Italienische Reise — Band 2. Johann Wolfgang von Goethe
welch eine sonderbare Epoche für mich dieser Tag, des Herzogs Geburtstag und ein Geburtstag für mich zu einem neuen Leben. Wie ich dieses Jahr genutzt, kann ich jetzt weder mir noch andern berechnen; ich hoffe, es wird die Zeit kommen, die schöne Stunde, da ich mit euch alles werde summieren können.
Jetzt gehn hier erst meine Studien an, und ich hätte Rom gar nicht gesehen, wenn ich früher weggegangen wäre. Man denkt sich gar nicht, was hier zu sehen und zu lernen ist; auswärts kann man keinen Begriff davon haben.
Ich bin wieder in die ägyptischen Sachen gekommen. Diese Tage war ich einigemal bei dem großen Obelisk, der noch zerbrochen zwischen Schutt und Kot in einem Hofe liegt. Es war der Obelisk des Sesostris, in Rom zu Ehren des Augusts aufgerichtet, und stand als Zeiger der großen Sonnenuhr, die auf dem Boden des Campus Martius gezeichnet war. Dieses älteste und herrlichste vieler Monumente liegt nun da zerbrochen, einige Seiten (wahrscheinlich durchs Feuer) verunstaltet. Und doch liegt es noch da, und die unzerstörten Seiten sind noch frisch, wie gestern gemacht und von der schönsten Arbeit (in ihrer Art). Ich lasse jetzt eine Sphinx der Spitze und die Gesichter von Sphinxen, Menschen, Vögeln abformen und in Gips gießen. Diese unschätzbaren Sachen muß man besitzen, besonders da man sagt, der Papst wolle ihn aufrichten lassen, da man denn die Meroglyphen nicht mehr erreichen kann. So will ich es auch mit den besten hetrurischen Sachen tun u. s. w. Nun modelliere ich nach diesen Bildungen in Ton, um mir alles recht eigen zu machen.
Ich muß an einem Morgen schreiben, der ein festlicher Morgen für mich wird. Denn heute ist "Egmont" eigentlich recht völlig fertig geworden. Der Titel und die Personen sind geschrieben und einige Lücken, die ich gelassen hatte, ausgefüllt worden; nun freu' ich mich schon zum voraus auf die Stunde, in welcher ihr ihn erhalten und lesen werdet. Es sollen auch einige Zeichnungen beigelegt werden.
Ich hatte mir vorgenommen, euch recht viel zu schreiben und auf den letzten Brief allerlei zu sagen, nun bin ich unterbrochen worden, und morgen geh' ich nach Frascati. Dieser Brief muß Sonnabends fort, und nun sag' ich nur noch zum Abschied wenige Worte. Wahrscheinlich habt ihr jetzt auch schönes Wetter, wie wir es unter diesem freieren Himmel genießen. Ich habe immer neue Gedanken, und da die Gegenstände um mich tausendfach sind, so wecken sie mich bald zu dieser, bald zu jener Idee. Von vielen Wegen rückt alles gleichsam auf einen Punkt zusammen, ja, ich kann sagen, daß ich nun Licht sehe, wo es mit mir und meinen Fähigkeiten hinaus will; so alt muß man werden, um nur einen leidlichen Begriff von seinem Zustande zu haben. Es sind also die Schwaben nicht allein, die vierzig Jahre brauchen, um klug zu werden.
Ich höre, daß Herder nicht wohl ist, und bin darüber in Sorge, ich hoffe bald bessere Nachrichten zu vernehmen.
Mir geht es immer an Leib und Seele gut, und fast kann ich hoffen, radikaliter kuriert zu werden; alles geht mir leicht von der Hand, und manchmal kommt ein Hauch der Jugendzeit, mich anzuwehen. "Egmont" geht mit diesem Brief ab, wird aber später kommen, weil ich ihn auf die fahrende Post gebe. Recht neugierig und verlangend bin ich, was ihr dazu sagen werdet.
Vielleicht wäre gut, mit dem Druck bald anzufangen. Es würde mich freuen, wenn das Stück so frisch ins Publikum käme. Seht, wie ihr das einrichtet, ich will mit dem Rest des Bandes nicht zurückbleiben.
Der "Gott" leistet mir die beste Gesellschaft. Moritz ist dadurch wirklich aufgebaut worden, es fehlte gleichsam nur an diesem Werke, das nun als Schlußstein seine Gedanken schließt, die immer auseinander fallen wollten. Es wird recht brav. Mich hat er aufgemuntert, in natürlichen Dingen weiter vorzudringen, wo ich denn, besonders in der Botanik, auf ein en kai pan gekommen bin, das mich in Erstaunen setzt; wie weit es um sich greift, kann ich selbst noch nicht sehn.
Mein Prinzip, die Kunstwerke zu erklären und das auf einmal aufzuschließen, woran Künstler und Kenner sich schon seit der Wiederherstellung der Kunst zersuchen und zerstudieren, find' ich bei jeder Anwendung richtiger. Eigentlich ist's auch ein Kolumbisches Ei. Ohne zu sagen, daß ich einen solchen Kapitalschlüssel besitze, sprech' ich nun die Teile zweckmäßig mit den Künstlern durch und sehe, wie weit sie gekommen sind, was sie haben und wo es widerstößt. Die Türe hab' ich offen und stehe auf der Schwelle und werde leider mich von da aus nur im Tempel umsehen können und wieder scheiden.
So viel ist gewiß, die alten Künstler haben ebenso große Kenntnis der Natur und einen ebenso sichern Begriff von dem, was sich vorstellen läßt und wie es vorgestellt werden muß, gehabt als Homer. Leider ist die Anzahl der Kunstwerke der ersten Klasse gar zu klein. Wenn man aber auch diese sieht, so hat man nichts zu wünschen, als sie recht zu erkennen und dann in Friede hinzufahren. Diese hohen Kunstwerke sind zugleich als die höchsten Naturwerke von Menschen nach wahren und natürlichen Gesetzen hervorgebracht worden. Alles Willkürliche, Eingebildete fällt zusammen, da ist die Notwendigkeit, da ist Gott.
In einigen Tagen werde ich die Arbeiten eines geschickten Architekten sehen, der selbst in Palmyra war und die Gegenstände mit großem Verstand und Geschmack gezeichnet hat. Ich gebe gleich Nachricht davon und erwarte mit Verlangen eure Gedanken über diese wichtigen Ruinen.
Freut euch mit mir, daß ich glücklich bin, ja, ich kann wohl sagen, ich war es nie in dem Maße: mit der größten Ruhe und Reinheit eine eingeborne Leidenschaft befriedigen zu können und von einem anhaltenden Vergnügen einen dauernden Nutzen sich versprechen zu dürfen, ist wohl nichts Geringes. Könnte ich meinen Geliebten nur etwas von meinem Genuß und meiner Empfindung mitteilen.
Ich hoffe, die trüben Wolken am politischen Himmel sollen sich zerstreuen. Unsre modernen Kriege machen viele unglücklich, indessen sie dauern, und niemand glücklich, wenn sie vorbei sind.
Es bleibt wohl dabei, meine Lieben, daß ich ein Mensch bin, der von der Mühe lebt. Diese Tage her habe ich wieder mehr gearbeitet als genossen. Nun geht die Woche zu Ende und ihr sollt ein Blatt haben.
Es ist ein Leid, daß die Aloe in Belvedere eben das Jahr meiner Abwesenheit wählt, um zu blühen. In Sizilien war ich zu früh, hier blüht dies Jahr nur eine, nicht groß, und sie steht so hoch, daß man nicht dazu kann. Es ist allerdings ein indianisch Gewächs auch in diesen Gegenden nicht recht zu Hause.
Des Engländers Beschreibungen machen mir wenig Freude. Die Geistlichen müssen sich in England sehr in acht nehmen, dagegen haben sie auch das übrige Publikum in der Flucht. Der freie Engländer muß in sittlichen Schriften sehr eingeschränkt einhergehn.
Die Schwanzmenschen wundern mich nicht, nach der Beschreibung ist es etwas sehr Natürliches. Es stehen weit wunderbarere Sachen täglich vor unsern Augen, die wir nicht achten, weil sie nicht so nah mit uns verwandt sind.
Daß B. wie mehr Menschen, die kein Gefühl echter Gottesverehrung während ihres Lebens gehabt haben, in ihrem Alter fromm werden, wie man's heißt, ist auch recht gut, wenn man nur sich nicht mit ihnen erbauen soll.
Einige Tage war ich in Frascati mit Rat Reiffenstein, Angelika kam Sonntags, uns abzuholen. Es ist ein Paradies.
"Erwin und Elmire" ist zur Hälfte schon umgeschrieben. Ich habe gesucht dem Stückchen mehr Interesse und Leben zu verschaffen und habe den äußerst platten Dialog ganz weggeschmissen. Es ist Schülerarbeit oder vielmehr Sudelei. Die artigen Gesänge, worauf sich alles dreht, bleiben alle, wie natürlich.
Die Künste werden auch fortgetrieben, daß es saust und braust.
Meine Büste ist sehr gut geraten; jedermann ist damit zufrieden. Gewiß ist sie in einem schönen und edlen Stil gearbeitet, und ich habe nichts dagegen, daß die Idee, als hätte ich so ausgesehen, in der Welt bleibt. Sie wird nun gleich in Marmor angefangen und zuletzt auch in den Marmor nach der Natur gearbeitet. Der Transport ist so lästig, sonst schickte ich gleich einen Abguß; vielleicht einmal mit einem Schiffstransport, denn einige Kisten werd' ich doch zuletzt zusammenpacken.
Ist denn Kranz noch nicht angekommen, dem ich eine Schachtel für die Kinder mitgab?
Sie haben jetzt wieder eine gar graziose Operette auf dem Theater in Valle, nachdem zwei jämmerlich verunglückt waren. Die Leute spielen mit viel Lust, und es harmoniert