Arena Eins: Die Sklaventreiber . Морган Райс
Saft tritt jetzt schneller aus, und ich verliere viel davon, weil er den Stamm hinunterläuft. Verzweifelt sehe ich mich nach etwas um, um ihn einzufangen – ein Eimer oder etwas Ähnliches – aber da ist natürlich keiner.
Dann fällt mir meine Thermoskanne wieder ein. Ich ziehe meine Plastikkanne aus meinem Taillenbund und leere ihn aus. Frisches Wasser kann ich immer bekommen, so lange so viel Schnee liegt – aber dieser Saft ist wertvoll. Ich halte die leere Thermoskanne gegen den Baum, wünschte, ich hätte ein vernünftiges Rohr. Ich schiebe das Plastik so dicht an den Stamm, wie ich kann, und schaffe es, viel aufzufangen. Die Kanne füllt sich langsamer, als ich es gerne hätte, aber innerhalb von ein paar Minuten habe ich immerhin die halbe Kanne voll.
Der Saftstrom hört auf. Ich warte ein paar Sekunden, ob er noch einmal anfängt, aber das macht er nicht.
Ich sehe mich um und sehe einen weiteren Ahorn in etwa drei Metern Entfernung. Ich eile hinüber, setze aufgeregt erneut mein Messer an und steche dies Mal hart zu, stelle mir schon vor, wie ich die Kanne ganz füllen kann, stelle mir die Überraschung auf Brees Gesicht vor, wenn sie ihn kostet. Vielleicht ist der Saft nicht nahrhaft, aber er wird sie sicher glücklich machen.
Dieses Mal aber, als mein Messer auf den Stamm trifft, ertönt ein scharfes, splitterndes Geräusch, das ich nicht erwartet hatte, danach knirscht das Holz. Ich sehe, wie der ganze Baum sich beugt, und mir wird klar, zu spät, dass dieser Baum, bedeckt von einer Eisschicht, schon tot ist. Mein Messer war das letzte Bisschen, was er noch brauchte, um umzufallen.
Einen Moment später stürzt der ganze Baum, mindestens sechs Meter hoch, um und kracht auf den Boden. Er wirbelt eine ungeheure Wolke aus Schnee und Kiefernnadeln auf. Ich krümme mich zusammen, weil ich Angst habe, dass ich jemanden auf mich aufmerksam gemacht haben könnte. Ich bin wütend auf mich selbst. Das war unvorsichtig und dumm. Ich hätte den Baum zuerst gründlicher untersuchen müssen.
Einige Momente später jedoch normalisiert sich mein Herzschlag und mir wird klar, dass hier oben sonst niemand ist. Ich kann wieder klar denken und ich erkenne, dass Bäume im Wald ständig von alleine umfallen, daraus könnte man nicht schließen, dass da ein Mensch ist. Als ich auf den Platz schaue, wo bis eben noch der Baum gestanden hat, muss ich deshalb zwei Mal hinschauen, als ich etwas entdecke, so ungläubig bin ich.
Da hinten in der Ferne, hinter ein paar weiteren Bäumen, direkt in den Berghang hineingebaut, steht ein kleines Steinhäuschen. Es ist winzig, perfekt quadratisch, etwa viereinhalb Meter breit und tief, etwa dreieinhalb Meter hoch, die Wände bestehen aus alten Steinblöcken. Ein kleiner Kamin erhebt sich über dem Dach, und in die Wände sind kleine Fenster eingebaut. Die Holztür, in Bogenform, ist angelehnt.
Dieses kleine Häuschen ist so gut verdeckt, passt sich so perfekt in seine Umgebung ein, dass ich es sogar, während ich es schon anschaue, kaum ausmachen kann. Das Dach und die Wände sind mit Schnee bedeckt, und der freiliegende Stein passt sich perfekt an die Landschaft an. Das Häuschen sieht uralt aus, als wäre es vor Hunderten von Jahren gebaut worden. Ich habe keine Ahnung, warum es hier steht, wer es gebaut haben könnte oder warum. Vielleicht ein Mitarbeiter eines State Parks. Vielleicht ein Einsiedler oder ein Verrückter.
Es sieht aus, als wäre jahrelang niemand dort gewesen. Ich sehe mir den Waldboden genau an, aber das sind weder menschliche Fußspuren noch Spuren von Tieren. Ich erinnere mich, dass der Schnee schon seit Tagen fällt, und rechne nach: Hier kann seit mindestens drei Tagen niemand hinein- oder hinausgegangen sein.
Mein Herz pocht beim Gedanken daran, was in dem Häuschen sein könnte. Essen, Kleidung, Medizin, Waffen, Material – alles wäre ein Geschenk des Himmels.
Vorsichtig bewege ich mich über die freie Fläche, sehe über meine Schulter nach, um sicherzugehen, dass mir niemand folgt. Ich bewege mich schneller, hinterlasse große und auffällige Spuren im Schnee. Als ich an der Tür ankomme, drehe ich mich noch einmal um, dann lausche ich einige Sekunden lang. Ich greife nach meiner Axt und schlage mit ihrem Stiel fest gegen die Tür, ein lautes und nachhallendes Geräusch, als letzte Warnung an alle Tiere, die vielleicht drinnen sein könnte.
Keine Reaktion.
Schnell schiebe ich die Tür auf, drücke den Schnee zurück und trete ein.
Es ist dunkel hier drinnen, das einzige Licht ist der letzte Sonnenschein des Tages, der durch die kleinen Fenster eindringt, meine Augen brauchen einen Moment, um sich daran zu gewöhnen. Ich warte mit dem Rücken zur Tür, auf der Hut für den Fall, dass doch Tiere diesen Ort als Rückzugsraum nutzen. Aber nach einigen weiteren Sekunden haben meine Augen sich an das Schummerlicht gewöhnt und es ist klar, dass ich alleine bin.
Als erstes fällt mir auf, dass es warm ist. Vielleicht, weil es so klein ist und die Decke niedrig, und weil es direkt in den Bergstein gebaut ist. Oder vielleicht, weil vor dem Wind geschützt ist. Sogar, obwohl das Wetter durch die Fenster eindringt, sogar, obwohl die Tür nur angelehnt ist, muss es hier drinnen mindestens fünfzehn Grad wärmer sein – viel wärmer, als es im Haus meines Vaters jemals war, sogar mit brennendem Feuer. Das Haus meines Vaters war von Anfang an billig gebaut worden, mit papierdünnen Wänden und einer Plastikfassade, an der Ecke eines Hügels, der immer direkt in der Windrichtung zu liegen schien.
Aber dieser Ort hier ist anders. Die Steinwände sind so dick und gut gebaut, ich fühle mich sicher und gut aufgehoben hier. Ich kann mir nur zu gut vorstellen, wie warm es hier drin werden könnte, wenn ich die Tür schließen, die Fenster vernageln und ein Feuer machen würde – der Kamin scheint in Ordnung zu sein.
Das Innere besteht aus einem großen Raum, und ich versuche, die Dunkelheit weiter zu durchdringen, den Boden abzusuchen, nach irgendetwas, das ich gebrauchen kann. Der Raum sieht wirklich aus, als hätte ihn seit dem Krieg keiner mehr betreten. Alle anderen Häuser, die ich gesehen hatte, hatten zerschmetterte Fenster, Müll lag herum, und ganz offensichtlich war alles Brauchbare bereits mitgenommen worden, sogar die Verkabelungen. Aber nicht in diesem Haus. Es sieht unberührt und sauber und ordentlich aus, als wäre der Besitzer einfach eines Tages aufgestanden und gegangen. Ich frage mich, ob das noch vor dem Krieg war. Die Spinnwegen und die unglaubliche Lage, so gut versteckt hinter den Bäumen, lassen darauf schließen. Hier war seit Jahrzehnten niemand.
An der anderen Wand hinten kann ich die Konturen eines Gegenstandes erkennen, und ich mache mich auf den Weg dorthin. Ich halte die Hände vor mir, taste mich in die Dunkelheit. Als ich anfasse, stelle ich fest, dass es eine Kommode ist. Ich fahre mit meinen Fingern über die glatte Holzoberfläche und kann den Staub fühlen. Ich ertaste mit meinen Fingern kleine Knäufe, von Schubladen. Ich ziehe vorsichtig eine nach der anderen auf. Es ist zu dunkel, um zu sehen, also fasse ich mit der Hand in jede Schublade. In der ersten ist nichts. Auch nicht in der zweiten. Jetzt öffne ich die anderen schnell, meine Zuversicht schwindet. In der fünften Schublade jedoch kann ich hinten, auf der Rückseite, etwas erfühlen. Langsam ziehe ich es heraus.
Ich halte es ins Licht hoch, und zuerst kann ich es nicht erkennen. Aber ich kann die verräterische Aluminiumfolie fühlen und mir wird klar: Ein Schokoriegel. Einige Bissen fehlen, aber er ist noch in seiner Originalverpackung, und das Meiste ist noch da. Ich packe ihn nur ein bisschen aus, halte ihn an meine Nase und rieche daran. Ich kann es nicht glauben: Echte Schokolade. Wir hatten seit dem Krieg keine Schokolade mehr.
Der Geruch bringt meinen stechenden Hunger zurück und ich brauche all meine Willenskraft, um den Riegel nicht aufzureißen und zu verschlingen. Ich zwinge mich, stark zu bleiben, verpacke ihn wieder sorgfältig und verstaue ihn in meiner Tasche. Ich werde warten und ihn gemeinsam mit Bree genießen. Ich lächle und freue mich schon auf ihren Gesichtsausdruck, wenn sie ihren ersten Bissen nimmt. Er wird unbezahlbar sein.
Schnell durchsuche ich die restlichen Schubladen in der Hoffnung, noch weitere Schätze zu finden. Aber alle anderen sind leer. Ich gehe wieder durch das Zimmer, gehe es der Länge und der Breite nach ab, in alle vier Ecken, aber da scheint nichts zu sein.
Plötzlich trete ich auf etwas Weiches. Ich knie mich hin und halte es hoch, ins Licht. Ich bin verblüfft: Ein Teddybär. Ziemlich abgenutzt, und ein Auge fehlt, aber trotzdem, Bree liebt Teddybüren und vermisst ihren von früher. Sie wird sich unglaublich über diesen freuen. Sieht aus, als wäre heute ihr Glückstag.
Ich klemme den Teddy in meinen Gürtel,