Römerinnen: Zwei Novellen. Stendhal

Römerinnen: Zwei Novellen - Stendhal


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für völlig wiederhergestellt.

      »Was soll ich nun beginnen?« fragte sich Missirilli. »Bei einer der schönsten Römerinnen versteckt bleiben? Aber dann bilden sich die schnöden Tyrannen, die mich dreizehn Monate lang im stockdunklen Kerker haben schmachten lassen, am Ende gar ein, sie hätten meinen Mut gebrochen. Italia, du hast wirklich kein Glück, da dich deine Kinder so leicht im Stiche lassen!«

      Vanina zweifelte nicht daran, daß Pietro das höchste Glück darin erblickte, stets mit ihr vereint zu bleiben. Dies schien in der Tat so zu sein. Aber in seiner jungen Seele hatte ein bittres Wort des Generals Bonaparte Widerhall gefunden und ihn von jeher in seinem Verhalten gegen Frauen beeinflußt. Als Bonaparte im Jahre 1796 aus Brescia marschierte, versicherten ihn die Häupter der Stadt, die ihm das Geleit bis ans Stadttor gaben, die Brescianer liebten die Freiheit mehr denn alle anderen Italiener.

      »Das weiß ich!« gab der Korse zur Antwort. »Das sagen sie mit Vorliebe ihren Liebsten!«

      In beklommenem Tone erklärte Pietro:

      »Wenn die Nacht kommt, muß ich fort.«

      »Sieh aber zu, daß du bei Tagesanbruch wieder im Palast bist,« erwiderte Vanina. »Ich werde aufbleiben.«

      »Bei Tagesanbruch bin ich schon mehrere Meilen weg von Rom.«

      »So!« sagte Vanina kalt. »Wohin gehst du?«

      »Nach der Romagna, um mich zu rächen.«

      »Da ich reich bin,« sagte Vanina im ruhigsten Tone, »nimmst du hoffentlich Waffen und Geld von mir an.«

      Ein paar Sekunden schaute Missirilli sie starr an; dann fiel er ihr um den Hals.

      »Stern meines Lebens!« rief er aus. »Deinetwegen könnte ich alles vergessen, selbst meine Pflicht! Aber je edler dein Herz ist, um so mehr mußt du mich verstehen!«

      Vanina begann heftig zu weinen. Sie kamen überein, daß Pietro erst am übernächsten Tage Rom verlassen solle.

      Am andern Morgen sagte Vanina:

      »Pietro, du hast bereits mehrfach gesagt, eine bekannte Persönlichkeit, ein römischer Fürst zum Beispiel, der über viel Geld verfügt, könnte der Sache der Freiheit den größten Dienst leisten, sobald Österreich einmal mit irgendeiner Großmacht im Kriege läge.«

      »Gewiß!« gab Missirilli erstaunt zur Antwort.

      »Höre! Mut hast du. Dir fehlt es nur an Macht. Ich biete dir meine Hand und ein Jahreseinkommen von zweimalhunderttausend Lires. Die Einwilligung meines Vaters verpflichte ich mich zu bringen.«

      Pietro sank ihr zu Füßen nieder. Vanina strahlte vor Freude.

      »Ich liebe dich von ganzem Herzen,« sagte er. »Aber ich bin ein armer Diener meines Vaterlandes. Und je unglücklicher Italien ist, um so treuer muß ich an ihm hängen. Um deines Vaters Einwilligung zu erringen, müßte ich jahrelang eine traurige Rolle spielen … Vanina, ich schlage deine Hand aus!«

      Missirilli klammerte sich an seinen Patriotismus. Sein Mut brach fast zusammen.

      »Es ist mein Unglück,« fuhr er fort, »daß ich dich mehr liebe als das Leben. Rom verlassen zu sollen, ist mir fürchterlich. Ach, warum ist Italien noch immer nicht von den Barbaren befreit! Mit welcher Wonne würde ich dann mit dir über den Ozean gehen, um in Amerika zu leben!«

      Vanina stand da wie eine Marmorstatue. Pietro hatte ihre Hand ausgeschlagen! Ihr Stolz bäumte sich. Dann aber warf sie sich in seine Arme.

      »Nie bist du mir liebenswerter gewesen!« rief sie. »Mein Landdoktorchen, ich bin doch dein auf ewig! Du bist ein ganzer Mann, ein wahrer alter Römer!«

      Alle Zukunftsgedanken, alle die trübseligen Regungen des gesunden Menschenverstandes waren zunichte. Vanina wie Pietro waren voll reinster Liebe.

      Als sie wieder vernünftig zu reden vermochten, sagte die Principessa:

      »Ich werde dir sehr bald in die Romagna nachfolgen. Ich lasse mir die Bäder von Poretto verordnen. In unserm Schlosse zu San Nicolo bei Forli mache ich Station …«

      »Dort will ich mein Leben mit dir verbringen!« beteuerte Missirilli.

      »Mein Schicksal ist fortan, alles aufs Spiel zu setzen,« sagte Vanina und seufzte. »Ich werde mich für dich zugrunde richten. Was tuts? Kannst du eine Entehrte lieben?«

      »Bist du nicht mein Weib?« sagte Missirilli. »Mein immerdar angebetetes Weib! Ich werde dich lieben und schützen!«

      Vanina hatte gesellschaftliche Pflichten. Kaum war sie fort, da dünkte es Missirilli, er habe sich wie ein Barbar benommen.

      »Was heißt Vaterland?« fragte er sich. »Es ist kein lebendiges Wesen, dem wir für eine Wohltat Dank schuldeten. Wenn wir unsre angebliche Pflicht ihm gegenüber nicht erfüllen, wird es nicht unglücklich. Es kann uns nicht verfluchen. Vaterland und Freiheit, das ist, nicht anders wie ein Mantel, ein Ding, das mir nützlich ist. Ich muß es mir erwerben, wenn ich es nicht von meinem Vater ererbt habe. Im Grunde liebe ich beides nur, weil es mir nützliche Dinge sind. Wenn ich sie zu nichts gebrauchen könnte – etwa wie einen Pelzmantel im Hochsommer – wozu wollte ich sie mir erwerben. Um einen so ungeheuerlichen Preis? Vanina ist wunderschön. Sie hat eine erlesene Seele. Andere werden um sie werben. Sie wird mich vergessen. Welche Frau hätte es je bei einem Liebhaber belassen? Die römischen Fürsten, die ich schlichter Bürger verachte, haben so manches vor mir voraus. Sie müssen verführen. Ach, wenn ich scheide, so vergißt mich Vanina, und ich habe sie auf ewig verloren!«

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