Liebe deinen Nächsten / Возлюби ближнего своего. Книга для чтения на немецком языке. Эрих Мария Ремарк

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brauchen uns wohl nichts vorzumachen“, sagte Steiner. „Krieg ist Krieg. Man muss auch mal verlieren können.“

      „Wir nicht“, erwiderte der Schwarze. „Wir spielen noch eine Runde.“

      „Oder Sie geben ’raus, was Sie gewonnen haben“, fügte der Dicke hinzu.

      Steiner schüttelte den Kopf. „Es war ein ehrliches Spiel“, sagte er mit einem ironischen Lächeln. „Sie wussten, was Sie wollten, und ich wusste, was ich wollte. Guten Abend.“

      Er versuchte, zwischen dem Schwarzen und dem Schmächtigen hindurchzukommen. Dabei fühlte er die Muskelstränge des Schwarzen.

      In diesem Augenblick kam der Wirt. „Keinen Radau[28] in meinem Lokal, meine Herren!“

      „Ich will auch keinen“, sagte Steiner. „Ich will gehen.“

      „Wir gehen mit“, sagte der Schwarze.

      Der Schmächtige und der Schwarze gingen voran, dann kam Steiner und hinter ihm der Dicke. Steiner wusste, dass nur der Schwarze gefährlich war. Es war ein Fehler, dass er voranging. Im Moment, als er die Tür passierte, trat Steiner nach hinten aus, dem Dicken in den Bauch, und schlug dem Schwarzen die geballte Faust mit aller Kraft wie einen Hammer ins Genick, so dass er die Stufen hinunter gegen den Schmächtigen taumelte. Mit einem Satz sprang er dann hinaus und raste die Straße entlang, ehe die andern sich erholt hatten. Er wusste, dass es seine einzige Chance war, denn auf der Straße hätte er gegen drei Mann nichts mehr machen können. Er hörte Geschrei und sah sich im Laufen um – aber niemand folgte ihm. Sie waren zu überrascht gewesen.

      Er ging langsamer und kam allmählich in belebtere Straßen. Vor dem Spiegel eines Modegeschäftes blieb er stehen und sah sich an. Falschspieler und Betrüger, dachte er. Aber ein halber Pass… Er nickte sich zu und ging weiter.

      5

      Kern saß auf der Mauer des alten jüdischen Friedhofs und zählte im Schein einer Straßenlaterne sein Geld. Er hatte den ganzen Tag in der Gegend des Heiligenkreuzberges gehandelt. Es war ein armes Viertel; – aber Kern wusste, dass Armut mildtätig ist und nicht nach Polizei ruft. Er hatte achtundreißig Kronen verdient. Es war ein guter Tag gewesen.

      Er steckte sein Geld ein und versuchte, auf dem verwitterten Grabstein, der schief neben ihm an der Mauer lehnte, den Namen zu entziffern. „Rabbi Israel Löw“, sagte er dann, „gestorben in verwischten Zeiten, sicher hochgelehrt einst und nun ein bisschen Knochenerde da unten – was meinst du, was soll ich jetzt tun? Nach Hause gehen, zufrieden sein oder versuchen, zu spekulieren und auf fünfzig Kronen Verdienst zu kommen?“

      Er zog ein Fünfkronenstück hervor. „Es ist dir ziemlich gleichgültig, Alter, was? Fragen wir also das Schicksal der Emigranten, den Zufall. Kopf ist Zufriedenheit, Schrift Weiterhandeln.“

      Er wirbelte das Geldstück hoch und fing es auf. Es rollte aus seiner Hand und fiel auf das Grab. Kern kletterte über die Mauer und hob es vorsichtig hoch. „Schrift! Auf deinem Grab! Du selbst rätst mir also ebenfalls dazu, Rabbi! Dann aber los!“ Er ging auf das nächste Haus zu, als wollte er eine Festung stürmen.

      Im Parterre öffnete niemand. Kern wartete eine Zeitlang, dann stieg er die Treppen hinauf. In der ersten Etage kam ein hübsches Dienstmädchen heraus. Es sah seine Tasche, verzog die Lippen und machte schweigend die Tür wieder zu.

      Kern stieg zur zweiten Etage empor. Nach zweimaligem Klingeln erschien dort ein Mann mit offenstehender Weste in der Tür. Kern hatte kaum angefangen zu sprechen, als der Mann ihn empört unterbrach. „Toilettewasser? Parfüm? So eine Frechheit! Können Sie nicht lesen, Mensch? Mir, dem Generalvertreter von Andrea-Parfümerieartikeln, ausgerechnet mir wagen Sie Ihren Mist anzubieten? ’raus!“

      Er schmiss die Tür zu. Kern zündete ein Streichholz an und studierte das Messingschild an der Tür. Es war Tatsache; Josef Schimek handelte selbst en gros mit Parfüm, Toilettewasser und Seife. Kern schüttelte den Kopf. „Rabbi Israel Löw“, murmelte er. „Was heißt das? Sollten wir uns missverstanden haben?“

      Er klingelte in der dritten Etage. Eine freundliche, dicke Frau öffnete. „Kommen Sie nur herein“, sagte sie gutmütig, als sie ihn sah. „Deutscher, nicht wahr? Flüchtling? Kommen Sie nur herein!“

      Kern folgte ihr in die Küche. „Setzen Sie sich“, sagte die Frau, „Sie sind doch sicher müde.“

      „Nicht sehr.“

      Es war das erstemal in Prag, dass man Kern einen Stuhl anbot. Er nutzte die seltene Gelegenheit aus und setzte sich. Entschuldige, Rabbi, dachte er, ich war voreilig. Entschuldige, ich bin jung, Rabbi Israel. Dann packte er seine Tasche aus.

      Die dicke Frau stand behäbig, mit über dem Magen gekreuzten Armen, vor ihm und sah ihm zu. „Ist das Parfüm?“ fragte sie und zeigte auf eine kleine Flasche.

      „Ja.“ Kern hatte eigentlich erwartet, dass sie sich für Seife interessieren würde. Er hielt die Flasche hoch wie einen kostbaren Edelstein. „Das hier ist das berühmte Farr-Parfüm der Firma Kern. Etwas ganz Besonderes! Nicht so eine Lauge wie zum Beispiel die Produkte der Andreawerke, die Herr Schimek unter uns vertritt.“

      „Soso…“

      Kern öffnete die Flasche und ließ die Frau riechen. Dann nahm er ein Glasstäbchen und strich es über ihre fette Hand. „Versuchen Sie selbst…“

      Die Frau schnupperte ihre Hand ab und nickte. „Scheint gut zu sein. Aber haben Sie nur so kleine Flaschen?“

      „Hier ist eine größere. Dann habe ich noch eine, die ist sehr groß. Die hier. Sie kostet allerdings vierzig Kronen.“

      „Das macht nichts. Die große ist richtig, die behalte ich.“

      Kern glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Das waren bare achtzehn Kronen Verdienst. „Wenn Sie die große Flasche nehmen, gebe ich Ihnen noch ein Stück Mandelseife gratis dazu“, erklärte er begeistert.

      „Schön, Seife kann man immer gebrauchen.“

      Die Frau nahm die Flasche und die Seife und ging in ein Nebenzimmer. Kern packte inzwischen seine Sachen wieder ein. Aus der halboffenen Tür drang der Geruch von gekochtem Fleisch. Er beschloss, sich nachher ein erstklassiges Abendessen zu gönnen. Die Suppe aus der Mensa am Wenzelsplatz machte nicht satt.

      Die Frau kam zurück. „Also schönen Dank und auf Wiedersehen“, sagte sie freundlich. „Hier haben Sie auch ein Butterbrot auf den Weg!“

      „Danke.“ Kern blieb stehen und wartete.

      „Ist noch was?“ fragte die Frau.

      „Ja, natürlich,“ Kern lachte, „Sie haben mir das Geld noch nicht gegeben.“

      „Das Geld? Was für Geld?“

      „Die vierzig Kronen“, sagte Kern erstaunt.

      „Ach so! Anton!“ rief die Frau ins Nebenzimmer hinein. „Komm doch mal her! Hier fragt einer nach Geld!“

      Ein Mann in Hosenträgern kam aus dem Nebenzimmer. Er wischte sich den Schnurrbart und kaute. Kern sah, dass er über dem verschwitzten Hemd eine Hose mit Litzen trug, und eine böse Ahnung stieg plötzlich in ihm auf. „Geld?“ fragte der Mann heiser und bohrte in seinem Ohr.

      „Vierzig Kronen“, erwiderte Kern. „Aber geben Sie mir lieber einfach die Flasche zurück, wenn es Ihnen zuviel ist. Die Seife können Sie dann behalten.“

      „Soso!“ Der Mann kam näher heran. Er roch nach altem Schweiß und gekochtem frischem Schweinebauch. „Komm mal mit, mein Sohn!“ Er ging und öffnete die Tür zum Nebenzimmer weiter. „Kennst du das da?“ Er zeigte auf einen Uniformrock, der über einem Stuhl hing. „Soll ich das mal anziehen und mit dir zur Polizei gehen?“

      Kern trat einen Schritt zurück. Er sah sich bereits vierzehn Tage im Gefängnis wegen verbotenen Handels. „Ich habe eine Aufenthaltserlaubnis“, sagte er so gleichgültig, wie er konnte. „Ich kann sie Ihnen zeigen.“

      „Zeig mir lieber deine Arbeitserlaubnis“,


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<p>28</p>

Radau, der (berlin.) = Lärm