Die Jungfrau von Orleans. Friedrich von Schiller
hätte Frankreich seinen schönsten Sieg
Erfochten, sprang der Pöbel um den Wagen.
SOREL. Sie jauchzten – jauchzten, daß sie auf das Herz
Des liebevollen sanften Königs traten!
LA HIRE. Ich sah den jungen Harry Lancaster,
Den Knaben, auf dem königlichen Stuhl
Sankt Ludwigs sitzen, seine stolzen Öhme
Bedford und Gloster standen neben ihm,
Und Herzog Philipp kniet' am Throne nieder
Und leistete den Eid für seine Länder.
KARL. O ehrvergeßner Pair! Unwürdger Vetter!
LA HIRE. Das Kind war bang und strauchelte, da es
Die hohen Stufen an dem Thron hinanstieg.
"Ein böses Omen!" murmelte das Volk,
Und es erhob sich schallendes Gelächter.
Da trat die alte Königin, deine Mutter,
Hinzu, und – mich entrüstet es zu sagen!
KARL. Nun?
LA HIRE. In die Arme faßte sie den Knaben
Und setzt' ihn selbst auf deines Vaters Stuhl.
KARL. O Mutter! Mutter!
LA HIRE. Selbst die wütenden
Burgundier, die mordgewohnten Banden,
Erglüheten vor Scham bei diesem Anblick.
Sie nahm es wahr und an das Volk gewendet
Rief sie mit lauter Stimm: "Dankt mirs, Franzosen,
Daß ich den kranken Stamm mit reinem Zweig
Veredle, euch bewahre vor dem miß-
Gebornen Sohn des hirnverrückten Vaters!"
(Der König verhüllt sich, Agnes eilt auf ihn zu und schließt ihn
in ihre Arme, alle Umstehenden drücken ihren Abscheu, ihr
Entsetzen aus)
DUNOIS. Die Wölfin! – die wutschnaubende Megäre!
KARL (nach einer Pause zu den Ratsherren).
Ihr habt gehört, wie hier die Sachen stehn.
Verweilt nicht länger, geht nach Orleans
Zurück, und meldet meiner treuen Stadt:
Des Eides gegen mich entlaß ich sie.
Sie mag ihr Heil beherzigen und sich
Der Gnade des Burgundiers ergeben,
Er heißt der Gute, er wird menschlich sein.
DUNOIS. Wie Sire? Du wolltest Orleans verlassen!
RATSHERR (kniet nieder). Mein königlicher Herr! Zieh deine Hand
Nicht von uns ab! Gib deine treue Stadt
Nicht unter Englands harte Herrschaft hin.
Sie ist ein edler Stein in deiner Krone,
Und keine hat den Königen, deinen Ahnherrn,
Die Treue heiliger bewahrt.
DUNOIS. Sind wir
Geschlagen? Ists erlaubt, das Feld zu räumen,
Eh noch ein Schwertstreich um die Stadt geschehn?
Mit einem leichten Wörtlein, ehe Blut
Geflossen ist, denkst du die beste Stadt
Aus Frankreichs Herzen wegzugeben?
KARL. Des Blutes ist geflossen und vergebens!
Des Himmels schwere Hand ist gegen mich,
Geschlagen wird mein Heer in allen Schlachten,
Mein Parlament verwirft mich, meine Hauptstadt,
Mein Volk nimmt meinen Gegner jauchzend auf,
Die mir die Nächsten sind am Blut, verlassen,
Verraten mich – Die eigne Mutter nährt
Die fremde Feindesbrut an ihren Brüsten.
– Wir wollen jenseits der Loire uns ziehn,
Und der gewaltgen Hand des Himmels weichen,
Der mit dem Engelländer ist.
SOREL. Das wolle Gott nicht, daß wir, an uns selbst
Verzweifelnd, diesem Reich den Rücken wenden!
Dies Wort kam nicht aus deiner tapfern Brust.
Der Mutter unnatürlich rohe Tat
Hat meines Königs Heldenherz gebrochen!
Du wirst dich wiederfinden, männlich fassen,
Mit edelm Mut dem Schicksal widerstehen,
Das grimmig dir entgegenkämpft.
KARL (in düstres Sinnen verloren). Ist es nicht wahr?
Ein finster furchtbares Verhängnis waltet
Durch Valois' Geschlecht, es ist verworfen
Von Gott, der Mutter Lastertaten führten
Die Furien herein in dieses Haus,
Mein Vater lag im Wahnsinn zwanzig Jahre,
Drei ältre Brüder hat der Tod vor mir
Hinweggemäht, es ist des Himmels Schluß,
Das Haus des sechsten Karls soll untergehn.
SOREL. In dir wird es sich neuverjüngt erheben!
Hab Glauben an dich selbst. – O! nicht umsonst
Hat dich ein gnädig Schicksal aufgespart
Von deinen Brüdern allen, dich den jüngsten
Gerufen auf den ungehofften Thron.
In deiner sanften Seele hat der Himmel
Den Arzt für alle Wunden sich bereitet,
Die der Parteien Wut dem Lande schlug.
Des Bürgerkrieges Flammen wirst du löschen,
Mir sagts das Herz, den Frieden wirst du pflanzen,
Des Frankenreiches neuer Stifter sein.
KARL. Nicht ich. Die rauhe sturmbewegte Zeit
Heischt einen kraftbegabtem Steuermann.
Ich hätt ein friedlich Volk beglücken können,
Ein wild empörtes kann ich nicht bezähmen,
Nicht mir die Herzen öffnen mit dem Schwert,
Die sich entfremdet mir in Haß verschließen.
SOREL. Verblendet ist das Volk, ein Wahn betäubt es,
Doch dieser Taumel wird vorübergehe,
Erwachen wird, nicht fern mehr ist der Tag,
Die Liebe zu dem angestammten König,
Die tief gepflanzt ist in des Franken Brust,
Der alte Haß, die Eifersucht erwachen,
Die beide Völker ewig feindlich trennt;
Den stolzen Sieger stürzt sein eignes Glück.
Darum verlasse nicht mit Übereilung
Den Kampfplatz, ring um jeden Fußbreit Erde,
Wie deine eigne Brust verteidige
Dies Orleans! Laß alle Fähren lieber
Versenken, alle Brücken niederbrennen,
Die über diese Scheide deines Reichs,
Das stygsche Wasser der Loire dich führen.
KARL.