Der Zauberberg. Volume 2. Томас Манн

Der Zauberberg. Volume 2 - Томас Манн


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dem Athener, der Nölting Und ihrer Freundin, die vor Leidenschaft der eigenen Ehre wenig geachtet hatte, den Laufpaß geben müssen und eben jetzt mit seinem Assistenten, bei dem übrigens Ammy sowohl wie die Verräterin in Privatbe-handlung gestanden hatten, die widrige Sache durchgesprochen. Auch während der Untersuchung der Vettern fuhr er noch fort, im Tone der Schwermut und der Resignation sich darüber aus-zulassen, denn er war ein so fertiger Künstler der Auskultation, daß er zugleich eines Menschen Inneres belauschen, von etwas anderem reden und dem Assistenten das Erhorchte diktieren konnte.

      "Ja, ja, Gentlemen, die verfluchte libido!" sagte er. "Sie ha-ben natürlich noch Ihr Vergnügen an der Chose, Ihnen kann's recht sein. – Vesikulär. – Aber so ein Anstaltschef, der hat davon die Neese plein, das können Sie mir – Dämpfung – das können Sie mir glauben. Kann ich dafür, daß die Phthise nun mal mit be-sonderer Konkupiszenz verbunden ist – leichte Rauhigkeit? Ich habe es nicht so eingerichtet, aber eh' man sich's versieht, steht man da wie ein Hüttchenbesitzer, – verkürzt hier unter der lin-ken Achsel. Wir haben die Analyse, wir haben die Aussprache, – ja Mahlzeit! Je mehr die Rasselbande sich ausspricht, desto lü-sterner wird sie. Ich predige die Mathematik. – Besser hier, das Geräusch ist weg. – Die Beschäftigung mit der Mathematik, sage ich, ist das beste Mittel gegen die Kupidität. Staatsanwalt Pa-ravant, der stark angefochten war, hat sich drauf geworfen, er hat es jetzt mit der Quadratur des Kreises und spürt große Er-leichterung. Aber die meisten sind ja zu dumm und zu faul da-zu, daß Gott erbarm'. – Vesikulär. – Sehen Sie, ich weiß ganz gut, daß junges Volk hier gar nicht ganz unschwer verlumpt und verkommt, und früher habe ich manchmal einzuschreiten ver-sucht gegen die Debauchen. Aber dann ist es mir passiert, daß irgendein Bruder oder Bräutigam mich ins Gesicht hinein ge-fragt hat, was es mich eigentlich angehe. Seitdem bin ich nur noch Arzt – schwaches Rasseln rechts oben."

      Er war fertig mit Joachim, steckte sein Hörrohr in die Kitteltasche und rieb sich mit der riesigen Linken die beiden Augen, wie er zu tun pflegte, wenn er "abfiel" und melancholisch War. Halb mechanisch und zwischendurch gähnend vor Mißlaune sagte er sein Sprüchlein her:

      "Na, Ziemßen, nur immer munter. Ist ja noch immer nicht alles genau so, wie es im Physiologiebuche steht, hapert noch da und da, und mit Gaffky haben Sie Ihre Angelegenheiten auch noch nicht restlos bereinigt, sind sogar in der Skala gegen neu-lich um eine Nummer aufgerückt, – sechs ist es diesmal, aber darum nur keinen Weltschmerz geblasen. Als Sie herkamen, waren Sie kränker, das kann ich Ihnen schriftlich geben, und wenn Sie noch fünf, sechs Monate – wissen Sie, daß man früher 'mânôt' sagte und nicht 'Monat'? War eigentlich viel volltöni-ger. Ich habe mir vorgenommen, nur noch 'Manot' zu sagen –"

      "Herr Hofrat", setzte Joachim an … Er stand, mit bloßem Oberkörper, in geschlossener Haltung, Brust heraus, die Absätze zusammengenommen, und war so fleckig im Gesicht wie da-mals, als Hans Castorp bei bestimmter Gelegenheit erstmals be-merkt hatte, daß dies die Art des tief Gebräunten sei, blaß zu werden.

      "Wenn Sie", redete Behrens über seinen Anlauf hin, "noch rund ein halbes Jährchen hier stramm Gamaschendienst tun, dann sind Sie ein gemachter Mann, dann können Sie Konstantinopel erobern, dann können Sie vor lauter Markigkeit Oberbe-fehlshaber in den Marken werden –"

      Wer weiß, was er in seiner Verdüsterung noch alles gekohlt haben würde, wenn Joachims unbeirrte Haltung, seine unver-kennbare Gewilltheit, zu sprechen, und zwar mutig zu sprechen, ihn nicht aus dem Konzept gebracht hätte.

      "Herr Hofrat", sagte der junge Mann, "ich wollte gehorsamst melden, daß ich mich entschlossen habe, zu reisen."

      "Nanu? Wollen Sie Reisender werden? Ich dachte, Sie woll-ten später mal, als gesunder Mensch, zum Militär?"

      "Nein, ich muß jetzt abreisen, Herr Hofrat, in acht Tagen."

      "Sagen Sie mal, hör' ich recht? Sie werfen die Flinte hin, Sie wollen durchbrennen? Wissen Sie, daß das Desertion ist?"

      "Nein, das ist nicht meine Auffassung, Herr Hofrat. Ich muß nun zum Regiment."

      "Obgleich ich Ihnen sage, daß ich Sie in einem halben Jahr bestimmt entlassen kann, daß ich Sie aber vor einem halben Jahr nicht entlassen kann?"

      Joachims Haltung wurde immer dienstlicher. Er nahm den Magen herein und sagte kurz und gepreßt: "Ich bin über andert-halb Jahre hier, Herr Hofrat. Ich kann nicht länger warten. Herr Hofrat haben ursprünglich gesagt: ein Vierteljahr. Dann ist meine Kur immer wieder viertel – und halbjahrsweise verlängert worden, und ich bin immer noch nicht gesund."

      "Ist das mein Fehler?"

      "Nein, Herr Hofrat. Aber ich kann nicht länger warten. Wenn ich nicht ganz den Anschluß verpassen will, so kann ich meine richtige Genesung hier oben nicht abwarten. Ich muß jetzt hinunter. Ich brauche noch etwas Zeit für meine Equipie-rung und andere Vorbereitungen."

      "Sie handeln im Einverständnis mit Ihrer Familie?"

      "Meine Mutter ist einverstanden. Es ist alles abgemacht. Ich trete ersten Oktober als Fahnenjunker bei den Sechsundsiebzigern ein."

      "Auf jede Gefahr?" fragte Behrens und sah ihn aus blutunterlaufenen Augen an …

      "Zu Befehl, Herr Hofrat", antwortete Joachim mit zuckenden Lippen.

      "Na, dann is gut, Ziemßen." Der Hofrat wechselte die Mie-ne, gab nach in seiner Haltung und ließ in jeder Weise locker. "Is gut, Ziemßen. Rühren Sie! Reisen Sie mit Gott. Ich sehe, Sie wissen, was Sie wollen, Sie nehmen die Sache auf sich, und so-viel stimmt, daß es Ihre Sache ist, nicht meine, von dem Augen-blick an, wo Sie sie auf sich nehmen. Selbst ist der Mann. Sie reisen ohne Garantie, ich stehe für nichts. Aber bewahre, es kann ganz gut gehen. Ist ja ein luftiger Beruf, den Sie ergreifen. Kann durchaus sein, daß es Ihnen bekommt, und daß Sie sich herausbeißen."

      "Jawohl, Herr Hofrat."

      "Na, und Sie, junger Mann aus dem Zivilpublikum? Sie wollen wohl mit?"

      Das war Hans Castorp, der antworten sollte. Er stand da, ebenso bleich wie vor Jahresfrist bei jener Untersuchung, die seine Aufnahme herbeigeführt hatte, stand auf demselben Fleck wie damals, und wieder war deutlich das Pulsen seines Herzens gegen die Rippen zu sehen. Er sagte:

      "Ich möchte es von Ihrem Votum abhängig machen, Herr Hofrat."

      "Meinem Votum. Schön!" Und er zog ihn am Arme an sich, horchte und klopfte. Er diktierte nicht. Es ging ziemlich schnell. Als er fertig war, sagte er:

      "Sie können reisen."

      Elans Castorp stotterte:

      "Das heißt … wieso? Bin ich denn gesund?"

      "Ja, Sie sind gesund. Die Stelle links oben ist nicht mehr der Rede wert. Ihre Temperatur paßt nicht zu der Stelle. Woher sie kommt, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich nehme an, daß sie wei-ter nichts zu bedeuten hat. Meinetwegen können Sie reisen."

      "Aber … Herr Hofrat … Das ist vielleicht im Augenblick nicht Ihr voller Ernst?"

      "Nicht mein Ernst? Wieso denn? Was denken Sie denn? Was denken Sie überhaupt so beiläufig von mir, möchte ich wissen? Wofür halten Sie mich? Für einen Hüttchenbesitzer?!"

      Es war Jähzorn. Die Bläue in des Hofrats Gesicht hatte sich ins Veilchenfarbene vertieft durch lodernden Zudrang, die ein-seitige Schürzung seiner Lippe mit dem Schnurrbärtchen sich heftig verstärkt, so daß die seitlichen Oberzähne sichtbar wur-den, er schob schon den Kopf vor, wie ein Stier, seine Augen quollen tränend und blutig.

      "Das verbitte ich mir!" schrie er. "Ich bin erstens überhaupt kein Besitzer! Ich bin Angestellter hier! Ich bin Arzt! Ich bin nur Arzt, verstehen Sie mich?! Ich bin kein Kuppelonkel! Ich bin kein Signor Amoroso auf dem Toledo im schönen Neapel, verstehen Sie mich wohl?! Ich bin ein Diener der leidenden Menschheit! Und sollten Sie sich eine andere Auffassung gebil-det haben von meiner Person, dann können Sie beide zum Kuk-kuck gehen, in die Binsen oder vor die Hunde, ganz nach belie-biger Auswahl! Glückliche Reise!"

      Mit langen und breiten Schritten ging er zur Tür hinaus, durch die Tür, die ins Vorderzimmer des Durchleuchtungsraumes führte, und ließ sie hinter sich zukrachen.

      Rat suchend blickten die Vettern auf Dr. Krokowski, der sich jedoch in seine Papiere


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