Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil. Theodor Fontane

Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil - Theodor Fontane


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Die feineren Wollen-Zeuge, so berichten die Chronisten, kamen aus Sachsen; aber eben aus dieser speziellen Anführung geht hervor, daß die minder feinen im Lande selber bereitet wurden. Einheimische Arbeit war auch die Leinwand, in welche die Nation sich kleidete und wovon sie zu Segeln und Zelten große Mengen gebrauchte. Es ist also wohl nicht zu bezweifeln, daß der Webstuhl im Wendenlande bekannt war wie im ganzen Norden bis nach Island, und daß die Hände, welche den Flachs und den Hanf dem Erdboden abgewannen, ihn auch zu verarbeiten verstanden. Die Hauptbeschäftigungen blieben freilich Jagd und Fischerei, daneben die Bienenzucht. Das Land wies darauf hin. Noch jetzt, in den slavischen Flachlanden Osteuropas, auf den Strecken zwischen Wolga und Ural, wo weite Heiden mit Lindenwäldern wechseln, begegnen wir denselben Erscheinungen, derselben Beschäftigung. Die Honigerträge waren reich und wichtig, weil aus ihnen der Met gewonnen wurde. Bier wurde aus Gerste gebraut. Die Fische wurden frisch oder eingesalzen gegessen, denn man benutzte die Soolquellen und wußte das Salz aus ihnen zu gewinnen. Vieles spricht dafür, daß sie selbst Bergbau trieben und das Eisen aus dem Erze zu schmelzen verstanden.

      Noch ein Wort über die nationale Kleidung der Wenden. Es liegen nur Andeutungen darüber vor. Daß sie so gewesen sei, oder auch nur ähnlich, wie die Wenden sie jetzt noch tragen, ist wohl falsch. Die wendische Tracht entwickelte sich in den wendisch gebliebenen Gegenden unter dem Einfluß wenn nicht der deutschen Mode, so doch des deutschen Stoffs und Materials, und es bedarf wohl keiner Versicherung, daß die alten ursprünglichen Wenden weder Faltenröcke noch Zwickelstrümpfe, weder Manchestermieder noch Überfallkragen gekannt haben. All dies ist ein in spätern Kulturzeiten Gewordenes, an dem die Wenden-Überreste nolens volens teilnehmen mußten. Giesebrecht beschreibt ihre Kleidung wie folgt: „Zur nationalen Kleidung gehörte ein kleiner Hut, ein Obergewand, Unterkleider und Schuhe oder Stiefel; barfuß gehen wurde als ein Zeichen der äußersten Armut betrachtet. Die Unterkleider konnten gewaschen werden; der Stoff, aus dem sie bestanden, war also vermutlich Leinwand. Das Oberkleid war wollen.“ Über Schnitt und Kleidung und die bevorzugten Farben wird nichts gesagt, doch dürfen wir wohl annehmen, daß sich eine Vorliebe für das Bunte darin aussprach. Der kleine Hut und die leinenen Unterkleider: Rock, Weste, Beinkleid, finden sich übrigens noch bis diesen Tag bei den Spreewalds-Wenden vor. Nur die Frauentrachten weichen völlig davon ab.

      3.

      Charakter. Begabung. Kultus

      In trotzigem Mut,

      Gastfrei und gut,

      Haben für ihre Götter und Sitten

      Sie wie die Märtyrer gelitten.

      Nachdem wir bis hierher die äußere Erscheinung betont und die Frage zu beantworten gesucht haben: wie sahen die alten Wenden aus? wie wohnten sie? wie beschäftigten und wie kleideten sie sich, wenden wir uns in folgendem mehr ihrem geistigen Leben zu, der Frage: wie war ihr Charakter, ihre geistige Begabung, ihr Rechtssinn, ihre Religiosität.

      Die Wenden haben uns leider kein einziges Schriftstück hinterlassen, das uns dazu dienen könnte, die Schilderungen, die uns ihre bittern Feinde, die Deutschen, von ihnen entworfen haben, nötigenfalls zu korrigieren. Wir hören eben nur eine Partei sprechen, dennoch sind auch diese Schilderungen ihrer Gegner nicht dazu angetan, uns mit Abneigung gegen den Charakter der Wenden zu erfüllen. Wir begegnen mehr liebenswürdigen als häßlichen Zügen, und wo wir diese häßlichen Züge treffen, ist es gemeinhin unschwer zu erkennen, woraus sie hervorgingen. Meist waren es Repressalien, Regungen der Menschennatur überhaupt, nicht einer spezifisch bösen Menschennatur.

      Zwei Tugenden werden den Wenden von allen deutschen Chronikenschreibern jener Epoche: Widukind, Thietmar, Adam von Bremen, zuerkannt: sie waren tapfer und gastfrei. Ihre Tapferkeit spricht aus der ganzen Geschichte jener Epoche, und der Umstand, daß sie, trotz Fehden und steter Zersplitterung ihrer Kräfte, dennoch den Kampf gegen das übermächtige Deutschtum zwei Jahrhunderte lang fortsetzen konnten, läßt ihren Mut in allerglänzendstem Lichte erscheinen. Sie waren ausgezeichnete Krieger, zu deren angeborner Tapferkeit sich noch andere kriegerische Gaben, wie sie den Slaven eigentümlich sind, gesellten: Raschheit, Schlauheit, Zähigkeit. Hierin sind alle deutschen Chronisten einig. Eben so einig sind sie, wie schon hervorgehoben, in Anerkennung der wendischen Gastfreundschaft. „Um Aufnahme zu bitten, hatte der Fremde in der Regel nicht nötig; sie wurde ihm wetteifernd angeboten. Jedes Haus hatte seine Gastzimmer und immer offne Tafel. Freigebig wurde vertan, was durch Ackerbau, Fischfang, Jagd, und in den größeren Städten auch wohl durch Handel und Gewerbe gewonnen worden war. Je freigebiger der Wende war, für desto vornehmer wurde er gehalten, und für desto vornehmer hielt er sich selbst. Wurde – was übrigens äußerst selten vorkam – von diesem oder jenem ruchbar, daß er das Gastrecht versagt habe, so verfiel er allgemeiner Verachtung, und Haus und Hof durften in Brand gesteckt werden.“

      Sie waren tapfer und gastfrei, aber sie waren falsch und untreu, so berichten die alten Chronisten weiter. Die alten Chronisten sind indessen ehrlich genug, hinzuzusetzen: „untreu gegen ihre Feinde“. Dieser Zusatz legt einem sofort die Frage nahe: wie waren aber nun diese Feinde? waren sie, ganz von aller ehrlichen Feindschaft, von offenem Kampfe abgesehen, waren diese Feinde ihrerseits von einer Treue, einem Worthalten, einer Zuverlässigkeit, die den Wenden ein Sporn hätte sein können, Treue mit Treue zu vergelten?

      Die Erzählungen der Chronisten machen uns die Antwort auf die Frage leicht; in rühmlicher Unbefangenheit erzählen sie uns die endlosen Perfidien der Deutschen. Dies erklärt sich daraus, daß sie, von Parteigeist erfüllt und blind im Dienst einer großen Idee, die eigenen Perfidien vorweg als gerechtfertigt ansahen. Dagegen war wendischer Verrat einfach Verrat und stand da, ohne allen Glorienschein, in nackter, alltäglicher Häßlichkeit. Der Wende war ein „Hund“, ehrlos, rechtlos, und wenn er sich unerwartet aufrichtete und seinen Gegner biß, so war er untreu. Ein Hund darf nicht beißen, es geschehe ihm was da wolle. Die Geschichte von Mistewoi haben wir gehört, sie zeigt die schwindelnde Höhe deutschen Undanks und deutscher Überhebung. In noch schlimmerem Lichte erscheint das Deutschtum in der Geschichte von Markgraf Gero. Dieser, wie in Balladen oft erzählt, ließ dreißig wendische Fürsten, also wahrscheinlich die Häupter fast aller Stämme zwischen Elbe und Oder, zu einem Gastmahl laden, machte die Erschienenen trunken und ließ sie dann ermorden. Das war 939. Nicht genug damit. Im selben Jahre vollführte er einen zweiten List- und Gewaltstreich. Den Tugumir, einen flüchtigen Fürsten der Heveller, den er durch Versprechungen auf seine Seite zu ziehen gewußt hatte, ließ er nach Brennabor zurückkehren, wo er Haß gegen die Deutschen heucheln und dadurch die alte Gunst seines Stammes sich wieder erobern mußte. Aber kaum im Besitz dieser Gunst, tötete Tugumir seinen Neffen, der in wirklicher Treue und Aufrichtigkeit an der Sache der Wenden hing, und öffnete dann dem Gero die Tore, dessen bloßes Werkzeug er gewesen war. Das waren die Taten, mit denen die Deutschen – freilich oft unter Hilfe und Zutun der Wenden selbst – voranschritten. Weder die Deutschen noch ihre Chronisten, zum Teil hochkirchliche Männer, ließen sich diese Verfahrungsweise anfechten, klagten aber mal auf mal über die „Falschheit der götzendienerischen Wenden“.

      Die Wenden waren tapfer und gastfrei und, wie wir uns überzeugt halten, um kein Haar falscher und untreuer als ihre Besieger, die Deutschen; aber in einem waren sie ihnen allerdings unebenbürtig, in jener gestaltenden, große Ziele von Generation zu Generation unerschütterlich im Auge behaltenden Kraft, die zu allen Zeiten der Grundzug der germanischen Rasse gewesen und noch jetzt die Bürgschaft ihres Lebens ist. Die Wenden von damals waren wie die Polen von heute. Ausgerüstet mit liebenswürdigen und blendenden Eigenschaften, an Ritterlichkeit ihren Gegnern mindestens gleich, an Leidenschaft, an Opfermut ihnen vielleicht überlegen, gingen sie dennoch zu Grunde, weil sie jener gestaltenden Kraft entbehrten. Immer voll Neigung, ihre Kräfte nach außen hin schweifen zu lassen, statt sie im Zentrum zu einen, fehlte ihnen das Konzentrische, während sie exzentrisch waren in jedem Sinne. Dazu die individuelle Freiheit höher achtend als die staatliche Festigung – wer erkennte in diesem allen nicht polnischnationale Züge?

      Wir sprechen zuletzt von dem Kultus der Wenden. Weil die religiöse Seite der zu bekehrenden Heiden unsere christlichen Missionäre selbstverständlich am meisten interessieren mußte, so ist es begreiflich, daß wir über diesen Punkt unserer liutizischen Vorbewohner am besten unterrichtet sind. Die


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