Die Entstehung der Kontinente und Ozeane. Alfred Wegener
Schollen, bei denen der Hauptzusammenschub nach unten gerichtet ist, während der nach oben gerichtete Schraubwall nur den kleineren Teil darstellt. Auch die tektonischen Beben treten dabei im kleinen auf. Nur in bezug auf die Zähigkeit des Simas versagt der Vergleich; denn die Eisscholle findet natürlich im Wasser nicht genügend Stirnwiderstand, um einen Schraubwall an der freien Vorderkante zu bilden.
Mit der nach unten gerichteten Verdickung der Scholle wird nun meist noch eine weitere Veränderung vor sich gehen. Wenn, wie früher wahrscheinlich gemacht wurde, am Unterrand der ungefalteten Scholle etwa der Schmelzpunkt der Silikate erreicht ist, so werden die tiefer hinabrückenden Massen geschmolzen werden und sich an der Grenze zwischen der festen Scholle und dem darunter liegenden flüssigen, aber schweren Sima ausbreiten. Besitzt die Scholle keine fortschreitende Bewegung über das Sima, so wird diese Ausbreitung nur die Wirkung haben, daß das Gebirge selbst weniger hoch wird und statt dessen auch die benachbarten Teile der Scholle gehoben werden. Wenn aber, was in der Regel der Fall sein wird, eine solche fortschreitende Bewegung besteht, so müssen offenbar die geschmolzenen Massen einseitig sich ausbreiten, da sie ebenso wie das flüssige Sima zurückbleiben. In diesem Fall entsteht eine unsymmetrische Höhenverteilung, indem sich die Hebung nur auf die Rückseite des Gebirges (im Sinne der Bewegungsrichtung der Scholle) beschränkt, vor dem Gebirge dagegen eher eine Senkung (Vortiefe) auftritt. So dürfen wir z. B. bei den Alpen wie auch beim Himalaja annehmen, daß die tief hinabgesenkten und geschmolzenen Schollenteile einseitig nach Norden ausgewichen sind und hier zur Hebung des deutschen Mittelgebirges bzw. von Tibet beigetragen haben. Dementsprechend zeigen auch die Schweremessungen in den Alpen, daß das größte „Massendefizit“ nicht unter der Mittellinie, sondern erheblich weiter nördlich unter dem Gebirge liegt.
Wenn keine derartige Schmelzung an der Unterseite der Schollenverdickung einträte, so könnte man aus der mittleren Höhe des Gebirges und seiner Breite die Größe des Zusammenschubes berechnen. Nimmt man z. B. an, daß das Gebirgsland vor dem Zusammenschub einen Schelf bildete, dessen Oberfläche 200 m unter dem Meere lag (und daß die spezifischen Gewichte des Sials und des Simas 2,8 und 2,9 sind), so folgt für eine mittlere Seehöhe des Gebirges von 2000 (4000) m eine Verkürzung auf 0,6 (0,4) der ursprünglichen Breite. Aus der mittleren Seehöhe der Alpen würde man hiernach für dies Gebirge einen Zusammenschub berechnen, wie er zwar den älteren Anschauungen entsprach, aber mit dem heute erkannten Deckfaltenbau unvereinbar ist. Auch für den Himalaja erhält man durch diese Rechnung im günstigsten Falle nur einen Zusammenschub Lemuriens um 1500 km, was als viel zu klein erscheint. Hierin zeigt sich deutlich der Einfluß der Abschmelzung von unten. Daß diese Vorstellung aber überhaupt unabweisbar ist, zeigt eine Reihe anderer Erscheinungen, welche sich, wie schon erwähnt, wohl nur so erklären lassen, daß die geschmolzenen Sialmassen von der Unterseite einer Kontinentalscholle bei deren Verschiebung auch an ihrem Rande auftauchen können und so unmittelbar in Erscheinung treten (Island, das Dreieck im Winkel zwischen Abessinien und der Somali-Halbinsel, die Abrolhos-Bank, die Seychellen-Bank).
Eine besondere Erwähnung verdient die Staffelung der Gebirgsfalten. Die einzelnen Faltenzüge liegen meist nicht genau hintereinander, sondern gestaffelt, so daß, wenn man ein solches Gebirge weithin verfolgt, immer neue, anfangs noch zurückliegende Ketten an seinen Vorderrand treten, wo sie erlöschen und den nächst hinteren Platz machen. Sind die Faltenzüge gut getrennt, so läßt sich die Staffelung schon auf der topographischen Karte erkennen, wie z. B. zwischen Hindukusch und Baikalsee oder am Nordende der australischen Kordilleren. Sind die Falten eng zusammengeschoben, so ist die Staffelung entsprechend schwerer zu erkennen. Ein einfacher Versuch zeigt, unter welchen Bedingungen die Staffelung zustande kommt. Legen wir beide Hände auf ein ausgebreitetes Tischtuch und nähern sie einander in gerader Richtung, so entsteht meist zwischen ihnen nur eine einzige riesige (Deck-) Falte. Dies entspricht der Faltung ohne Staffelung, wie bei den Alpen. Versuchen wir aber, die beiden Hände aneinander vorbeizuschieben, so entsteht ein hübsches System kleiner, paralleler und namentlich gestaffelter Falten, welches der Staffelfaltung z. B. der Dinarischen Alpen entspricht. Man sieht nun leicht, wie die verschiedenen Arten der Faltung miteinander zusammenhängen: drängen die Schollen gerade gegeneinander an, so entstehen große Deckfalten, wollen sie halbwegs aneinander vorbei, so entstehen kleinere Staffelfalten. Die Fältelung wird immer enger, je mehr die Schollen einander aus dem Wege gehen; schließlich hört die Faltung ganz auf, und es entsteht nur noch eine horizontale Verwerfung (Blattverschiebung). Es ist hiernach klar, daß Staffelfalten besonders auch für das seitliche Ende großer Gebirge charakteristisch sein müssen. Bei den weiter unten zu besprechenden ostasiatischen Girlanden, welche abgelöste Randketten darstellen, ist diese Staffelung besonders deutlich sichtbar gemacht.
Ebenso wie die Faltung der Gebirge vollzieht sich auch ihre sofort einsetzende Abtragung unter Wahrung der Isostasie. In dem Maße, wie der höchste, mittelste Teil des Gebirges durch die Abtragung der Sedimente entlastet wird, steigt die Scholle hier wiederum isostatisch empor, so daß schließlich nach völliger Entfernung des Sediments ein Urgebirge von fast gleicher Höhe emporgewachsen ist. Dabei ist es wichtig, daß sich Sediment und Urgestein bei der Faltung etwas verschieden verhalten: Sediment splittert mehr und fällt daher dem rinnenden Wasser viel schneller anheim, als das darunter liegende Urgestein, welches bei Faltungen mehr fließt 51. Daher läßt die Abtragung sehr nach, sobald die Sedimentdecke des Gebirges beseitigt ist. Der Himalaja mit seinen mächtigen Sedimentaufstauungen befindet sich noch im ersten Teile dieser Entwickelung. Die Abtragung ist hier eine gewaltige. Die Gletscher sind unter enormen Schuttmengen begraben. Bei den Alpen ist nur noch im Norden und Süden die Sedimentzone erhalten, in der Zentralkette ist das Sediment beseitigt und das Urgestein emporgestiegen; die Abtragung ist hier viel geringer geworden. Die Schönheit unserer Alpengletscher beruht zum großen Teil auf ihrer Moränenarmut. Und beim norwegischen Gebirge, das viel älter ist, ist die Sedimenthaube bereits ganz beseitigt, und die heutige Abtragung sehr gering.
Durch diese Betrachtungen wird offenbar allen denjenigen Theorien, welche gerade die „Erhebung“ der Gebirge erklären wollen, der Boden entzogen. Denn sobald man überhaupt besondere Kräfte für diese Erhebung annimmt, setzt man fest, daß sie sich entgegen der Isostasie vollzieht, was für größere Gebirge zweifellos nicht der Fall ist.
Von der Natur der Faltungskräfte entwirft die Verschiebungstheorie ein ganz neues Bild. Von einem Gewölbedruck im Sinne der Schrumpfungshypothese ist ja keine Rede mehr, die lithosphärische Haut, die längst nicht mehr die ganze Erde umspannt, schwimmt frei auf einer zähflüssigen Unterlage. Die Kräfte, welche die Gebirge falten, müssen jetzt dieselben sein, welche auch die Horizontalverschiebungen der Kontinente bewirken. Dabei haben wir die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: Einmal könnte eine ungleiche Verteilung dieser Kräfte selbst bewirken, daß die verschiedenen Teile der Lithosphäre sich verschieden schnell bewegen und also falten müssen. Andererseits kann aber auch bei gleichmäßiger Verteilung der Verschiebungskräfte ein solcher Unterschied in der Bewegung und damit eine Faltung dadurch erzeugt werden, daß die verschiedenen Teile der Lithosphäre bei ihrer Bewegung ungleiche Widerstände erfahren. Gerade diese letztere Erklärung erscheint von besonderer Bedeutung, denn wie die Karte zeigt, treten Faltungen mit Vorliebe am Vorderrande triftender Schollen auf, wo also zu dem überall gleichen Widerstand durch die Reibung an der Unterseite der Scholle noch ihr Stirnwiderstand hinzukommt, der nicht unbeträchtlich sein wird, weil es hier gerade die oberen, ausgekühlten und daher weniger plastischen Simaschichten zu verdrängen gilt. Das riesige Andengebirge z. B. ist – wenngleich auch ihm bereits ältere Faltungen zugrunde liegen – wesentlich tertiären Ursprungs, also gleichaltrig mit der Verschiebung der amerikanischen Schollen nach Westen. Der Schluß eines ursächlichen Zusammenhanges ist hier wohl kaum abzuweisen. Vielleicht noch klarer tritt dieselbe Erscheinung bei der Scholle Australien—Neuguinea auf: Das hohe jugendliche Gebirge auf Neuguinea liegt auf der jetzigen, die älteren Faltungen Neuseelands und Ostaustraliens auf der früheren Vorderseite der triftenden Scholle.
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