Vom Mars zur Erde. Albert Daiber
Erde besitzt eine andere, dichtere Atmosphäre und größere Wassermengen in Form gewaltiger Ozeane als unser Lichtentsprossener. Andere Gesetze beherrschen somit dort die atmosphärischen Niederschläge als hier. Klagen oder jammern werden wir unserer ungünstigen Lage wegen nicht. Wir ziehen aus den Erfahrungen früherer Zeiten den Schluß, daß nach einer gewissen Periode des Mangels an dem lebenspendenden Naß wieder ein Abschnitt des Ausgleiches eintritt, allerdings mit der Neigung zu immer kürzerer Dauer.“
„Und macht euch diese Aussicht keine schweren Sorgen?“
„Nein! Ganz abgesehen davon, daß sie unnütz wären, so wissen wir auch alle, daß für unsern Lichtentsprossenen einst die Stunde seines Unterganges schlagen wird und muß. Licht und Wärme, die uns das ewige Licht, die Sonne, spendet, nehmen ebenfalls einmal ihr Ende. Nichts währt dauernd, und was uns ewig, unvergänglich scheint, was wir damit bezeichnen, umfaßt für unser Begriffsvermögen allerdings kaum vorstellbare, ungeheure Zeitmaße, die aber an der Weltuhr nur Sekunden, höchstens Minuten anzeigen. Unerbittlich und unaufhaltsam rollt das Rad der Zeit. Die rasche Vergänglichkeit alles Irdischen mahnt uns eindringlich, unser Leben würdig aufzufassen, inhaltsreich zu gestalten und es nicht mit zweckloser Furcht vor dem Unbekannten, Unerforschbaren auszufüllen oder gar zu verbittern.“
„Das sind tiefe Gedanken, die du da äußerst,“ warf der Gelehrte voll Achtung ein, als Bentan einen Augenblick schwieg. „Wohl denen, die ihnen nachleben!“
„Alles ist dem Wechsel unterworfen. Welten und Völker verschwinden, andere tauchen dafür wieder auf,“ fuhr der Greis fort, ohne seines Gastes Bemerkung weiter zu beachten. „Im ewigen Kreislaufe bewegt sich die Materie, das allein Unsterbliche der gesamten Körperwelt. Und wenn einst unser Lichtentsprossener nicht mehr sein wird, so ist im Buche der Ewigkeit und der Unendlichkeit nur ein einziges Blatt gewendet worden. Die ewige Harmonie und Schönheit des Weltalls hat dadurch nicht gelitten, daß wir verschwanden. Ein anderer Stern, eine andere Himmelsleuchte ist dann an unsere Stelle getreten.“
„Eine solche Anschauung, wie du sie mir soeben geoffenbart hast, edler Bentan, fürchtet auch den Tod nicht,“ bemerkte Frommherz, als der Greis geendet hatte.
„Gewiß nicht, mein lieber Freund Fridolin. Die Grundempfindung unseres Daseins ist nicht die Angst, sondern die Freude an allen Wundern der Schöpfung, und diese Freude läßt uns alle in unserm Organismus vorhandenen Kräfte zweckmäßig ausnützen. Sie erlaubt uns dadurch das große Leben der Gesamtheit voll und ganz mitzuleben. Sie ist es ferner, die uns zu der klaren Erkenntnis führt, daß der Tod das natürliche Produkt des Lebens ist, daß dessen Endlichkeit keine Verzweiflung, sondern nur Versöhnung bedeutet. Unser Einzelleben ist nur eine unwichtige Episode im allein wichtigen Gesamtleben, von dem wir selbst nur ein kleinster Bruchteil sind. Das Bewußtsein, unsern Platz in der Natur nach bestem Wissen und Können ausgefüllt zu haben, schafft das Gefühl der Ruhe und eine gewisse Heiterkeit der Stimmung, mit der wir unser eigenes kleines Lebensbuch abschließen. Unsere Nachkommen treten dann an unsere Stelle. Sie allein sind es, die uns die Fortdauer unseres individuellen Daseins zeigen.“
„Welch herrliche Worte hast du da gesprochen!“ rief der Erdensohn in aufrichtiger Vewunderung. „Wie ganz anders ist noch in den breitesten Schichten der sogenannten Kulturvölker unseres Planeten die Auffassung von Leben und Tod gegenüber euern Anschauungen! Angst und Furcht sind es, die bei der Mehrzahl der Erdenkinder keine wahre, echte Lebensfreude aufkommen lassen.“
„Weil ihr euch eben leider noch nicht durchgerungen habt zur vollen, wahren Nächstenliebe. Diese allein ist die klare Quelle, aus der jener echte Frohmut sprudelt, der dem Leben den hellen, warmen Sonnenschein verleiht und dem Tode jeglichen Schrecken raubt.“
Welche Fülle von Weisheit strömte nicht von Bentan aus! Und so war es mehr oder weniger mit jedem andern Marsiten aus dem Stamme der Weisen, mit dem der Schwabe in nähere Berührung trat. Wahrlich, dieser Stamm verdiente seinen stolzen Namen; er machte ihm alle Ehre ohne die kleinste Phrase und Anmaßung, lediglich durch die edle Gesinnung und hohe Bildung seiner Vertreter. Hatte den schwäbischen Gelehrten einst das von aller materiellen Sorge scheinbar freie, ideal schöne Dasein zum Bleiben auf dem Mars veranlaßt, so pries er jetzt, mehr und mehr zur Selbsterkenntnis gelangt, das Glück eines Verkehrs mit den Besten des Volkes in Angola. Dieser Umgang war für ihn eine mächtige Förderung in sittlicher wie geistiger Richtung. Nun fing er auch an, vieles zu verstehen und zu begreifen, was sein unvergeßlicher Freund Stiller öfters vorgetragen hatte, wenn er mit ihm zusammen an schönen Sommerabenden den Neckar entlang bei Tübingen spazieren gegangen war. Wie manchmal hatte er da heftig dem Freunde widersprochen, war dessen Anschauungen auf das schroffste gegenübergetreten, ohne für seine kecken Behauptungen und Entgegnungen auch nur entfernt eine befriedigende Beweisführung antreten zu können. Wie schnell fertig war er damals im Aburteilen über Dinge gewesen, die er nur höchst oberflächlich kannte!
„Sie werden später vielleicht noch einmal anders denken, wenn Sie erst das Entwicklungsideal der Menschheit durch die reine, durchsichtige Atmosphäre der naturwissenschaftlichen Weltanschauung zu betrachten vermögen,“ hatte ihm Herr Stiller einmal nach einer heißen Auseinandersetzung geantwortet. Damals hatte er seines Freundes Behauptung lediglich als Ausdruck der Hoffart aufgefaßt, heute aber, nach Jahren, fand er, daß Hoffart, Anmaßung und Selbstüberschätzung nur auf seiner Seite, nicht aber auf der des treuen, hochgebildeten Freundes gewesen waren.
Wie oft mußte er gerade bei seinen Unterhaltungen mit den Weisen an den fernen Stiller denken, diesen vortrefflichen Menschen und Mann der Wissenschaft! Und mit solchen Gedanken begann wieder eine leise Sehnsucht nach ihm und den andern Gefährten auf der Marsreise, nach der alten, lieben Heimat sein Herz zu bewegen. Aber sah er dann die holde Benta, hörte er deren herrlichen Gesang, lauschte er den wundervollen Akkorden, die ihre zarten Finger der Harfe zu entlocken verstanden, so verschwanden rasch all die schwachen Regungen des Heimwehs, einer Spezialkrankheit des echten Sohnes schwäbischer Erde. Dafür umgaukelten liebliche Träume Frommherz’ Sinne, die sich mehr und mehr zu festen Absichten verdichteten, je länger er im Hause Bentans, des gütigen Alten, lebte.
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