Die Welt auf Schienen. Fürst Artur
ein großes Ausfuhrgeschäft betrieb.
Wiederum entfaltete List eine außerordentliche Tätigkeit, bis alle Punkte geklärt waren. Als dann aber mit Genehmigung der sächsischen Regierung ein endgültiger Arbeitsausschuß von zwölf Männern gewählt wurde, zu denen auch List gehören sollte, da wurde die Gültigkeit seiner Wahl nicht anerkannt, weil er nicht Leipziger Bürger war. Es ist dies der Beginn des Unheils, das fortab List wiederum auf allen seinen Lebenswegen verfolgen sollte.
Am Tag der Ausschreibung wurde das gesamte Aktienkapital von 11⁄2 Millionen Mark sofort voll gezeichnet. Nach vier Tagen zahlte man für die Papiere bereits ein Aufgeld von 221⁄2 vom Hundert. Auch dieser Vorgang verlieh dem weiteren Vordringen der Eisenbahnen in Deutschland einen kräftigen Schwung.
Obgleich es keinem Zweifel unterliegen konnte, daß Lists Raten und Taten die ausschließliche Ursache dieses glänzenden Erfolgs war, begann man doch von jetzt ab, ihn planmäßig beiseite zu schieben. Die kühne, harte und heißblütige Art des großen Manns behagte den Durchschnittsbürgern im Ausschuß nicht. Es kam in den Versammlungen zu sehr häßlichen Auftritten. Man unterbrach List bei seinen Vorträgen, man lud ihn schließlich zu den Beratungen überhaupt nicht mehr ein und fand es unerklärlich, „daß ein Schwabe, der ohne allen Beruf ins Land gekommen und offenbar nur oberflächliche Kenntnisse über die Sache besitze, sich mehr zutrauen wolle als den Koryphäen des Leipziger Handelsstandes“.
Es war um so leichter, List aus seiner eigenen Schöpfung hinauszudrängen, als dieser mit der ganzen Sorglosigkeit des schöpferischen Geists und eines von seiner Sache tief durchdrungenen Manns sich kein bestimmtes Entgelt für seine Tätigkeit ausbedungen hatte. Er begnügte sich damit, daß ihm in unverbindlichen Besprechungen in Aussicht gestellt worden war, er werde in späterer Zeit, wenn das Unternehmen schon guten Ertrag abwerfe, zwei vom Hundert der sämtlichen Aktien zum Ausgabekurs zeichnen dürfen. Da es List nur um die Sache und gar nicht um seine Person zu tun war, sah er von einer festen Abmachung um so eher ab, als er fürchten mußte, daß die Öffentlichkeit sonst leicht der Meinung hätte sein können, daß er nur zu seinem eigenen Nutzen so warm für das Eisenbahnunternehmen eingetreten wäre.
Sein unbedingter Glaube an die Ehrlichkeit der ihm von hervorragenden Bürgern gemachten Zusagen sollte ihn jedoch aufs bitterste enttäuschen. Man glaubte, genug zu tun, wenn man ihm ein Ehrengeschenk von 2000 Talern anbot, im übrigen aber nur leere Dankesworte spendete. Für die persönliche Lage des so Verratenen waren diese Ereignisse um so schlimmer, als er sein in Amerika erworbenes und drüben untergebrachtes Vermögen durch eine Änderung in der Handelspolitik der dortigen Regierung inzwischen wieder verloren hatte.
Das Ende von Lists aufopfernder und fast beispiellos erfolgreicher Tätigkeit für das Zustandekommen der ersten großen Eisenbahnlinie in Deutschland war, daß er endlich vollkommen verdrängt wurde, daß man einen anderen Streckenzug wählte, als er vorgeschlagen hatte, und daß bei der Eröffnung der Bahn niemand mehr an ihn dachte. Die Auszeichnungen und öffentlichen Belobigungen erhielten andere Ausschußmitglieder; List war schon an diesen Festtagen in Leipzig völlig vergessen.
Welch eine große Seele man hier schmachvoll mißhandelt hat, zeigt am besten die Tatsache, daß List trotzdem nicht davon abstand, weiter für den Ausbau von Eisenbahnen in Deutschland zu wirken, weil er sie als notwendig für sein Vaterland erachtete. Er ging zunächst nach Berlin, um vom König von Preußen die Genehmigung für eine Bahn von dort nach Magdeburg und nach Leipzig zu erlangen. Es kam zu keinem Ergebnis, insbesondere weil auch in Berlin, wo man List zunächst sehr freundlich aufgenommen hatte, bald eine Erkaltung der Gefühle ihm gegenüber eintrat. Man hatte sich in Leipzig nach seiner Person erkundigt, und Gustav Harkort stand nicht an, den Mann, der ihn bei der Eisenbahngesellschaft doch erst in den Sattel gesetzt hatte, zu verleumden, ihn als phantastisch und unzuverlässig zu bezeichnen, von den „extravaganten Plänen des Herrn List“ zu sprechen.
Diesen beschäftigte nach dem neuen Mißerfolg die Anlage einer großen Eisenbahnstrecke von Frankfurt nach Basel, wobei er jedoch auch nichts zu erreichen vermochte, da die beteiligten Staaten die Linie selbst anzulegen gedachten.
All das konnte auch jetzt noch Lists eifrigste Tätigkeit für die Ausbreitung des Eisenbahngedankens nicht hemmen. Im Jahre 1835 gründete er eine eigene Zeitschrift, das „Eisenbahn-Journal“, dessen Zweck er selbst folgendermaßen darstellte:
„Die Vorbereitung eines allgemeinen deutschen Eisenbahnsystems ist ein Hauptzweck des Blattes, und die Redaktion wird sich daher besonders bestreben, richtige Ansichten über den Nutzen der Eisenbahn, über die zweckmäßigste Bauart derselben und über die Richtung der Hauptrouten zu vertreten. Sie wird die Verhältnisse der einzelnen Routen mit Rücksicht auf ihren Verkehr, ihre Lokalität und ihre Anlage- und Transportkosten und folglich ihre Ertragsfähigkeit beleuchten und denen, die sich für dergleichen Unternehmungen interessieren, mit gutem Rat beistehen. Auch wird sie sich angelegen sein lassen, das deutsche Publikum über Bewegungen und Fortschritte, welche in dieser Beziehung in dem In- und Ausland stattfinden, in fortlaufender Kenntnis zu erhalten.“
Die uneigennützige Arbeit des unermüdlichen Manns für die ihm so wichtig erscheinende Ausbreitung der Eisenbahnen geht also fort. Wirklich hat das Blatt die Gemüter im Listschen Sinn weiter stark beeinflußt und aufgerüttelt. Das unmittelbare Ergebnis aber war, daß das „Eisenbahn-Journal“ schon im Jahre 1837 in Österreich, wo es sehr viele Leser besaß, verboten wurde und deshalb eingehen mußte.
Jetzt verlegte List seine Tätigkeit nach Frankreich. Doch auch hier konnte er nichts Rechtes erreichen, weil man in Frankreich zu jener Zeit die Eisenbahnaktien als geeignete Gegenstände für das Börsenspiel ansah, wodurch der Gegenstand für List nicht mehr verlockend war.
Als er nach Deutschland zurückkehrte, erhielt er davon Kenntnis, daß die geplante Linie von Halle nach Kassel eine Richtung bekommen sollte, die sehr dazu geeignet war, das Gedeihen der thüringischen Länder zu schädigen. Sofort wies er in der ihm eigenen tatkräftigen Art nach, daß es wichtiger sei, Städte wie Eisenach, Gotha, Erfurt und Weimar zu berühren, als eine kürzere Linie unter Vermeidung der alten thüringischen Landesstraße zu schaffen. Wirklich setzte er eine Abänderung der Linienführung in seinem Sinn durch. Zum Dank erhielt er nichts als ein Geschenk von 100 Louisdor für diese Tätigkeit, die, wie man anerkannte, die thüringischen Staaten „von tödlicher Gefahr gerettet hatte“.
Auch in Bayern, wo man jetzt recht lebhaft an den weiteren Ausbau der Eisenbahnen ging, bot List seine Dienste an, überall stellte er seine großen Erfahrungen auf diesem Gebiet zur Verfügung. Er wurde viel befragt, leistete überall Hilfe, aber nirgends kam es zu einer Anstellung, die er nun recht gern gehabt hätte.
Es bemächtigt sich Lists allmählich eine tiefe Verstimmung über den Undank der Welt. Bevor jedoch die Trübsal allzusehr Herr über seinen Geist werden konnte, schuf er noch sein größtes volkswirtschaftliches Werk, das „Nationale System der politischen Ökonomie“. Es erschien 1841 und hat ihn als Volkswirtschaftler unsterblich gemacht.
Ein mit Arbeit bis zum Rand angefülltes Leben hatte List nicht zu einem wohlhabenden Mann gemacht. Die Sorge um seinen Lebensunterhalt wurde vielmehr immer ärger. Es gesellten sich körperliche Leiden hinzu, die ihn befürchten ließen, daß er bald überhaupt nicht mehr imstande sein würde, geistig zu arbeiten. Immer deutlicher sah der rasch Alternde ein, daß sein Streben für Deutschlands Größe ihm nichts anderes gebracht hatte, als den Verlust seines Vermögens und die Unmöglichkeit des Vorwärtskommens. In einem Brief aus jener Zeit macht er eine recht trübselige Zusammenstellung:
„Als ich im Jahr 1831 aus Amerika zurückkam, hatte ich mir wieder ein unabhängiges Vermögen erworben. Durch mein Bestreben, den Eisenbahnbau und eine nationale Handelspolitik emporzubringen, glaubte ich mich um mein Vaterland verdient zu machen und mich wenigstens bei meinem Vermögen erhalten zu können. Mein Lohn aber war Verfolgung und der Verlust eines großen Teils meines Vermögens.
„Jetzt den Sechzigern nahe und von körperlichen Übeln heimgesucht, sehe ich nur mit Besorgnis in die Zukunft, ja ich traue mir nicht einmal mehr die Kraft zu, zum zweiten Male nach Nordamerika auszuwandern, wohin mich meine dortigen Freunde rufen, und wo ich leicht in einigen Jahren mich wieder erholen könnte.“
Es ist zu einer