Lebensansichten des Katers Murr. Эрнст Гофман
die übereilte Flucht?“ So fragte sie. Die Prinzessin vermochte, außer sich, verstört, wie sie war, nur in abgebrochenen Reden etwas von einem Wahnsinnigen herzustammeln, der sie überfallen. Julia erzählte ruhig und besonnen, wie sich alles begeben, und schloß damit, daß sie den Fremden durchaus nicht für wahnsinnig, sondern nur für einen ironischen Schalk, wirklich für eine Art von Monsieur Jacques halte, der zur Komödie im Ardenner Walde passe.
Die Rätin Benzon ließ sich alles nochmals wiederholen, sie fragte nach dem kleinsten Umstande, sie ließ sich den Fremden beschreiben in Gang, Stellung, Gebärde, Ton der Sprache usw. Ja, rief sie dann, es ist nur zu gewiß, er ist es, er ist es selbst, kein anderer kann – darf es sein!
Wer – wer ist es? fragte die Prinzessin ungeduldig.
Ruhig, liebe Hedwiga, erwiderte die Benzon, Sie haben Ihren Atem umsonst verkeucht; kein Wahnsinniger ist dieser Fremde, der Ihnen so bedrohlich erschien. Welchen bittern, unziemlichen Scherz er sich auch seiner barocken Manier gemäß erlaubte, so glaube ich doch, daß Sie sich mit ihm aussöhnen werden.
Nimmermehr, rief die Prinzessin, sehe ich ihn wieder, den – unbequemen Narren.
Ei Hedwiga, sprach die Benzon lachend, welcher Geist gab Ihnen das Wort, unbequem, ein, das nach dem, was vorgegangen, viel besser paßt, als Sie vielleicht selbst glauben und ahnen mögen.
Ich weiß auch gar nicht, begann Julia, wie Du auf den Fremden so zürnen magst, liebe Hedwiga? – Selbst in seinem närrischen Tun, in seinen wirren Reden, lag etwas, das auf seltsame und gar nicht unangenehme Weise mein Innerstes anregte. Wohl Dir, erwiderte die Prinzessin, indem ihr die Tränen in die Augen traten, daß Du so ruhig sein kannst und unbefangen, aber mir zerschneidet der Hohn des entsetzlichen Menschen das Herz! – Benzon, wer ist es, wer ist der Wahnsinnige? „Mit zwei Worten,“ sprach die Benzon, „erkläre ich alles. Als ich mich vor fünf Jahren in …“
(M. f. f.) – mich überzeugte, daß in einem echten, tiefen Dichtergemüt auch kindliche Tugend wohnt und Mitleid mit dem Bedrängnis der Genossen.
Eine gewisse Schwermut, wie sie oft junge Romantiker befällt, wenn sie den Entwicklungskampf der großen erhabenen Gedanken in ihrem Innern bestehen, trieb mich in die Einsamkeit. Unbesucht blieben mehrere Zeit hindurch Dach, Keller und Boden. Ich empfand mit jenem Dichter die süßen idyllischen Freuden im kleinen Häuschen am Ufer eines murmelnden Bachs, umschattet von düster belaubten Hängebirken und Trauerweiden, und blieb, mich meinen Träumen hingebend, unter dem Ofen. So kam es aber, daß ich Mina, die süße, schöngefleckte Mutter, nicht wiedersah. – In den Wissenschaften fand ich Trost und Beruhigung. O, es ist etwas Herrliches um die Wissenschaften! – Dank, glühender Dank dem edlen Mann, der sie erfunden! – Wie viel herrlicher, wie viel nützlicher ist diese Erfindung, als jene des entsetzlichen Mönchs, der zuerst es unternahm, Pulver zu fabrizieren, ein Ding, das mir, seiner Natur und Wirkung nach, in den Tod zuwider. Die richtende Nachwelt hat auch den Barbaren, den höllischen Barthold, gestraft mit höhnender Verachtung, indem man noch heutigen Tages, um einen scharfsinnigen Gelehrten, einen umschauenden Statistiker, kurz, jeden Mann von exquisiter Bildung, recht hoch zu stellen, sprichwörtlich sagt: Er hat das Pulver nicht erfunden!
Zur Belehrung der hoffnungsvollen Katerjugend, kann ich nicht unbemerkt lassen, daß ich, wollte ich studieren, mit zugedrückten Augen in die Bibliothek meines Meisters sprang, und dann das Buch, was ich angekrallt, herauszupfte und durchlas, mochte es einen Inhalt haben wie es wollte. Durch diese Art zu studieren gewann mein Geist diejenige Biegsamkeit und Mannigfaltigkeit, mein Wissen den bunten glänzenden Reichtum, den die Nachwelt an mir bewundern wird. Der Bücher, die ich in dieser Periode des dichterischen Schwermuts hintereinander las, will ich hier nicht erwähnen, teils, weil sich dazu eine schicklichere Stelle vielleicht finden wird, teils, weil ich auch die Titel davon vergessen, und dies wieder gewissermaßen darum, weil ich die Titel meistenteils nicht gelesen, und also nie gewußt habe. – Jedermann wird mit dieser Erklärung zufrieden sein, und mich nicht biographischen Leichtsinnes anklagen.
Mir standen neue Erfahrungen bevor.
Eines Tages, als mein Meister eben in einen großen Folianten vertieft war, den er vor sich aufgeschlagen, und ich dicht bei ihm unter dem Schreibtisch, auf einem Bogen des schönsten Royalpapiers liegend, mich in griechischer Schrift versuchte, die mir vorzüglich in der Pfote zu liegen schien, trat rasch ein junger Mann hinein, den ich schon mehrmals bei dem Meister gesehen, und der mich mit freundlicher Hochachtung, ja mit der wohltuenden Verehrung behandelte, die dem ausgezeichneten Talent, dem entschiedenen Genie gebührt. Denn nicht allein, daß er jedesmal, nachdem er den Meister begrüßt, zu mir sprach: Guten Morgen Kater! so kraute er mir auch jedesmal mit leichter Hand hinter den Ohren, und streichelte mir sanft den Rücken, so daß ich in diesem Betragen wahre Aufmunterung fand, meine innern Gaben leuchten zu lassen vor der Welt.
Heute sollte sich alles anders gestalten!
Wie sonst niemals sprang nämlich heute dem jungen Mann ein schwarzes zottiges Ungeheuer mit glühenden Augen nach zur Türe hinein, und als es mich erblickte, gerade auf mich zu. Mich überfiel eine unbeschreibliche Angst, mit einem Satz war ich auf dem Schreibtisch meines Meisters, und stieß Töne des Entsetzens und der Verzweiflung aus, als das Ungeheuer hoch hinaufsprang nach dem Tisch, und dazu einen mörderlichen Lärm machte. Mein guter Meister, dem um mich bange, nahm mich auf den Arm, und steckte mich unter den Schlafrock. Doch der junge Mann sprach: „Seid doch nur ganz unbesorgt, lieber Meister Abraham! Mein Pudel tut keiner Katze was, er will nur spielen. Setzt den Kater nur hin, sollt Euch freuen wie die Leutchen miteinander Bekanntschaft machen werden, mein Pudel und Euer Kater.
Mein Meister wollte mich wirklich niedersetzen, ich klammerte mich aber fest an, und begann kläglich zu lamentieren, wodurch ich es denn wenigstens dahin brachte, daß der Meister mich, als er sich niederließ, dicht neben sich auf dem Stuhle litt.
Ermutigt durch meines Meisters Schutz, nahm ich, auf den Hinterpfoten sitzend, den Schweif umschlungen, eine Stellung an, deren Würde, deren edler Stolz meinem vermeintlichen schwarzen Gegner imponieren mußte. Der Pudel setzte sich vor mir hin auf die Erde, schaute mir unverwandt ins Auge, und sprach zu mir in abgebrochnen Worten, die mir freilich unverständlich blieben. Meine Angst verlor sich nach und nach ganz und gar, und ruhig geworden im Gemüt, vermochte ich zu bemerken, daß in dem Blick des Pudels nichts zu entdecken, als Gutmütigkeit und biederer Sinn. Unwillkürlich fing ich an, meine zum Vertrauen geneigte Seelenstimmung durch sanftes Hin- und Herbewegen des Schweifes an den Tag zu legen, und sogleich begann auch der Pudel mit dem kurzen Schweiflein zu wedeln auf die anmutigste Weise.
O! mein Inneres hatte ihn angesprochen, nicht zu zweifeln war an dem Anklang unserer Gemüter! – Wie, sprach ich zu mir selbst, wie konnte dich das ungewohnte Betragen dieses Fremden so in Furcht und Schrecken setzen? – Was bewies dieses Springen, dieses Klaffen, dieses Toben, dieses Rennen, dieses Heulen anders als den in Liebe und Lust, in der freudigen Freiheit des Lebens heftig und mächtig bewegten Jüngling? – O es wohnt Tugend, edle Pudeltümlichkeit in jener schwarz bepelzten Brust! – Durch diese Gedanken erkräftigt, beschloß ich, den ersten Schritt zu tun zu näherer engerer Einigung unserer Seelen, und herabzusteigen von dem Stuhl des Meisters.
Sowie ich mich erhob und dehnte, sprang der Pudel auf und in der Stube umher, mit lautem Klaffen! – Äußerungen eines herrlichen lebenskräftigen Gemüts! – Es war nichts mehr zu befürchten, ich stieg sogleich herab, und näherte mich behutsam leisen Schrittes dem neuen Freunde. Wir begannen jenen Akt, der in bedeutender Symbolik die nähere Erkenntnis verwandter Seelen, den Abschluß des aus dem inneren Gemüt heraus bedingten Bündnisses ausdrückt, und den der kurzsichtige frevelige Mensch mit dem gemeinen unedlen Ausdruck „Beschnüffeln“, bezeichnet. Mein schwarzer Freund bezeigte Lust, etwas von den Hühnerknochen zu genießen, die in meiner Speiseschüssel lagen. So gut ich es vermochte, gab ich ihm zu verstehen, daß es der Weltbildung, der Höflichkeit gemäß sei, ihn als meinen Gast zu bewirten. Er fraß mit erstaunlichem Appetit, während ich von weitem zusah. – Gut war es doch, daß ich den Bratfisch beiseite gebracht und einmagaziniert unter mein Lager. – Nach der Tafel begannen wir die anmutigsten Spiele, bis wir uns zuletzt, ganz ein Herz und eine Seele, umhalsten, und fest aneinander geklammert, uns einmal über das andere überkugelnd, uns innige Treue und Freundschaft zuschworen.
Ich