In der Mondnacht. Hans Wachenhusen

In der Mondnacht - Hans Wachenhusen


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      In der Mondnacht / Märchen

      Wie ich zu den Märchen kam

      In einem einsamen Wirthshause des Thüringer Waldes übernachtete ich im letzten Sommer, als ich auf der Reise war. Ich konnte nicht einschlafen und dachte allerlei bei mir, was man so denkt, wenn man nichts Anderes zu thun hat.

      Da ging der Mond hinter dem Inselberge auf und leuchtete in mein Zimmer, ich aber rieb mir die Augen und sagte zu mir: »es ist nur gut, daß der Mond da ist, so sind wir doch unsrer Zwei in dem einsamen Zimmer; du willst ihm nur das Fenster öffnen, damit er herein kann!«

      Das that ich denn auch, und während ich vom Bett aus in den Mond schaute, sah ich einen hellen, breiten Strahl herein dringen, der fast wagerecht von draußen auf meine Brust fiel.

      Ich betrachtete mir den sonderbaren Strahl genauer, und da sah ich denn, daß er eine Mondstraße war, die war wie eine Chaussee mit Kies gedämmt, ganz wie eine rechtschaffene Chaussee, für die man mit gutem Gewissen Zollgeld einnehmen kann, nicht wie die Chausseen der Leipziger Promenaden, auf die man immer halbe Pfund-Kieselsteine streut, damit der Schuster nur recht viel Geld verdient. Und auch die Meilensteine standen ganz regelrecht in gewisser Entfernung von einander da, ordentlich mit Zahlen darauf, aus denen ein gewöhnliches Menschenkind nie recht klug werden kann. Aber was noch das Beste war: mein kleines Fenster, durch welches diese Straße ging, sah aus, als wäre es das Chausseehaus mit dem Schlagbaum.

      – So was lebt nicht! dachte ich bei mir. Seit wann werden denn schon die Mondstrahlen gepflastert?… »Aber«, dachte ich weiter, als ich's mir recht überlegt hatte, »im Grunde ist das doch schön, du kannst hier nun den Chausseegeld-Einnehmer spielen und also auf der Reise noch Geld verdienen. Du willst jetzt Zöllner sein und der erste Wagen, der des Weges kommt, muß Zoll bezahlen!«

      Kaum hatt' ich dies gedacht, da sah ich in der Ferne einen Wagen die Mondchaussee herabkommen. Aber was war das für ein wunderliches kleines Fuhrwerk!

      Der Wagen bestand aus einem reifen Mohnkopf, an den ein paar Sternblumen als Räder geklebt waren. In dem Mohnkopf saß ein kleiner Fuhrmann, kaum einen Käse hoch, der hielt die vom feinsten Spinngewebe gedrehten Zügel in der Hand und schwang das Fühlhorn eines Goldkäfers als Peitsche. Vor dem Wagen aber galoppirten vier große Mücken von denen mit dem Büschel auf dem Kopf, wie im Winter die Schlittenpferde. Diese Mücken hatten ordentlich ein kleines Gebiß im Munde, sie waren ganz nach alter Fuhrmannsregel aufgeschirrt und ich glaube, sie hatten auch kleine Hufeisen unter den Füßen, denn sie galoppirten mit ihren langen Beinen daher, daß es eine Lust war. Aber mager waren sie doch ganz entsetzlich; sie mochten wohl von echt englischer Raçe sein.

      – Hollah! rief ich dem Fuhrmann zu, als er an's Fenster kam; hier wird Chausseegeld bezahlt.

      Er aber ließ sich gar nichts merken, war wie ein Wind durchs Fenster und kutschirte gerade auf mich zu.

      – Oho! rief ich, als er mir auf den Leib kam; mein Bett ist doch keine Ausspannung für Wagen und Pferde?

      Er aber ließ sich wieder nichts merken, rief »Brr!« stieg aus, band seine Pferde an mein Nachtlicht und marschirte auf der Bettdecke zu mir.

      – Guten Abend, alter Kamerad! rief er mir so ungenirt zu, als wären wir zusammen in die Schule gegangen.

      – Guten Abend! antwortete ich, den kleinen Kerl groß ansehend. »Wer bist Du, und hast Du auch einen Paß bei Dir?«

      – Brauche keinen Paß! Reise überall frank und frei umher!

      – So? Dann mußt Du wohl sehr weit herkommen? Laß das nur die Polizei nicht merken!

      – Giebt für mich gar keine Polizei! sagte er so stolz, als wäre er mindestens der Kaiser von Rußland.

      – Höre 'mal, kleiner Patron, Du scheinst mir ein Landstreicher zu sein!… Doch gleichviel, ich will Dich nicht verrathen; sag' mir nur, wer Du bist.

      – Du kennst mich also nicht mehr! Was für ein kurzes Gedächtniß Ihr Menschen doch habt!… Ich bin ja Puck!

      – So? Du bist Puck?… Und wer ist denn Puck, wenn ich fragen darf?

      – Was? Du willst ein Dichter sein und kennst den kleinen Puck nicht einmal?… Schämen solltest Du Dich!

      – Nun ja, Du närrischer Kauz, da wir unter uns sind, will ich das ja gerne thun; aber sage mir wenigstens…

      – Ich bin ja der kleine Puck, der Euch einfältigen Leuten, die Ihr Euch Dichter nennt, alle die schönen Märchenträume erzählt. Was wäret Ihr wohl ohne mich?

      – So? Also Du bist der kleine Schelm?

      – Das will ich meinen! Ich reise in der ganzen Welt umher und erzähle, was ich weiß, den Märchenschreibern. Andersen in Dänemark, die beiden Grimm's in Deutschland, Asbjörnsen und Jörgen Moe in Norwegen, Alle haben sie ihre Märchen von mir und noch gestern Nacht war ich in England und habe dem Charles Dickens ein ganz famöses Märchen erzählt.... Alle, wie sie da gebacken sind, wüßten sie nicht so viel ohne mich! rief der kleine Wicht, mir ein Schnippchen vor der Nase schlagend.

      – Aber was willst Du denn bei mir? fragte ich ihn.

      – Dir auch was erzählen!

      – Aber doch was Gescheidtes?

      – Das versteht sich! Thu' nur die Ohren auf!

      – Gut; so fange an!

      Rittlings setzte sich nun der kleine Knirps auf eine Falte meiner Bettdecke, fing an zu erzählen und machte dabei immer so und so mit den Händen wie der Pastor, wenn er auf der Kanzel steht.

      Das dauerte wohl bis gegen Morgen. Als er fertig war, griff er in die Tasche, legte mir ein Mohnkörnchen in jedes Auge, und ich schlief ein.

      Wo er geblieben ist, weiß ich nicht; was er mir aber erzählt, das habe ich hier getreulich nieder geschrieben.

      Des Königs Fernrohr

      Hört an: Es war einmal ein König, der hatte viel Land und Leute, sein Reich erstreckte sich von Aufgang bis Niedergang der Sonne, auch herrschte viel Gelehrsamkeit und Verkehr in demselben, und Das, meinte er, sei sein Werk.

      Aber seine Unterthanen sagten ihm nach, er sei zwar ein recht guter König, doch lasse er sein Land durch seine Minister und Beamten regieren, die es aussögen, den König hintergingen und nur für ihre eigenen Säckel sorgten.

      So kam es denn, daß sehr viele Bittschriften von Unglücklichen im Schlosse einliefen. Von diesen aber kamen nur sehr wenige in die Hand des Königs und auf die wenigen, welche ihm vor Augen gelangten, antwortete er, es sei unmöglich, daß er Alles selbst übersehen könne, seine Minister seien alle brave Männer, die würden das schon besorgen; übrigens sei sein Land das allerglücklichste der Welt.

      Das war aber keineswegs der Fall, denn im Lande sah es von Jahr zu Jahr immer trüber aus; die Bürger verarmten, die Reichen verschluckten den Schweiß der Armen und je mehr Minister der König anschaffte, desto schlechter wurde es.

      Da kam eines Tages ein reisender Brillenhändler in das Schloß des Königs, der sagte, er komme aus dem fernen Orient und habe Gläser erfunden, durch welche man Alles sehen könne, was man wolle.

      – Das wäre! – sagte der König. Wenn Du also wahr sprichst, so gieb mir ein Glas, durch welches ich über mein ganzes Land blicken und Alles sehen kann, was in demselben vorgeht!

      Und der Brillenhändler gab ihm ein großes Fernglas, das war von außen ganz schwarz und wohl drei Ellen lang. Darauf reiste er ab.

      Der König aber stieg auf die höchste Zinne seines Schlosses und schaute hinaus in sein Land.

      Aber was sah er durch dieses Fernglas? Fast nichts als Armuth und Elend in den Hütten, Hader und Neid in den Häusern der Reichen, Uebermuth und schändliche Ausschweifungen in den Palästen. Er sah in den Hütten der Armen die Söhne ihre eigenen Eltern hinausstoßen und abgezehrte Kinder an trocknen Knochen und Schuhsohlen nagen; er sah in den Werkstätten der Handwerker die Arbeit ruhen und die Väter und Mütter ihre Hände vergebens nach Brot ringen; er sah an den Schwellen der Reichen den Bettler unbarmherzig verjagen und in den Palästen der Vornehmen das Geld aufgestapelt, das er alljährlich prägen ließ.

      – Das ist ein schändlicher


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