Lebens-Ansichten des Katers Murr. Эрнст Гофман

Lebens-Ansichten des Katers Murr - Эрнст Гофман


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und ließ dann den seelenvollen leuchtenden Blick seiner großen dunklen Augen auf Julia ruhen, deren Verlegenheit noch dadurch erhöht wurde, so daß ihr, wie es in dergleichen Fällen ihr zu geschehen pfl egte, die Tränen in die Augen traten.

      «Und diese Himmelstöne», begann der Fremde endlich mit weicher sanfter Stimme, «und diese Himmelstöne schweigen vor meinem Anblick und zerfl ießen in Tränen?»

      Die Prinzessin, den ersten Eindruck, den der Fremde auf sie gemacht, mit Gewalt niederkämpfend, blickte ihn stolz an und sprach dann mit beinahe schneidendem Ton: «Allerdings überrascht uns Ihre plötzliche Erscheinung, mein Herr! man erwartet um diese Zeit keine Fremden mehr im fürstlichen Park. – Ich bin die Prinzessin Hedwiga.» -

      Der Fremde hatte sich, sowie die Prinzessin zu sprechen begann, rasch zu ihr gewendet und schaute ihr jetzt in die Augen, aber sein ganzes Antlitz schien ein andres worden. – Vertilgt war der Ausdruck schwermütiger Sehnsucht, vertilgt jede Spur des tief im Innersten aufgeregten Gemüts, ein toll verzerrtes Lächeln steigerte den Ausdruck bitterer Ironie bis zum Possierlichen, bis zum Skurrilen. – Die Prinzessin blieb, als träfe sie ein elektrischer Schlag, mitten in der Rede stecken und schlug, blutrot im ganzen Gesicht, die Augen nieder.

      Es schien, als wollte der Fremde etwas sagen, in dem Augenblick begann indessen Julia: «Bin ich nicht ein dummes törichtes Ding, daß ich erschrecke, daß ich weine wie ein kindisches Kind, das man ertappt über dem Naschen! – Ja, mein Herr! ich habe genascht, hier die treffl ichsten Töne weggenascht von Ihrer Gitarre – die Gitarre ist an allem schuld und unsere Neugier! – Wir haben Sie belauscht, wie Sie mit dem kleinen Dinge so hübsch zu sprechen wußten, und wie Sie dann im Zorne die Arme wegschleuderten in das Gebüsch, daß sie im lauten Klageton ausseufzte, auch das haben wir gesehen. Und das ging mir so recht tief ins Herz, ich mußte hinein in das Dickicht und das schöne liebliche Instrument aufheben. – Nun, Sie wissen wohl, wie Mädchen sind, ich klimpere etwas auf der Guitarre, und da fuhr es mir in die Finger – ich konnt’ es nicht lassen. – Verzeihen Sie mir, mein Herr, und empfangen Sie Ihr Instrument zurück.»

      Julia reichte die Gitarre dem Fremden hin. «Es ist», sprach der Fremde, «ein sehr seltnes klangvolles Instrument, noch aus alter guter Zeit her, das nur in meinen ungeschickten Händen – doch was Hände – was Hände! – Der wunderbare Geist des Wohllauts, der diesem kleinen seltsamen Dinge befreundet, wohnt auch in meiner Brust, aber eingepuppt, keiner freien Bewegung mächtig; doch aus Ihrem Innern, mein Fräulein, schwingt er sich auf zu den lichten Himmelsräumen, in tausend schimmernden Farben, wie das glänzende Pfauenauge. – Ha, mein Fräulein! als Sie sangen, aller sehnsüchtige Schmerz der Liebe, alles Entzücken süßer Träume, die Hoffnung, das Verlangen wogte durch den Wald und fi el nieder wie erquickender Tau in die duftenden Blumenkelche, in die Brust horchender Nachtigallen! – Behalten Sie das Instrument, nur Sie gebieten über den Zauber, der in ihm verschlossen!» -

      «Sie warfen das Instrument fort», erwiderte Julia hoch errötend. «Es ist wahr», sprach der Fremde, indem er mit Heftigkeit die Guitarre ergriff und an seine Brust drückte, «es ist wahr, ich warf es fort und empfange es geheiligt zurück; nie kommt es mehr aus meinen Händen!» -

      Plötzlich verwandelte sich nun das Antlitz des Fremden wieder in jene skurrile Larve, und er sprach mit hohem schneidenden Ton: «Eigentlich hat mir das Schicksal oder mein Kakodämon einen sehr bösen Streich gespielt, daß ich hier so ganz ex abrupto, wie die Lateiner und noch andere ehrliche Leute sagen, vor Ihnen erscheinen muß, meine hochverehrtesten Damen! – O Gott gnädigste Prinzessin, riskieren Sie es, mich anzuschauen von Kopf bis zu Fuß. Sie werden denn aus meinem Ajustement zu entnehmen geruhen, daß ich mich auf einer großen Visitenfahrt befi nde. – Ha! ich gedachte eben bei Sieghartsweiler vorzufahren und der guten Stadt, wo nicht meine Person, doch wenigstens eine Visitenkarte abzugeben. – O Gott! fehlt es mir denn an Konnexionen, meine gnädigste Prinzessin? – War nicht sonst der Hofmarschall Dero Herrn Vaters mein Intimus? – Ich weiß es, sah er mich hier, so drückte er mich an seine Atlasbrust und sagte gerührt, indem er mir eine Prise darbot: “Hier sind wir unter uns, mein Lieber, hier kann ich meinem Herzen und den angenehmsten Gesinnungen freien Lauf lassen.” – Audienz hätte ich erhalten bei dem gnädigsten Herrn Fürsten Irenäus und wäre auch Ihnen vorgestellt worden, o Prinzessin! Vorgestellt worden auf eine Weise, daß ich mein bestes Gespann von Septime-Akkorden gegen eine Ohrfeige setze, ich hätte Ihre Huld erworben! – Aber nun! – hier im Garten am unschicklichsten Orte zwischen Ententeich und Froschgraben, muß ich mich selbst präsentieren, mir zum ewigen Malheur! – O Gott, könnt’ ich nur was weniges hexen, könnt’ ich nur subito diese edle Zahnstocherbüchse (er zog eine aus der Westentasche hervor) verwandeln in den schmuckesten Kammerherrn des Irenäusschen Hofes, welcher mich beim Fittich nähme und spräche: Gnädigste Prinzessin hier ist der und der! – Aber nun! – che far’, che dir’! – Gnade – Gnade, o Prinzessin, o Damen! – o Herren!»

      Damit warf sich der Fremde vor der Prinzessin nieder und sang mit kreischender Stimme: «Ah pietà, pietà Signora!»

      Die Prinzessin faßte Julien und rannte mit ihr unter dem lauten Ausruf: «Es ist ein Wahnsinniger, ein Wahnsinniger, der dem Tollhause entsprungen!» so schnell von dannen, als sie es nur vermochte.

      Dicht vor dem Lustschlosse kam die Rätin Benzon den Mädchen entgegen, die atemlos ihr beinahe zu Füßen sanken. «Was ist geschehen, um des Himmels willen, was ist euch geschehen, was bedeutet die übereilte Flucht?» So fragte sie. Die Prinzessin vermochte, außer sich, verstört wie sie war, nur in abgebrochenen Reden etwas von einem Wahnsinnigen herzustammeln, der sie überfallen. Julia erzählte ruhig und besonnen, wie sich alles begeben, und schloß damit, daß sie den Fremden durchaus nicht für wahnsinnig, sondern nur für einen ironischen Schalk, wirklich für eine Art von Monsieur Jacques halte, der zur Komödie im Ardenner Walde passe.

      Die Rätin Benzon ließ sich alles nochmals wiederholen, sie fragte nach dem kleinsten Umstande, sie ließ sich den Fremden beschreiben in Gang, Stellung, Gebärde, Ton der Sprache u.s.w. «Ja», rief sie dann, «ja, es ist nur zu gewiß, er ist es, er ist es selbst, kein anderer kann – darf es sein.»

      «Wer – wer ist es?», fragte die Prinzessin ungeduldig. «Ruhig, liebe Hedwiga», erwiderte die Benzon, «Sie haben Ihren Atem umsonst verkeucht, kein Wahnsinniger ist dieser Fremde, der Ihnen so bedrohlich erschien. Welchen bittern unziemlichen Scherz er sich auch seiner barocken Manier gemäß erlaubte, so glaube ich doch, daß Sie sich mit ihm aussöhnen werden.»

      «Nimmermehr», rief die Prinzessin, «nimmermehr sehe ich ihn wieder, den – unbequemen Narren.»

      «Ei Hedwiga», sprach die Benzon lachend, «welcher Geist gab Ihnen das Wort unbequem ein, das nach dem, was vorgegangen, viel besser paßt, als Sie vielleicht selbst glauben und ahnen mögen.»

      «Ich weiß auch gar nicht», begann Julia, «wie du auf den Fremden so zürnen magst, liebe Hedwiga! – Selbst in seinem närrischen Tun, in seinen wirren Reden lag etwas, das auf seltsame und gar nicht unangenehme Weise mein Innerstes anregte. Wohl dir, erwiderte die Prinzessin, indem ihr die Tränen in die Augen traten, wohl dir, daß du so ruhig sein kannst und unbefangen, aber mir zerschneidet der Hohn des entsetzlichen Menschen das Herz! – Benzon! – wer ist es, wer ist der Wahnsinnige?» «Mit zwei Worten», sprach die Benzon, «erkläre ich alles. Als ich mich vor fünf Jahren in – »

      (M. f. f.) – mich überzeugte, daß in einem echten, tiefen Dichtergemüt auch kindliche Tugend wohnt und Mitleid mit dem Bedrängnis der Genossen.

      Eine gewisse Schwermut, wie sie oft junge Romantiker befällt, wenn sie den Entwicklungskampf der großen Gedanken in ihrem Innern bestehen, trieb mich in die Einsamkeit. Unbesucht blieben mehrere Zeit hindurch Dach, Keller und Boden. Ich empfand mit jenem Dichter die süßen idyllischen Freuden im kleinen Häuschen am Ufer eines murmelnden Bachs, umschattet von düster belaubten Hängebirken und Trauerweiden, und blieb, mich meinen Träumen hingebend, unter dem Ofen. So kam es aber, daß ich Mina, die süße schöngefl eckte Mutter, nicht wiedersah. – In den Wissenschaften fand ich Trost und Beruhigung. O, es ist etwas Herrliches um die Wissenschaften! – Dank, glühender Dank dem edlen Mann, der sie erfunden. – Wie viel herrlicher, wie viel nützlicher ist diese Erfi ndung als


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