Глава, в которой Агата Кристи пишет про Иуду, а Джоан Роулинг — про Христа. Галина Юзефович

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Schrei hätte ihn fast aus dem Gleichgewicht gebracht, auch wenn er ganz anders klang als befürchtet. Kein kräftiger, erboster Mann war es, der da schrie, weil sich jemand an seinem Eigentum vergriffen hatte. Sondern eine Frau. Eine Mutter in höchster Panik.

      »Binki, was macht der Mann da mit dir?!«

      Erschrocken stieß er seinen rechten Fuß in den Badehosenbund, wechselte das Standbein, schob den linken Fuß hinterher, tastete mit dem großen Zeh nach dem richtigen Hosenbein. Und verhedderte sich. Verbissen um seine Balance kämpfend, hopste er im weichen Sand hin und her. Endlich waren beide Beine richtig positioniert, endlich, endlich konnte er die Hose hochziehen und sich aus seiner misslichen Selbstfesselung befreien. Schon …

      Da löste sich der Knoten, der das Badelaken mehr schlecht als recht zusammengehalten hatte, und das bunte Tuch sank in den Sand.

      Das Gebrüll schwoll zu ohrenbetäubender Lautstärke an. »Sie gemeiner Schweinekerl!«, kreischte die Frau. »Gehen Sie weg von meinem Kind!«

      Panisch riss er an der Badehose, deren feuchter Innenslip sich einfach nicht über seine stämmigen Oberschenkel ziehen lassen wollte, und sprang von einem Bein auf das andere, während sich eine leuchtend rote, laut schreiende Gestalt in sein Blickfeld drängte. Sein Geschlecht begann munter zu pendeln. Jetzt brüllte auch Bikini-Binki, und um sie und ihn herum wurden die fragenden und verärgerten Ausrufe zahlreicher.

      Endlich war die Hose oben. Der Mann, der sich Kurt nannte, raffte Laken und T-Shirt zusammen und rannte los, so schnell es der tiefe Sand und sein schwerer Körper eben zuließen, in Richtung Dünen, bloß weg von dem fürchterlichen Geschrei.

      »Polizei« war eines der letzten Worte, die er noch deutlich verstehen konnte, ehe die allgegenwärtige Brandung alles verschluckte und mit ihrem gleichförmigen Rauschen überdeckte. Zwar keuchte er schon bedenklich, dieses Wort aber verlieh ihm die zweite Luft. Bloß das nicht, bloß keine Polizei. Das fehlte noch, als Sittenstrolch gepackt zu werden, ohne zu wissen, ob … Und was das mit dem Blut an seinen Händen auf sich hatte und mit allem anderen.

      Seine Unterhose, die er im Sand hatte liegen lassen, fiel ihm erst einige Zeit später wieder ein.

      7.

      »Wie sieht sie denn aus?«, fragte Lüppo Buss.

      Leopold Heiden warf beide Arme in die Luft. »Mein Gott, wie die Mädchen eben aussehen heutzutage, nicht? Dünngehungert ohne Ende, die Haare gefärbt, etwa so rosa wie eine Packung Aldi-Lachs, und natürlich so eine Krampe in der Nase. Piercing, Sie verstehen. Ein Wunder, dass die damit noch halbwegs singen konnte.« Der Chorleiter stutzte und verbesserte sich: »Kann, meine ich natürlich.«

      Der Inselpolizist runzelte die Stirn. Dieser eingebildete Hampel mit seinem theatralischen Gefuchtel und seiner zur Schau getragenen Scheißegalhaltung gegenüber einem seiner Schützlinge machte ihn ärgerlich. Seine blonden, raupenartig borstigen Augenbrauen krochen bedrohlich aufeinander zu. Schön, noch wurde diese Hilke Smit erst seit ein paar Stunden vermisst, das musste nichts heißen, Teenager blieben nun einmal gelegentlich über Nacht weg. Aber so erbärmlich brauchte man sich als Verantwortlicher nun auch nicht anzustellen.

      »Ihre Haare sind dunkelblond, mit pinkfarbenen Strähnchen«, meldete sich Heidens Kollegin zu Wort. »Sie ist sechzehn Jahre alt, wirkt aber eher jünger. Etwa einszweiundsechzig groß und schlank, beinahe noch kindlich. Das Piercing hat sie im linken Nasenflügel. Sie trägt eine Brille mit rotem Kunststoffgestell, das heißt, die sollte sie eigentlich tragen, denn sie ist ziemlich kurzsichtig, aber meistens trägt sie sie nicht.«

      Lüppo Buss nickte und machte sich Notizen. Gott sei Dank war mit dieser Frau Taudien mehr anzufangen als mit ihrem Kollegen. Oder Chef? Schon auf dem Anrufbeantworter hatte die Stimme der Oberstudienrätin sehr kompetent geklungen. Wäre sicher besser gewesen, mit ihr allein zu sprechen, denn Heidens Gegenwart schien diese Frau doch sehr zu verunsichern. Aber heute am frühen Vormittag, als sie anrief, war Lüppo ja unterwegs gewesen, und inzwischen war die Chorprobe beendet, leider, so dass er jetzt beide am Hals hatte.

      Typisch, dass ihm gerade jetzt solch eine Sache serviert wurde, da er alleine auf der Insel Dienst tat. Gewöhnlich waren sie zu zweit, er und sein jüngerer Kollege Bodo Jürgens. Mit zwei Mann ließ sich all das, was die Insulaner und ihre Gäste außerhalb der Hochsaison anstellen konnten, ganz gut bewältigen. Und während des Sommers bekamen sie ohnehin regelmäßig Verstärkung. Jetzt aber war Lüppo Buss ganz auf sich gestellt, denn Bodo Jürgens war gestern Abend in aller Eile aufs Festland geschafft worden. Mit dem Rettungshubschrauber. Und das aus gutem Grund, denn im Krankenhaus hatte man einen akuten Blinddarmdurchbruch festgestellt und sofort operiert. Lüppo Buss, der gerade zwei freie Tage in Esens abgebummelt hatte, wo er eine winzige Zweitwohnung unterm Dach eines schmucklosen Mehrfamilienhauses unterhielt, war sofort benachrichtigt worden und eilends nach Langeoog zurückgekehrt. Und jetzt saß er hier mit diesem Mist.

      »Was wissen Sie denn sonst noch über das Mädchen?«, fragte er, den Blick betont fest auf Frau Taudien gerichtet. »Hat sie Sorgen? Irgendwelche Probleme, die sie bedrücken?« Aus den Augenwinkeln konnte er erkennen, wie Heiden, seine Nichtbeachtung augenblicklich registrierend, die Arme fest vor der Brust verknotete und beleidigt die Schallschluckplatten an der Bürodecke fixierte. Bestens, sollte er ruhig, solange er die Klappe hielt.

      »Sie meinen …?« Die Lehrerin überlegte, wobei sie heftig mit den Augen rollte und die vollen Lippen nach vorne stülpte. »Nun ja«, sagte sie dann, »ich glaube schon. Sie fühlte sich wohl nicht richtig akzeptiert, nicht zugehörig, verstehen Sie? So etwas geht ja sehr schnell.«

      Der Polizist nickte bedächtig. »Falsche Kleidermarke, uncooler Musikgeschmack, zu gute Schulnoten, etwas in der Richtung?«

      »Nein, das nicht.« Die Oberstudienrätin schwenkte energisch den Zeigefinger. »Leistungsorientiert sind viele im Chor, deswegen wird man nicht gemobbt. Sonst schon, aber nicht bei uns. Und in Sachen Musik sind wir alle sehr flexibel, das liegt ja irgendwie in der Natur der Sache. Was die Mode angeht, so gibt sich Hilke alle Mühe, keinen angesagten Trend zu verpassen. Das ist es also nicht. Eher schon … ihre allgemeine Erscheinung, verstehen Sie.«

      »Nein«, sagte Lüppo Buss. »Klären Sie mich auf.«

      »Na ja.« Margit Taudien zuckte die Achseln. »Sie haben es ja selber notiert. Einszweiundsechzig, Figur eher knabenhaft, jünger aussehend. Wissen Sie, was das für eine Sechzehnjährige bedeuten kann? In dem Alter sind die Mädels doch alle stark verunsichert, haben mental keinen festen Boden unter den Füßen. Darum machen die alle so verzweifelt auf erwachsen. Was glauben Sie denn, warum sich manche von denen so herausputzen? Weil sie mit aller Gewalt etwas darstellen wollen, von dem sie überhaupt nicht wissen, ob sie es denn wirklich schon sind. Nämlich Frauen. Und wenn man dann so wie Hilke das Pech hat, dass die eigene körperliche Entwicklung das einfach noch nicht hergibt, dann kann das schon zum Verzweifeln sein.« Erschrocken schlug sie sich die Hand vor den Mund: »Oh Gott, das will ich jetzt aber wirklich nicht annehmen, dass ihr das dermaßen nahe gegangen ist, dass sie sich womöglich …«

      »… etwas angetan hat?« Lüppo Buss schüttelte sanft das breite Haupt. »Vom Schlimmsten müssen wir ja nicht gleich ausgehen.«

      »Sie wissen offenbar nicht, wie rücksichtslos Jugendliche in diesem Alter sind.« Die Lehrerin schien nicht geneigt, sich beschwichtigen zu lassen. »Geradezu brutal. Sagt Ihnen der Ausdruck ›Zickenterror‹ etwas? Da könnte ich Ihnen Geschichten erzählen! Also, wenn die Hilke von irgendeiner Clique, womöglich von ihrer eigenen, so richtig in die Zange genommen worden ist, dann garantiere ich für gar nichts.«

      Lautes Klopfen an der Tür enthob Lüppo Buss einer Antwort. Ehe er noch »Moment bitte!« rufen konnte, wurde die Tür aufgerissen, und ein Schwall aufgeregt plappernder Menschen brach über ihn und die beiden Leeraner Lehrer herein. Allen voran eine Frau im erdbeerroten Badeanzug mit kupferrot gefärbten Haaren, zartrosa getönter Haut und krebsrot angelaufenem Gesicht. Mit der einen Hand schob sie ein kleines Mädchen mit weißem Sonnenhut und mintgrünem Blümchenbikini vor sich her, in der anderen schwenkte sie ein undefinierbares, allem Anschein nach recht voluminöses blauweiß gestreiftes Kleidungsstück,


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