Briefe an Ludwig Tieck 3. Various

Briefe an Ludwig Tieck 3 - Various


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liegt, und den Grundzügen nach bereits fertig gewesen ist, ehe Sie vielleicht noch an Ihren Camoëns gedacht hatten. Uebrigens glaube ich, muß auch die Verschiedenheit der Form bei jedem Billigdenkenden meinen Camoëns vor dem Wahnsinn einer Vergleichung mit dem Ihrigen schützen. Wenn Sie den Stoff in reicher epischer Fülle entfalten, uns ein bis in die kleinsten Züge vollendetes Gemälde jenes Zeitalters, jenes Volkes, seiner Gesinnungen und seiner Sitten aufrollen, uns in einem rührenden Stilleben die Heroengestalt des vaterländischsten aller Dichter mit würdevoller Erhebung, mit allen zerstörten Hoffnungen seines sturmbewegten Lebens abschließend vor die Seele führen konnten; wenn Sie mit einem Worte: uns der Gegenwart entrücken, und in eine frischere, lebenskräftigere Vergangenheit versetzen durften; – so war es meine Aufgabe, die Gegenwart nie vergessend, sie vielmehr nur in den Gestalten der Vergangenheit abzuspiegeln. Das Drama, dessen Natur Kampf und Versöhnung ist, zwang mich der Sage zu folgen, und den Zuschauer an das Sterbebett Camoën’s im Hospitale zu führen. Sie gaben mit dem Sehergeiste des Dichters Camoëns, wie er war; ich mußte mich bemühen, ihn zu geben, wie er damals sein konnte, und wie er unter gleichen Verhältnissen heute gewesen seyn würde. Ich mußte, um den Interessen der Gegenwart getreu, meine Ideen über Dichterberuf, Dichterpflicht und Dichterlohn in einer Zeit entwickeln zu können, die so oft und in so vielen Beziehungen an den Tag gelegt hat, wie sehr sie die Wesenheit der Dichternatur mißversteht… ich mußte alle zuckenden Fibern des zerrissenen Dichtergemüthes aufdecken, in alle offnen Wunden der Dichterbrust meine Finger legen, und die Versöhnung von Oben herabholen, wo Sie nur die Narben der Wunden zu zeigen, und die Verklärung schon vorausgesetzt und gegeben im Stoffe zu entwickeln brauchten.

      Doch genug von der Verschiedenheit zweier Werke, die schon der Name ihrer Verfasser hinlänglich begründet.

      Was den Umfang meines Camoëns betrifft, so verkenne ich nicht, daß sein Leben einer andern vollständigeren, dramatischen Bearbeitung fähig ist, und daß sich einer solchen mit Vortheil Ihre Novelle zu Grunde legen ließe. Die Idee meines Werkes aber wies mich ausschließend an sein Ende, und ich glaube, es fehle ihm trotz des Mangels an Begebenheiten nicht an dramatischem Leben. Mir wenigstens scheint die durch das Gespräch mit dem Kaufmann immer steigende Zerfallenheit Camoëns’ mit seiner Laufbahn, die als tragische Verwickelung in der Zusammenkunft mit Perez ihren versöhnenden und erhebenden Abschluß findet, den Erfordernissen des Drama’s – wenn auch vielleicht nicht des Theaters – hinreichend zu entsprechen.

      Der Erfolg auf hiesiger Hofbühne war ein sehr günstiger.

      Somit überlasse ich vertrauensvoll und mit bescheidener Ergebung in Ihre bessere Einsicht mein Werk Ihrer Beurtheilung, sowohl hinsichtlich seines inneren Werthes, als seiner Eignung zur Aufführung auf der Dresdner Hofbühne, und schließe diese Zeilen mit dem Ausdruck der unbegränzten Hochachtung, die seit der ersten Lesung des Phantasus in meinem zwölften Jahre, für Sie und Ihre Werke in stäter Steigerung erfüllt

Ew. Wohlgeborenergebensten DienerMünch.

      N… Wilh

      Ueber den Schreiber nachstehender zwei Briefchen (dessen Familienname wie billig nur durch Punkte angedeutet wird), wissen wir nichts Näheres, als was sich in dem Briefe eines Herrn M. S. aus Winterthur angegeben findet, worin es heißt: „Hr. Prof. E. sagte mir, N. ist nun zerknirscht; und dieß ist das Gute, was sein Austritt in die Welt bewirkt hat. Er wähnte, daß ihm dort Alles offen stände, und hat jetzt gesehn, wie viel ihm fehlt.“ —

      Diese offenbar erbetene Nachricht, so wie eine Stelle in Wolfgang Menzel’s erstem Briefe zeigen deutlich, daß Tieck trotz seines Zürnens, doch nicht aufgehört hat, an dem jungen Menschen, der ihn vielfach betrogen, Theil zu nehmen und sich nach ihm zu erkundigen.

      Jedenfalls sind diese beiden Blättchen geeignet, sowohl psychologische Betrachtungen über ihren Absender als auch Mitleid für Tieck zu erregen, der während seines vieljährigen Aufenthaltes in Dresden unglaublich oft vom Andrange ähnlicher Gesellen zu dulden hatte, und dennoch jeder neuen Täuschung, mit ewig-jugendlicher Hingebung, zugänglich blieb.

      Ueberraschend wird dem Leser die Kunde aus Amerika sein, welche David Strauß in einem seiner Briefe an T. über diesen N. ertheilt.

      I

Dresden, den 5. Oct. 1827.

      Wenn Sie es anmaaßend nennen, verehrter Meister im Leben, wie in der Kunst, daß ich Junge Ihr Schweigen ehrend nicht im Vorsaal bescheiden warte, bis Sie meinen Namen rufen, sondern in Ihr innerstes Gemach dringend Ihre höhere Beschäftigungen mit meinem kleinen Leben stören will, so kann ich zu meiner Entschuldigung Nichts erwiedern, als daß, da mir das Wasser bis an die Seele gestiegen, ich meine Rechnung mit dem Leben schließe. Hören Sie mich an, wie ich dieß meine. Ich habe von der Welt, die Sie um sich in urkräftigem Behagen geschaffen, Alles genossen, ich habe den Pulsschlag gehört, der Alles bewegte, und die feinsten Fibern an den äußersten Spizen des geistigen Körpers mitgefühlt. Ja ich glaubte schon im Traume den geheimen, heiligen Ort betreten zu haben, den Sie allein gefunden haben, wo Lachen und Weinen die lieblichste Melodie bildet, von dem aus in richtiger Perspektive alle Straßen und alle Gäßchen des menschlichen Lebens sich dem Auge darstellen, den, so offen er mitten auf dem Markte liegt, doch Niemand beschreiben kann. Wenn Sie darüber lachen und mich einen betrogenen Thoren schelten, so wag’ ich kühn einen Streit. Betrogen bin ich, aber – nur als Betrüger. Auch in Ihrer Schöpfung, das weiß ich wohl, gilt das herbe Wort: Mit Schweiß mußt Du Dir Dein Brod gewinnen! Daß ich aber darum den Meister betrügen konnte, ist mir eben das einzige, unaufgelöste Räthsel. Daß ich kein Faust bin, sag ich mit demselben Gefühl, das Hamlet lachen macht, wenn er sich dem Herkules vergleicht. Wohl aber kann ich mich wörtlich einen Don Juan nennen. Auch mit derselben Frechheit bin ich hieher gekommen und habe Ihren Geist gerufen und rufe Ihn wieder. Ja, ich flehe Sie an, treten Sie mir, nur eine Minute treten Sie mir, wenn ich so sagen darf, unkörperlich entgegen, so ist ja Alles entschieden. Entweder kann ich dann Ihren Anblick ertragen und – ich bin erlöst, die göttliche Gnade hat an dem Sünder Wohlgefallen und wem viel vergeben ist, der liebt viel, ich kann in Nichts ungöttliches mehr zurückfallen, oder ich kann Ihren Anblick nicht ertragen, verdammt sink ich nieder, Alles war Schein und Lug und Trug, und eine ewige Oede, eine unermeßliche Leere steht vor mir.

      Ich habe, was ich geschrieben, wieder durchgelesen, aber mit Schrecken, wenn das Gefühl, von dessen Instinkt geleitet ich schrieb, nicht in dem Augenblick noch als mein eigenstes Leben pulsierte, ich verstände mich nicht aus diesen Worten, ach darum nur bin ich so unglückseelig, so verlassen u. einsam, wie keiner, weil Alles, was ich gebäre, todt zur Welt kommt – ja wenn ich mir denke, diese Worte vollends von einem Andern zu lesen, wie verächtlich würd’ ich darüber lachen, es schienen mir hochtönende Phrasen, leerer Schellenklang, die Unverjohrenheit, die man alltäglich sieht, und doch wag’ ich, gerade eine solche Sprache mit Ihnen, die mir schon zu niedrig ist? Ja! von Ihnen kann ich am wenigsten fürchten. Wie Ihnen Etwas erscheint, also ist es auch in der Wahrheit, sind es Ihnen Worte, so sind es auch wahrhaftig nichts, als Worte. Ich aber bin – ein dummer Teufel

Wilh. N…

      II

Sonntag Abend.Theuerster Mann!

      Arg hat mich mein eigen Gewissen ob der Grobheit, mit der ich Ihnen genaht bin, gefoltert. Ich bitte Sie unter heißen Thränen, vergeben Sie dieß einem Knaben, den freilich der albernste Uebermuth zu Ihnen geführt hat, der aber dadurch hart genug gestraft ist, daß er Heimath, Verwandte und Freunde, ach Alles, worin er ganz lebte, verloren hat und nun einsam in der kalten Fremde da steht. Ich bin wieder demüthig geworden und habe Gott gebeten, er möchte mich nur irgend Etwas brauchbares noch werden lassen; wie ichs aber angreifen soll, um den Faden wieder aufzunehmen, nachdem die Jugend verloren ist, weiß ich nicht, ich habe Niemand, der mir rathen könnte, als Sie. Und wahrhaftig – Sie wären gewiß nicht so böse auf den letzten Brief geworden, wenn Sie gewußt hätten, wie schwer mirs auf dem Herzen lag, daß Sie mich für einen ganz andern ansahen. Den angenommenen Doktorrock wollt ich abwerfen und als armer Junge Ihnen zu Füßen fallen. Gebe Gott, daß Sie mir ins Herz sehen!

Voll der innigsten VerehrungWilhelm N…

      Nicolai, Christoph


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