Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig: Eine Novelle. Franz Werfel

Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig: Eine Novelle - Franz Werfel


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nach ihrem Vermögen bestrebt gewesen waren, ihnen nachzueifern. Falschspielerei, Dokumentenfälschung, gebrochene Ehrenwörter kamen nach und nach ans Tageslicht. – Zu alledem war die vierzehnjährige Tochter eines Gutsbesitzers geschwängert worden und, ohne zu gestehen, wer der Verführer gewesen, im Kindbett gestorben. Der Hauptverdacht in diesem Rattenschwanz von Schmutzereien fiel auf mich, – auf mich, der ich weder je eine Karte, noch ein Weib berührt hatte.

      Denn ich bin zum Sündenbock wie geschaffen.

      Systematisch zerstörten Selbstbewußtseins war ich gesonnen, wenn in der Gegend irgend ein Mord begangen worden war, mich selbst für den Mörder zu halten. Ich identifizierte mich mit jedem Angeklagten, dessen Verhandlung ich im Gerichtssaalsbericht las. Auf meiner Seele lastete die Überzeugung meiner Mitschuld an jedem Verbrechen. Bei allen Verhören, und mochte es sich auch nur um einen entwendeten Federstiel in der Kadettenschule handeln, war ich verstockt, und eine unüberwindliche Selbstzerstörungslust in mir zog wie ein Blitzableiter den Verdacht an. – So war es auch in den Verhören, die der Oberst und seine Kommission mit mir pflogen. Ich war verstockt und bösartig, besonders dann, wenn die Vorgesetzten mir gütig zuredeten, obgleich in solchen Augenblicken mein Gemüt in heiße Tränen sich auflöste. Gänzlich unschuldig, ja gar nicht fähig, den Fall zu übersehen und zu verstehen, erfand ich in krankhaftem Zwang Lügen, phantasierte von Beziehungen, die ich niemals gehabt hatte und spann so mit eigenen Händen ein irrsinniges Netz, in dem ich endlich ganz bedenklich zappelte.

      Man schüttelte bedeutsam die Köpfe, man nahm die Gelegenheit der Rache an einem häßlichen Sonderling wahr, – diejenigen, die am meisten Butter am Kopf hatten, begannen mich zu schneiden, ja im Grunde waren alle zufrieden, den Sohn eines in Fachkreisen und in der Gesellschaft berühmten Generals als Hauptperson in einer üblen Angelegenheit agieren zu sehen, denn das bedeutete einen doppelten Vorteil: Erstens war die Ehre des Regiments weniger in Gefahr – und zweitens gönnt man einem Erfolgreichen stets Beschämung.

      Es kam immer ärger. Protokolle häuften sich, der Urheber des Schmutzes, jener Leutnant, der sich hatte versetzen lassen, war verschwunden und trotz aller dienstlichen Anfragen unauffindbar – ich selbst in meinen eigenen tollen Widersprüchen gefangen, war nicht mehr in der Lage, die einzige vernünftige Wahrheit zu sagen: Ich weiß von nichts!

      Meine Situation wurde immer schiefer. Man schnitt Grimassen, zuckte die Achseln und schon wurde die Ansicht laut, daß ein ehrenrätliches Verfahren nicht genüge, einen kriminellen Fall auszutragen.

      Da brachte eines Tages der Postunteroffizier drei Briefe. Einer davon wanderte in die Kanzlei des Kommandanten. Das große weiße Dienstkuvert trug die Absenderadresse: Militärkanzlei Seiner Majestät!

      Die beiden anderen Briefe waren an mich gerichtet. Der eine kam von meinem Vater, der andere von seinem Adjutanten. Der Brief des Vaters enthielt keine Anrede und lautete so:

      „Ich werde es nicht dulden, daß ein Name, der Generationen hindurch der k. u. k. Armee zur Ehre gereicht hat, durch Dich in Verruf gebracht wird. Die Militärkanzlei Seiner Majestät hat die Akten und Protokolle über das unverantwortliche Treiben, dessen Hauptschuldiger Du bist, eingefordert, und wird selbst die Entscheidung treffen.

      Du hast sofort abzugehen, hierorts einzurücken und innerhalb von achtundvierzig Stunden Dich bei mir zu melden.

Duschek von Sporentritt, Fmlt.“

      Der Brief des Adjutanten enthielt diesen persönlichen Befehl in dienstlicher Fassung. —

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