Der versiegelte Engel und andere Geschichten. Николай Лесков
auch sagen mögen, heute gegen Abend ein Boot nehmen und mit meinem Sohne zu Ihnen kommen.«
Pimen redet ihr zu:
»Es ist besser,« sagt er, »wenn wir selber beten. Wir haben einen Schutzengel, dem weihen Sie ein Licht, und wir werden ihm den Schutz Ihres Gemahls anvertrauen.«
»Ach, das ist vortrefflich,« antwortet sie, »ganz vortrefflich! Ich bin sehr froh über diesen Engel; hier ist etwas Geld für Öl, zünden Sie unbedingt drei Lämpchen vor ihm an, und ich werde dann kommen, um es mir anzusehen.«
Pimen gefiel das gar nicht; er kam zu uns und begann zu jammern, daß die Sache so und so stünde.
»Ich habe,« sagte er, »der abscheulichen Ketzerin nicht widersprochen, als sie ihr Begehren äußerte, weil wir ihren Mann notwendig brauchen.« Und so log er uns ganze Körbe voll vor, aber von all dem, was er getan hatte, sagte er nichts. Nun, so unangenehm es uns auch war, es war nichts zu machen. Wir nahmen unsere Heiligenbilder möglichst schnell von der Wand und legten sie in ihre Kisten, aus denen wir die Ersatzbilder holten, die wir aus Furcht vor Beamtenüberfällen bei uns hatten. Diese setzten wir auf die Gestelle und erwarteten unseren Gast. Sie kam und war so aufgeputzt, daß es zum Erschrecken war. Sie fegte mit ihren langen, breiten Bändern nur so hin, schaute alle unsere vertauschten Heiligenbilder durch die Lorgnette an und fragte: »Sagen Sie, bitte, welcher ist hier der wundertätige Engel?«
Wir wissen schon nicht mehr, wie wir sie von dem Gespräch abbringen sollen.
»Wir haben keinen solchen Engel« sagen wir.
Und wie sie auch in uns drang und Pimen schalt, wir zeigten ihr den Engel nicht, sondern führten sie möglichst schnell zum Teetisch und setzten ihr vor, was wir hatten.
Sie mißfiel uns schrecklich, Gott weiß warum: sie sah irgendwie abstoßend aus, obwohl man sie sonst für schön hielt. Wissen Sie, so eine lange Hagere, mit zusammengewachsenen Augenbrauen.
»Solch eine Schönheit gefällt Ihnen nicht?« unterbrach der Bärenpelz den Erzähler.
»Erlauben Sie, was kann einem an einer solchen schlangenähnlichen Gestalt gefallen?« antwortete jener.
»Bei euch hält man wohl eine Frau für schön, wenn sie wie ein Erdhaufen aussieht?«
»Ein Erdhaufen!« wiederholte unser Erzähler lächelnd und ohne gekränkt zu sein. »Warum nehmen Sie das an? Nach unserer echt russischen Auffassung bevorzugen wir einen Typus, der, unserer Meinung nach, viel ansprechender ist, als der, den die jetzige Leichtfertigkeit schätzt, aber durchaus nicht, was man einen Erdhaufen nennen kann. Wir schätzen nur die langen, mageren nicht, sondern lieben es, wenn die Frau nicht auf langen, sondern auf kräftigen Beinen steht, damit sie nicht konfus herumrennt, sondern wie eine Kugel überall hinrollt und auch hinkommt, während die Lange hin und her läuft und stolpert. Die schlangenhafte Schlankheit schätzen wir ebenso wenig, sondern fordern, daß die Frau erdhafter sei und einen Busen habe, denn wenn er auch für die Figur nicht so schön ist, so spricht er doch von der Mutterschaft; die Stirne muß bei der echten russischen Frauenart voll und fleischig sein, weil in ihr dann mehr Lust und Freundlichkeit liegt. Ähnlich ist es mit der Nase. Wir mögen die Hakennasen nicht, sondern die Nase soll wie ein Pfeifchen sein, denn so ein Pfeifchen ist, wenn Sie erlauben, für die Familie viel freundlicher als eine trockene, stolze Nase. Und ganz besonders die Brauen: die Brauen offenbaren den Ausdruck im Gesicht, und deshalb dürfen sie bei der Frau nicht zusammenstoßen, sondern müssen einen offenen Bogen bilden, weil man mit einer solchen Frau viel umgänglicher sprechen kann und sie auf jeden einen ganz anderen, für das Haus einnehmenden Eindruck macht. Freilich der jetzige Geschmack ist von diesem guten Typus abgekommen und bevorzugt beim Frauengeschlecht ätherische Luftigkeit, aber das ist eben schade. Indes, gestatten Sie, wir sprachen nicht davon, und ich fahre lieber in meiner Erzählung fort:
Wie wir die Frau hinausbegleitet haben, merkt unser Pimen als eitler Mensch, daß wir sie abfällig kritisieren, und sagt:
»Was habt ihr denn? Sie ist doch gut.«
Aber wir antworten: »Die soll gut sein, wo sie schon im Gesicht nichts Gutes hat! Aber Gott sei mit ihr: wie sie ist, so wird sie auch bleiben.« Wir waren schon froh, daß wir sie hinausbegleitet hatten, und räucherten gleich mit Weihrauch, damit bei uns auch kein Hauch von ihr zurückbleibe. Danach befreiten wir das Stübchen von den letzten Spuren des Gastes. Die Ersatzbilder legten wir in die Kisten zurück in den Verschlag und holten unsere richtigen Bilder wieder hervor. Wir hoben sie auf die Gestelle, wie vorher, und besprengten sie mit Weihwasser. Dann ging ein jeder zu seinem Schlafplatz, und wir legten uns nieder. Aber Gott allein weiß, warum wir alle in dieser Nacht nicht schlafen konnten und wie ängstlich und unruhig es uns zumute war.
SECHSTES KAPITEL
Am Morgen gingen wir alle an unsere Arbeit, nur Luka Kirillow nicht. Das war in anbetracht seiner Pünktlichkeit erstaunlich, noch erstaunlicher aber war, daß er um acht Uhr ganz verstört und bleich zu uns kam.
Ich wußte, daß er ein Mann war, der sich in der Hand hatte und es nicht liebte, sich unnütz zu grämen, und darum wurde ich aufmerksam und fragte:
»Was hast du, Luka Kirillow?«
Aber er sagt: »Später sage ich es.«
Jung, wie ich damals war, war ich schrecklich neugierig, zudem hatte mich eine Vorahnung gepackt, daß sich irgend etwas Unheilvolles für unseren Glauben ereignet habe. Ich hielt aber den Glauben hoch und war niemals kleingläubig.
Ich konnte es nicht länger aushalten, verließ unter irgendeinem Vorwand die Arbeit und lief nach Hause. Ich dachte mir: solange niemand zu Hause ist, kann ich von Michailiza etwas erfahren. Wenn ihr Luka Kirillow auch nichts eröffnet hat, so durchschaut sie ihn, trotz ihrer Einfalt, und vor mir wird sie nichts verheimlichen, da ich, schon als Kind verwaist, bei ihr an Sohnesstatt aufgewachsen bin, und sie mir wie eine zweite Mutter gewesen ist.
Ich eile zu ihr und sehe sie in einem alten offenen Halbpelz auf dem Freitreppchen sitzen; aber sie ist krank und traurig und ganz fahl im Gesicht.
»Warum sitzen Sie hier, Pflegemutter?« frage ich.
Und sie antwortet:
»Wo soll ich denn sonst bleiben, Marotschka?«
Ich heiße Mark Alexandrow, aber sie nannte mich in ihrer mütterlichen Zärtlichkeit Marotschka.
Was sind das für Dummheiten, denke ich mir, daß sie nicht weiß, wo sie sonst bleiben soll?
»Aber warum,« sage ich, »legen Sie sich denn nicht ein wenig im Schuppen hin?«
»Ich kann nicht, Marotschka,« antwortet sie, »in der großen Stube betet der alte Maroi.«
Aha, denke ich mir, es wird schon so sein, daß sich irgendetwas mit unserm Glauben zugetragen hat; und nun beginnt auch Tante Michailiza:
»Marotschka, du weißt sicher nichts, Kind, von dem, was sich heute nacht bei uns ereignet hat?«
»Nein, Pflegemutter, ich weiß nichts.«
»Ach, es ist schrecklich.«
»Erzählen Sie doch schneller, Pflegemutter!«
»Ich weiß nicht, ob ich es erzählen darf.«
»Warum wollen Sie nicht erzählen?« sage ich: »Bin ich denn für Sie ein Fremder und nicht an Sohnesstatt?«
»Ich weiß, mein Lieber, daß du mir wie ein Sohn bist,« antwortet sie, »aber ich habe kein Vertrauen, daß ich es dir auseinandersetzen kann, denn ich bin dumm und einfältig. Warte doch, nach Feierabend kommt der Onkel, und der wird dir gewiß alles erzählen.«
Aber ich konnte nicht warten und drang in sie:
»Erzähle doch, erzähle doch gleich, was alles geschehen ist.«
Ich sehe, wie sie mit den Lidern blinzelt und wie sich ihre Augen mit Tränen füllen, die sie mit dem Brusttuch abwischt; dann flüstert sie mir leise zu:
»Kind, der Schutzengel ist heute Nacht von uns fortgegangen.«
Diese Eröffnung machte mich zittern.
»Sagen Sie doch bitte