Das Nibelungenlied. Unknown
die schon, als sie noch alliterierten, um eine Hebung gekürzt werden durften. Vergl. Nibelungenstrophe §.9.
Soll der Dichter des Nibelungenlieds alte epische Lieder nicht eingeflochten, soll er nur aus der vielgestaltigen Sage geschöpft, und die Lieder, die er etwa schon vorfand, in ein neues Maß umgegoßen haben, warum nannte er dann seinen Namen nicht, warum trat er bescheiden hinter seinen Quellen zurück? da er doch bei solcher Annahme ein größerer Dichter gewesen wäre als Wolfram. Will man vergeßen, indem man den Kürnberg als den Dichter der Nibelungen ausruft, daß es den Gedichten des volksmäßigen Sagekreises eigenthümlich ist, im Gegensatz zu der von Veldeke geimpften höfischen Dichtung, keinen Verfaßer zu haben? Wen will man nächstens für den Dichter der Gudrun ausgeben, der noch nicht einmal in allen Theilen Lieder zu Grunde liegen, wer soll den großen Rosengarten, den Ortnit, den Wolfdietrich, den Alphart gedichtet haben, und wer das deutsche Waltherslied, aus der die Eckeharte schöpften? Soll dabei mit derselben Freigebigkeit verfahren werden, womit man das Nibelungenlied an den von Kürnberg verschenkte, so werden sich ja wohl Namen finden, die uns ebenso leere Schälle sind. Könnte nicht Spervogel die Gudrun gedichtet haben?—Wen hat man nicht schon für den Dichter des Nibelungenliedes ausgegeben? Heinrich von Ofterdingen, von dem ich im "Wartburtkrieg" erwiesen habe, daß er keineswegs eine fabelhafte Person war, indem er die echten Strophen des Räthselspiels verfaßt hat, die den zweiten Theil dieses selbst lange Zeit unenträthselten Gedichtes bilden, dann seinen Beschützer, den allerdings fabelhaften Klingsor von Ungerland, der aber nicht aus Ungerland, sondern aus dem Parzival kam, Konrad von Würzburg, Rudolf von Ems, für den zwei Hohenemser Handschriften angeführt werden könnten, Walther von der Vogelweide, und endlich den vielleicht wieder erdichteten Kürnberg, für dessen Dasein als Dichter oder Componisten wir nur das schwache Zeugniss eines Liedes haben. Johannes von Müller rieth auf einen schweizerischen Eschenbach von Unspunnen; warum Niemand auf den baierischen Wolfram, der unter allen höfischen Dichtern dem heimischen Sagenkreise am vertrautesten war, dem er seinen Friedebrand von Schotten, seinen Hüteger, seine Hernant und Herlinde und andere Helden der Nordseesage entnahm, dessen Reim und Sprache deutsch-epische Färbung zeigt, der die deutsche Alliteration auf die welsche Namengebung anwandte, der so oft auf die Heldensage und zweimal sogar auf einzelne Strophen des Nibelungenlieds (1408 5-8 und 1462) anspielt, und der vielleicht wirklich einmal die Hand an das Gedicht gelegt hat, nur gewiss nicht die letzte Hand, denn diese merzte gewisse Wolfram eigenthümliche Reime sorgfältig aus.
Soll ich mich über das ABC der Handschriften erklären, so gestehe ich A den Vorzug zu, denn obwohl der Schreiber dieser kürzesten Handschrift überaus nachläßig war, so gab er doch seine alte und gute Vortage getreulich wieder ohne sich andere Aenderungen als seiner, eine jüngere Zeit verrathenden metrischen Irrthümer wegen zu gestatten; höchstens kommen einige schwache Zusatzstrophen wie Str. 3 auf seine Rechnung, während C, auf der ältesten und sorgfältigsten Handschrift ruhend, und gleichfalls von einer trefflichen Vorlage ausgehend dem volksmäßigen Gedicht einen feinern höfischen Schliff zu verleihen sucht. Doch sind viele Aenderungen in C wahre Verbeßerungen, wie auch das eine ist, daß wir das ganze Gedicht nun das Nibelungenlied genannt finden, da der Name der Nibelunge nôt nur auf den zweiten Theil bezogen werden konnte, zumal die Burgunden im ersten Theil noch nicht Nibelungen heißen. Von den Strophen, die C allein hat, ist ein Theil echt und alt und der Ueberarbeiter wird sie schon in seiner Vorlage gefunden haben: auf Str. 1518 scheint schon Wolfram anzuspielen. Andere sind sehr schwach und eine, nach Str. 2305, konnte ich mich nicht entschließen aufzunehmen, weil sie mir das ganze Gedicht verleidet hätte. Sie mag indes, damit man nichts vermisse, hier stehen, doch ohne Uebersetzung, deren ich sie nicht würdig halte.
H. 2428. Er wiste wol diu mære, sine liez in niht genesen. wie möhte ein untriuwe immer sterker wesen? er vorhte, sô si hête im sînen lip genomen, daz si danne ir bruoder liese heim ze lande komen.
Wie wir Hagens Charakter kennen, hätte er seinem Herrn Leben und Freiheit gern durch den eigenen Tod erkauft, und hier soll er den Hort nicht gezeigt haben, weil er fürchtete, Gunther würde dann allein in die Heimat entlaßen werden!
B enthält die schwachen Strophen nicht, welche A und C hinzufügen, entbehrt aber auch die echten und guten, die allein C erhalten hat; für die, welche B selber hinzuthut, müßen wir ihm dankbar sein. Der sorgfältige Schreiber der in dieser Reihe voranstehenden St. Galler Handschrift füllt gerne die Senkungen aus und meidet verkürzte Formen. Sonst stellt sich diese sehr verbreitete Faßung, deren Text man deshalb den gemeinen genannt hat, zunächst neben A und berichtigt sie oft.
Eine geschichtliche Grundlage des Gedichts hat man in der Thatsache finden wollen, daß um das Jahr 437 der Burgunderkönig Gundicarius mit seinem Volke von den Hunnen eine vernichtende Niederlage erlitt. Man beruft sich auch darauf, daß in der lex Burgundionum drei burgundische Könige, Godomer, Gislahar und Gundahar wie es scheint als Söhne Gibicas genannt werden, die man in Gernot, Giselher und Gunther, nach der Heldensage den Söhnen Gibichs (in den Nibelungen heißt der Vater Dankrat), wiederfinden will. Vergl. W. Grimms Deutsche Heldensage, 2. Auflage 1867 S. 12. Aber wann die geschichtlichen Beziehungen in die Sage eingetreten find, wißen wir nicht: sie drangen gelegentlich in die ursprünglich mythische Heldensage, wurden aber auch wohl wieder ausgeschieden, wie wir davon ein Beispiel an Otacher haben, der, ein geschichtlicher Held, im Hildebrandslied den mythischen Sibich verdrängt hatte, ihm aber späterhin wieder weichen muste. Manche Thatsachen, die Geschichte und Heldensage gemein haben, können ebenso gut auch aus der Sage in die Geschichte gedrungen sein, z. B. was Jornandes von Ermenrich und Swanhildens Brüdern meldet, Grimms Heldensage S.2.
Daß Worms im Liede als Sitz der Burgundenkönige erscheint hat man als der Geschichte nicht widersprechend nachgewiesen, indem wirklich die später an den Rotten (Rhodanus) gezogenen Burgunden zuerst am Mittelrhein gewohnt hätten. Eine andere Frage ist, ob dieß veranlaßt hat, Worms zum Schauplatz der Sage zu machen. Ein mythischer Bezug hängt nämlich schon in dem ältesten Namen dieser Stadt, und dieß könnte die Anknüpfung der Heldensage vermittelt haben. Bekanntlich lautete er einst Borbetomagus. "Da magus Feld bedeutet," hieß es schon Rheinland 76, "so ist dieß nicht sowohl der Name der Stadt als des Gaus, das wir auch Wormsfeld genannt finden, wie Maifeld und Maiengau wechseln. In Borbet, das uns für den Namen der Stadt übrig bleibt, ist das anlautende b später zu w geworden;" wir werden aber sogleich sehen wie w und b mundartlich wechseln. Nehmen wir es indes für Worbet, so erkennen wir leicht den urkundlich vielfach beglaubigten Namen einer der tria fata, die, deutschem und keltischem Glauben gemein, uns (Deutschen) Schwestern, den romanisierten Kelten Mütter oder Matronen hießen; ausführlich habe ich von ihnen Handbuch der Mythologie §. 103 gehandelt. Im südlichen und nordwestlichen Deutschland, also in unserm Rheinland kehren diese Schwestern unzählig oft wieder: sie werden noch jetzt zum Theil mit veränderten Namen als Heilige verehrt: in der kölnischen Diöcese mit dem Erzbischof Pilgrim (nicht dem Paßauer) unter dem Namen der drei christlichen Cardinaltugenden Spes, Fides, Caritas; in der trierischen zu Bornhoven, zu Auw unter verschiedenen; im südlichen Deutschland in weit entlegenen Landestheilen, Tyrol, Worms und Straßburg, in Oberbaiern und Niederbaiern unter sich stäts gleich bleibenden, nur wenig abweichenden Namen, welche sich auf Einbett, Wilbett und Warbett zurückführen laßen. Das gemeinsame -bett kehrt auch sonst gern wieder, wo die drei Schwestern jetzt unter andern Namen verehrt werden, und selbst in der kölnischen Diöcese ist das z.B. in Bettenhoven der Fall, so daß selbst unseres Beethovens Name hieher gehören möchte. Nach Panzer, Baierische Sagen, verehrt man sie als
1. S. Anbetta, S. Gwerbetta, S. Villbetta zu Meransen in
Tyrol, Panzer I, S. 5.
2. S. Ainbett, S. Wolbett, S. Vilbett zu Schlehdorf in
Oberbaiern. P. 23.
3. S. Ainpet, S. Gberpet, S. Firpet zu Leutstetten in Oberbaiern.
P. 31.
4. S. Einbeth, S. Warbeth, S. Wilbeth zu Schildturn in
Niederbaiern. P. 69.
5. S. Einbede, S. Warbede, S. Villebede zu Worms. P. 206.
6. S. Einbetta, S. Worbetta, S. Wilbetta in Straßburg. P. 208.
Die letzte Namensform, unter welchen die mittlere Schwester erscheint, Worbetta, kann zur Erklärung des alten Namens