Auf Gottes Wegen. Bjørnstjerne Bjørnson
und Sang weggeworfen. Seht dort, den – wie er da unten rechts, ein bißchen abseits, auf seinen Ellbogen gestützt, im Gras liegt! Ein langer Bursch im hellen Sommeranzug, ohne Hut. Ein runder, kurzgeschorener Kopf, eine breite, niedere Stirn, die aussieht, als sei sie hieb- und kugelfest; die Stirn muß gute Stöße ausgeteilt haben in seinen Knabenjahren! Unter der Stirn eine Nase wie ein Schnabel und ein paar scharfe Augen, die gerade jetzt beinah ein bißchen schielen; aber entweder verdeckten es die Brillengläser, oder es war an sich unbedeutend. Das ganze Gesicht hatte etwas Strenges, der Mund war straff, das Kinn scharf. Doch wenn man es näher betrachtete, so wechselte der Eindruck; das Scharfgeschnittene wurde eher Energie als Strenge, und der Wille, der seinen Sitz in dieser Gebirgsgegend aufgeschlagen hatte, konnte sicherlich auch gar freundlich und schalkhaft sein. Selbst jetzt, wie er so dasaß, voll Ingrimm, und sich den Teufel um Gesang und Sonnenschein scherte, – — viel lieber hätte er sich eine Keilerei gewünscht! – selbst jetzt flog ein Schimmer von Humor über die finsteren Brauen. Er war offenbar der Sieger.
Wer etwa zweifelte, der brauchte bloß einen Blick auf die andere Seite der Gruppe zu werfen, auf den, der dort links, ein bißchen weiter oben, an einen Baum gelehnt saß. Das Bild eines verwundeten Kriegers! Und noch in den Zügen die zitternde Unruhe der Schlacht. Ein langes, blondes Gesicht, das nicht an der Westküste daheim war, sondern im Gebirg oder im Oberland. Entweder war er fremd hier oder von einer eingewanderten Familie. Er ähnelte auffallend den herkömmlichen Abbildungen von Melanchthon; nur daß vielleicht der Blick schmachtender, die Augenbrauen ein bißchen zu hoch geschürzt waren. Die Ähnlichkeit im ganzen – besonders in Stirn, Augenstellung und Mund – war so groß, daß er unter seinen Studienkameraden auch tatsächlich den Namen Melanchthon führte. Das war Ole Tuft, jetzt noch Student der Theologie, bald ausstudiert; und der andere, der Sieger mit dem Adlerschnabel, der eben noch recht kräftig zugehauen haben mochte, war sein Jugendkamerad, der Mediziner Edvard Kallem.
Vor mehreren Jahren schon waren ihre Wege auseinandergegangen, ohne daß es darum zu einem Zusammenstoß gekommen wäre; heute aber war etwas geschehen, das zu einer Entscheidung führen sollte.
Mitten zwischen ihnen, also in der Mitte des Hügels, im Kreis der Singenden, saß eine hochgewachsene Mädchengestalt in dotterfarbenem seidenen Kleid, um den Hals eine breite, gelbe Spitze, die in tiefen Falten bis an den Gürtel hinabreichte. Sie sang nicht mit, sondern reihte einen ganzen Berg Feldblumen und Gräser zum Kranze. Man konnte sofort erkennen, daß sie die Schwester des Siegers sein mußte, nur dunkler von Haut und Haarfarbe. Dieselbe Kopfform – wenn auch ihre Stirn verhältnismäßig höher war, überhaupt das ganze Gesicht verhältnismäßig größer – zweifellos zu groß. Die scharfe Familiennase war sanfter gebogen in ihrem regelmäßigen Gesicht; seine schmalen Lippen waren hier voll, sein Kinn gerundet, seine unebenen Brauen ebenmäßig, die Augen größer —. Und doch war es dasselbe Gesicht. Der Ausdruck bei beiden verschieden; bei ihr – wenn nicht kalt, so doch verschlossen und ruhig; niemand hätte so leicht diese tiefen Augen ergründet. Und doch war auch der Ausdruck bei beiden merkwürdig verwandt. Der Kopf saß auf einem starken, von kräftig ausgebildeten Schultern getragenen Hals; auch die Büste war recht üppig. Das dunkle Haar war zu einem eigenartigen Knoten verschlungen. Den Hals trug sie frei; aber das gelbe Kleid mit der gelben Spitze schmiegte sich eng an den sammetbraunen Körper, wie überhaupt der ganze Anzug den Eindruck von etwas fest Zugeknöpftem machte; und ebenso ihr Wesen. Sie flocht, wie gesagt, einen Kranz und wandte den Blick weder nach dem einen noch nach dem andern der zwei, die da miteinander gefochten hatten.
Hervorgerufen war der Kampf durch einen großen, schwarzen Hund; der lag jetzt da und tat, als ob er schliefe. Sein nasser, schwerer Pelz glänzte in der Sonne. Ein paar junge Leute hatten Stöcke ins Meer geworfen und den Hund hinterher gehetzt; und dabei hatten sie jedesmal gerufen: "Samson! Samson!" – das war der Name des Hundes. Da sagte Edvard Kallem zu einigen Umstehenden: "Samson – das bedeutet Sonnengott". – "Was?" fragte ein junges Mädchen, "Samson bedeutet Sonnengott?" – "Gewiß. Wenn auch die Theologen sich schwer hüten, das zu sagen." Er sagte es ganz jugendlich leichthin, gar nicht um jemand zu ärgern oder um daran weiterzuspinnen. Aber Ole Tuft hörte es zufällig und fragte etwas überlegen: "Weshalb sollten denn die Geistlichen den Kindern nicht sagen, daß Samson Sonnengott bedeutet?" – "Weil dann die ganze Samsonerzählung nicht mehr als Vorbild für den Christusmythus zu brauchen wäre." Das Wort saß; und das sollte es auch. Lächelnd, überlegen sagte Ole: "Samson läßt sich wohl trotzdem als Vorbild gebrauchen – ob er nun Sonnengott heißt oder nicht!" – "Ja – ob er Sonnengott heißt oder nicht; wenn er aber der Sonnengott war?" – "So? Also er war der Sonnengott?" rief Ole lachend. – "Das sagt doch der Name." – "Der Name? Sind wir etwa Bären oder Wölfe, weil wir nach Bären und Wölfen heißen? Oder Götter, weil wir nach Göttern heißen." Verschiedene aus der Gesellschaft hörten das mit an; jetzt kamen auch andere hinzu, unter ihnen Josefine. Und beide wandten sich sofort an sie.
"Der Fehler ist," sagte Edvard, "daß in die Geschichten, die von Samson handeln, überhaupt erst Sinn kommt, wenn man weiß, daß er der Sonnengott war." – "Ach! Heutzutag müssen ja sämtliche Ahnen und Urgeschichten aller Völker irgendwie auf die Sonnensage Bezug haben!" Und Ole gab ein paar amüsante Parodien auf diese wissenschaftliche Mode zum besten. Allgemeine Heiterkeit; auch Josefine lachte. Sofort geriet Edvard in Eifer und begann auseinanderzusetzen: als sich bei uns eine neue Religion bildete, da wurden unsere eigenen Götter, die ursprünglich indische Sonnengötter waren, zu Stammvätern; ihre Altäre, an denen das Volk geopfert hatte, wurden in Grabstätten umgewandelt. Auf diese Weise wurden auch die alten Sonnengötter der Juden umgewandelt in Stammväter, als der Jahvekultus sie als Götter verdrängte. – "So? Und woher will man denn das wissen?" – "Wissen? Mach' doch die Probe mit Samson! Wie sinnlos, zu glauben, daß die Stärke eines Menschen in seinen Haaren liegen kann! Sobald wir aber davon ausgehen, daß es die Sonnenstrahlen sind – zur Sommerzeit lang, im Schoß des Winters kurz geschnitten – kommt Sinn in die Sache. Und wenn die Strahlen gegen das Frühjahr hin wieder wuchsen – nicht wahr? – da konnte der Sonnengott wiederum die Säulen der Welt umfassen!… Nie haben Bienen Honig gesammelt in einem Aas; wenn wir aber hören, daß es – so oft die Sonne durch ein Himmelszeichen ging, z. B. durch den Löwen, – hieß: die Sonne schlug den Löwen – ja, dann verstehen wir, daß die Bienen Honig im Aas des erschlagenen Löwen sammelten, d. h. in der wärmsten Zeit des Sommers."
Jetzt waren alle ganz Ohr, und Josefine war im höchsten Grade verwundert. Sie sah nicht zu ihrem Bruder auf, denn sie merkte, daß er sie ansah; aber es war nicht mißzuverstehen: was Edvard anfänglich ohne jeden andern Gedanken als den, ein bißchen zu protzen, begonnen hatte, das erhielt eine bestimmte Bedeutung dadurch, daß Josefine zwischen ihnen stand. "Bei den Ägyptern", erzählte er, "begann der Frühling, wenn die Sonne das Lamm schlachtete, d. h. durch das Zeichen des Lammes ging, und aus Freude über die Erneuerung schlachteten alle ägyptischen Familien an diesem Tag ein Lamm. Von ihnen haben es die Juden. Wenn die Juden dies später zu etwas umgewandelt haben, das sie von den Ägyptern unterscheiden sollte, so ist das eine Fälschung. Gerade wie mit der Beschneidung; auch die haben sie aus Ägypten. Aber so was verschweigen die Herren Pfaffen."
Von all dem wußte Ole Tuft wenig oder nichts. Sein eifriges Studium hatte sich streng auf die Theologie beschränkt; er hatte auch gar keine Zeit zu anderen Dingen und sein Glaube war altes Bauernerbe und in sich selbst viel zu gefestigt, um sich mit wissenschaftlichen Zweifeln abzugeben. Hätte er das nun geradeheraus gesagt, so wäre kaum weiter etwas daraus entstanden. Aber auch er fühlte, daß Josefine zwischen ihnen stand und sich bestechen ließ. So begann er voll Hohn alles als bloße Erdichtung zu bezeichnen, die heute glänzt und morgen zergeht.
Das ertrug die Eitelkeit des andern nicht! "Den Theologen fehlt es ganz einfach an der primitivsten Ehrlichkeit", schrie er. "Sie verschweigen, daß die wichtigsten Teile ihres Glaubens nicht den Juden offenbart, sondern einfach irgendwo anders hergenommen sind. So der Unsterblichkeitsglaube. Der stammt aus Ägypten. Ebenso die Gebote. Kein Mensch klettert einen hohen Berg hinauf, um sich unter Donner und Blitz offenbaren zu lassen, was die Leute schon tausend Jahre lang gewußt haben. Woher stammt der Teufel? Woher die Strafen der Hölle? Woher der jüngste Tag und das Gericht? Woher die Engel? Die Juden haben von all dem nichts gewußt. Die Pfaffen sind – na, einfach Leute, die nicht ehrlich nachforschen und dem Volk derartiges weismachen!" Josefine senkte den Kopf; die Jugend, besonders die männliche,