Egmont. Johann Wolfgang von Goethe

Egmont - Johann Wolfgang von Goethe


Скачать книгу
Fürstin neidete nicht das arme Klärchen um den Platz an seinem

      Herzen! O Mutter – meine Mutter, so redetet Ihr sonst nicht. Liebe

      Mutter, seid gut! Das Volk, was das denkt, die Nachbarinnen, was die murmeln – Diese Stube, dieses kleine Haus ist ein Himmel, seit Egmonts

      Liebe drin wohnt.

      Mutter. Man muß ihm hold sein! das ist wahr. Er ist immer so freundlich, frei und offen.

      Klare. Es ist keine falsche Ader an ihm. Seht, Mutter, und er ist doch der große Egmont. Und wenn er zu mir kommt, wie er so lieb ist, so gut! wie er mir seinen Stand, seine Tapferkeit gerne verbärge! wie er um mich besorgt ist! so nur Mensch, nur Freund, nur Liebster.

      Mutter. Kommt er wohl heute?

      Klare. Habt Ihr mich nicht oft ans Fenster gehen sehn? Habt Ihr nicht bemerkt, wie ich horche, wenn's an der Thür rauscht? Ob ich schon weiß, daß er vor Nacht nicht kommt, vermut' ich ihn doch jeden Augenblick, von morgens an, wenn ich aufstehe. Wär' ich nur ein Bube und könnte immer mit ihm gehen, zu Hufe und überall hin! Könnt' ihm die Fahne nachtragen in der Schlacht! —

      Mutter. Du warst immer so ein Springinsfeld; als ein kleines Kind schon, bald toll, bald nachdenklich. Ziehst du dich nicht ein wenig besser an?

      Klare. Vielleicht, Mutter! wenn ich Langeweile habe. – Gestern, denkt, gingen von seinen Leuten vorbei und sangen Lobliedchen auf ihn. Wenigstens war sein Name in den Liedern; das übrige konnt' ich nicht verstehn. Das Herz schlug mir bis an den Hals. – Ich hätte sie gern zurückgerufen, wenn ich mich nicht geschämt hätte.

      Mutter, Nimm dich in acht! Dein heftiges Wesen verdirbt noch alles; du verrätst dich offenbar vor den Leuten. Wie neulich bei dem Vetter, wie du den Holzschnitt und die Beschreibung fandst und mit einem Schrei riefst: Graf Egmont! – Ich ward feuerrot.

      Klare. Hätt' ich nicht schreien sollen? Es war die Schlacht bei Gravelingen; und ich finde oben im Bilde den Buchstaben C. und suche unten in der Beschreibung C. Steht da: "Graf Egmont, dem das Pferd unter dem Leibe totgeschossen wird." Mich überlief's – und hernach mußt ich lachen über den holzgeschnitzten Egmont, der so groß war als der Turm von Gravelingen gleich dabei und die englischen Schiffe an der Seite. – Wenn ich mich manchmal erinnere, wie ich mir sonst eine Schlacht vorgestellt, und was ich mir als Mädchen für ein Bild vom Grafen Egmont machte, wenn sie von ihm erzählten, und von allen Grafen und Fürsten – und wie mir's jetzt ist!

      (Brackenburg kommt.)

      Klare. Wie stehts?

      Brackenburg. Man weiß nichts Gewisses. In Flandern soll neuerdings ein Tumult entstanden sein; die Regentin soll besorgen, er möchte sich hieher verbreiten. Das Schloß ist stark besetzt, die Bürger sind zahlreich an den Thoren, das Volk summt in den Gassen. – Ich will nur schnell zu meinem alten Vater. (Als wollt' er gehen.)

      Klare. Sieht man Euch morgen? Ich will mich ein wenig anziehen. Der

      Vetter kommt, und ich sehe gar zu liederlich aus. Helft mir einen

      Augenblick, Mutter. – Nehmt das Buch mit, Brackenburg, und bringt mir wieder so eine Historie.

      Mutter. Lebt wohl!

      Brackenburg (seine Hand reichend). Eure Hand!

      Klare (ihre Hand versagend). Wenn Ihr wiederkommt.

      (Mutter und Tochter ab.)

      Brackenburg (allein). Ich hatte mir vorgenommen, gerade wieder fortzugehn, und da sie es dafür aufnimmt und mich gehen läßt, möcht' ich rasend werden. – Unglücklicher! und dich rührt deines Vaterlandes Geschick nicht? der wachsende Tumult nicht? – und gleich ist dir Landsmann oder Spanier, und wer regiert und wer Recht hat? – War ich doch ein andrer Junge als Schulknabe! – Wenn da ein Exerzitium aufgegeben war: "Brutus' Rede für die Freiheit, zur Übung der Redekunst"; da war doch immer Fritz der erste, und der Rektor sagte: wenn's nur ordentlicher wäre, nur nicht alles so über einander gestolpert. – Damals kocht' es und trieb! – Jetzt schlepp' ich mich an den Augen des Mädchens so hin. Kann ich sie doch nicht lassen! Kann sie mich doch nicht lieben! – Ach – Nein – Sie – Sie kann mich nicht ganz verworfen haben. – Nicht ganz – und halb und nichts! – Ich duld' es nicht länger! – Sollte es wahr sein, was mir ein Freund neulich ins Ohr sagte? daß sie nachts einen Mann heimlich zu sich einläßt, da sie mich züchtig immer vor Abend aus dem Hause treibt. Nein, es ist nicht wahr, es ist eine Lüge, eine schändliche verleumderische Lüge! Klärchen ist so unschuldig, als ich unglücklich bin. – Sie hat mich verworfen, hat mich von ihrem Herzen gestoßen – Und ich soll so fortleben? Ich duld', ich duld' es nicht. – Schon wird mein Vaterland von innerm Zwiste heftiger bewegt, und ich sterbe unter dem Getümmel nur ab! Ich duld' es nicht! – Wenn die Trompete klingt, ein Schuß fällt, mir fährt's durch Mark und Bein! Ach, es reizt mich nicht, es fordert mich nicht, auch mit einzugreifen, mit zu retten, zu wagen. – Elender, schimpflicher Zustand! Es ist besser, ich end' auf einmal. Neulich stürzt' ich mich ins Wasser, ich sank – aber die geängstete Natur war stärker; ich fühlte, daß ich schwimmen konnte, und rettete mich wider Willen. – Könnt' ich der Zeiten vergessen, da sie mich liebte, mich zu lieben schien! – Warum hat mir's Mark und Bein durchdrungen, das Glück? Warum haben mir diese Hoffnungen allen Genuß des Lebens aufgezehrt, indem sie mir ein Paradies von weitem zeigten? – Und jener erste Kuß! Jener einzige! – Hier (die Hand auf den Tisch legend), hier waren wir allein – sie war immer gut und freundlich gegen mich gewesen – da schien sie sich zu erweichen – sie sah mich an – alle Sinnen gingen mir um, und ich fühlte ihre Lippen auf den meinigen. – Und – und nun? – Stirb, Armer! Was zauderst du? (Er zieht ein Fläschchen aus der Tasche.) Ich will dich nicht umsonst aus meines Bruders Doktorkästchen gestohlen haben, heilsames Gift! Du sollst mir dieses Bangen, diese Schwindel, diese Todesschweiße auf einmal verschlingen und lösen.

      Zweiter Aufzug.

      Platz in Brüssel.

      Jetter und ein Zimmermeister treten zusammen.

      Zimmermeister. Sagt' ich's nicht voraus? Noch vor acht Tagen auf der

      Zunft sagt' ich, es würde schwere Händel geben.

      Jetter. Ist's denn wahr, daß sie die Kirchen in Flandern geplündert haben?

      Zimmermeister. Ganz und gar zu Grunde gerichtet haben sie Kirchen und Kapellen. Nichts als die vier nackten Wände haben sie stehen lassen. Lauter Lumpengesindel! Und das macht unsre gute Sache schlimm. Wir hätten eher, in der Ordnung, und standhaft, unsere Gerechtsame der Regentin vortragen und drauf halten sollen. Reden wir jetzt, versammeln wir uns jetzt, so heißt es, wir gesellen uns zu den Aufwieglern.

      Jetter. Ja, so denkt jeder zuerst: was sollst du mit deiner Nase voran?

      Hängt doch der Hals gar nah damit zusammen.

      Zimmermeister. Mir ist's bange, wenn's einmal unter dem Pack zu lärmen anfängt, unter dem Volk, das nichts zu verlieren hat. Die brauchen das zum Vorwande, worauf wir uns auch berufen müssen, und bringen das Land in Unglück. (Soest tritt dazu.)

      Soest. Guten Tag, ihr Herrn! Was giebt's Neues? Ist's wahr, daß die

      Bilderstürmer gerade hierher ihren Lauf nehmen?

      Zimmermeister. Hier sollen sie nichts anrühren.

      Soest. Es trat ein Soldat bei mir ein, Tobak zu kaufen; den fragt' ich aus. Die Regentin, so eine wackre, kluge Frau sie bleibt, diesmal ist sie außer Fassung. Es muß sehr arg sein, daß sie sich so geradezu hinter ihre Wache versteckt. Die Burg ist scharf besetzt. Man meint sogar, sie wolle aus der Stadt flüchten.

      Zimmermeister. Hinaus soll sie nicht! Ihre Gegenwart beschützt uns, und wir wollen ihr mehr Sicherheit verschaffen als ihre Stutzbärte. Und wenn sie uns unsere Rechte und Freiheiten aufrecht erhält, so wollen wir sie auf den Händen tragen.

      (Seifensieder tritt dazu.)

      Seifensieder. Garstige Händel! Üble Händel! Es wird unruhig und geht schief aus! – Hütet euch, daß ihr stille bleibt, daß man euch nicht auch für Aufwiegler hält.

      Soest. Da kommen die sieben Weisen aus Griechenland.

      Seifensieder.


Скачать книгу