auch noch da, unberührt.

      Sie hält freilich ihre Sachen sehr reinlich und gut und scheint nur in diesem Sinn die Kleider zu wechseln.

      Auch kann ich ihre große Mäßigkeit im Essen und Trinken nicht loben.

      An unserm Tisch ist kein überfluß; doch sehe ich nichts lieber, als wenn die Kinder sich an schmackhaften und gesunden Speisen satt essen.

      Was mit Bedacht und überzeugung aufgetragen und vorgelegt ist, soll auch aufgegessen werden.

      Dazu kann ich Ottilien niemals bringen.

      Ja, sie macht sich irgendein Geschäft, um eine Lücke auszufüllen, wo die Dienerinnen etwas versäumen, nur um eine Speise oder den Nachtisch zu übergehen.

      Bei diesem allen kommt jedoch in Betrachtung, daß sie manchmal, wie ich erst spät erfahren habe, Kopfweh auf der linken Seite hat, das zwar vorübergeht, aber schmerzlich und bedeutend sein mag.

      Soviel von diesem übrigens so schönen und lieben Kinde".

      "Unsere vortreffliche Vorsteherin läßt mich gewöhnlich


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