Pieśń Lodu i Ognia.. George R.r. Martin

Pieśń Lodu i Ognia. - George R.r. Martin


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      »Ja, Sir!«, murmelte dieser und wich dem Blick des Abgeordneten aus.

      »Ich kenne dich schon, seit du so klein warst.« Er zeigte mit der Hand die Größe des Mädchens, das sie gewesen war, nicht größer als ein Hocker. »Dein Vater ist ein guter Mann, ich kenne ihn, ich kenne ihren Vater, nicht wahr? Aber was hast du mit diesen Störenfrieden zu schaffen? Was soll der Blödsinn? Warum mischst du dich ein?«

      »Herr Abgeordneter, vielen Dank, dass Sie mir die Möglichkeit geben, Ihnen zu erklären …«

      »Du hast mir gar nichts zu erklären! Dein Platz ist woanders. Du hörst jetzt mit diesem Unfug auf. Kümmere dich um deine Familie. Wir werden allen Bauern ein neues Stückchen Land geben. Es wird etwas dauern, aber so wird es kommen. Schluss jetzt mit den Scherereien, du legst uns keine Steine mehr in den Weg. Mach, was ich dir sage, Punkt aus.«

      Der Abgeordnete redete noch eine Weile auf sie ein, mit seiner lauten, tiefen, monoton autoritären Stimme.

      Dann ließ er sie gehen. »Groß bist du geworden. Du bist jetzt eine Frau. Sie ist jetzt eine Frau, nicht wahr?«

      Diesmal schaute der junge Genosse sie direkt an, grinste breit und nickte.

      Am Fuß des Hügels

      Als sie am frühen Abend aus der Schule kam, ließ Esha sich auf ihr Bett fallen. Ihr Magen knurrte vor Hunger, aber sie schaffte es nicht, wieder aufzustehen und sich ein Fertigessen aufzuwärmen. Sie nahm ihr Kissen, schob es sich unter den Bauch, versuchte zu schlafen und ihren Tag zu vergessen.

      Seit Schuljahresbeginn kam es täglich zu Konflikten mit ihren Schülern. Von Weitem schon, beim Anblick des Tors, bereitete sie sich darauf vor, vermintes Terrain zu betreten.

      Die engen Straßen rund um die Schule stanken nach Gras und Haschisch. Vor der Hausmeisterloge auf dem Hof rauchten die Aufseher und Schüler gemeinsam ihre Zigaretten. Die Schwingtür zum Gang flog auf und zerschmetterte der Person dahinter jedes Mal fast die Nase, die Schüler kamen und gingen hordenweise, schubsten einander, lachten und schrien, erfüllt von einer unglaublichen körperlichen Kraft, ihre Schritte und Rufe hallten durch das Gebäude. Plakate mit Referaten der Schüler bedeckten die Wände. Ihr Blick streifte das über die Frau, die dank eines Fotos ihres riesigen Hinterns in den sozialen Netzwerken berühmt geworden war, und das über eine junge Frau aus einer Realityshow, die durch ihre Imitation eines Telefonats Kultstatus erreicht hatte und anschließend in Verdacht geraten war, ihren Freund erstochen zu haben. Bei mehreren Türen waren die Schlösser mit Metallsplittern aus der Werkstatt verstopft worden. Seit Schuljahresbeginn machten sich ein paar Schüler einen Spaß aus diesem Spiel, sie blockierten die Türen und schrien: »Nieder mit der Schule!« Sie hatten die Schlüssel von mehreren Räumen geklaut, dann die Computer und die Beamer.

      Nach wenigen Tagen litt sie unter Schlaflosigkeit, wie bei allen vorherigen Stellen, die ihr zugeteilt worden waren, die Nächte kamen wieder, licht und rau wie Tafelkreide. Sie ging zur Schule, einen Angstknoten im Bauch, jeden Tag musste sie bei null anfangen, musste sich eine neue List ausdenken, um ihnen die Fremdsprache beizubringen, ihre Aufmerksamkeit zu wecken, die Fragen umzulenken, die mehr ihr Privatleben betrafen als den Lehrstoff, sehr schnell wollten sie nichts mehr wissen, zwei, drei Schüler in der ersten Reihe machten sich klein, wurden von den anderen für ihre Strebsamkeit gehänselt, die Mädchen verwechselten in ihrer Federtasche die Wimperntusche mit dem Kugelschreiber, die Jungen kamen ohne Schultasche, Kappe auf dem Kopf, Kopfhörer auf den Ohren. An dem Tag, als es Esha gelungen war, sie davon zu überzeugen, mit einem Heft und einem Kugelschreiber zur Schule zu kommen, hatte sie sich selbst zu diesem ersten Sieg beglückwünscht. Größte Wachsamkeit war gefordert, damit sie einander nicht mit Papierkügelchen oder kaputten Kugelschreibern bewarfen, damit sie die Tische nicht mit den Fäusten und ihre Klassenkameraden nicht mit den Füßen malträtierten, ihre Stühle nicht durch die Luft warfen, nicht schrien, einander nicht beschimpften, nicht plötzlich aufsprangen, um durch das Klassenzimmer zu laufen, nicht brüllten »Verpiss dich, du Vollidiot!« und nicht ständig losprusteten, damit sie sie nicht unterbrachen, wenn sie sprach, sie nicht lauthals fragten, warum sie an die Tafel schrieb, was sie schrieb, ihr nicht vorhielten, dass sie einen Akzent habe, dass sie dahin zurückgehen solle, wo sie hergekommen war, dass sie hier zu Hause seien, weil ihre Eltern seit Jahren hier lebten.

      Dieses Mal war die Stimmung schon in der ersten Stunde mit einer Klasse von einem Dutzend Schülern gekippt. Diese Jungen kamen von einem dreiwöchigen Praktikum als Mechaniker zurück. Sie wussten nicht, dass sie beim Fremdsprachenunterricht ihr Schulzeug brauchten, sie rieben sich die leeren, rauen Hände, ließen ihre Finger knacken, kratzten sich am Kopf und seufzten lautstark. Die weiße Tafel strahlte in ihre verblüfften Augen wie das Neonlicht eines Operationssaals, sie hypnotisierte sie und schläferte sie ein, die Buchstaben und Wörter fügten sich nicht zusammen, sie verstanden die Zeichen nicht, die unergründlich und leblos vor ihnen lagen.

      Esha war ratlos. Wie konnte man sie das Lernen lehren?

      Als sie das Hörbeispiel abspielen wollte, fiel ihr auf, dass der Junge, der sich ganz hinten, weit weg von den anderen, hingesetzt und seinen Kopf auf die verschränkten Arme gelegt hatte, mittlerweile schlief.

      »Wach auf! Du darfst hier nicht schlafen!«, rief sie.

      Er antwortete ihr nicht, rührte sich nicht, mit einer Handbewegung forderte er Esha auf, ihn in Frieden zu lassen. Esha insistierte, rief ihm die Schulordnung in Erinnerung, da lief der Jugendliche rot an. Man hätte meinen können, dass die großen, durchscheinenden Pickel, die sein Gesicht bedeckten, jeden Moment platzen würden. Er sprang von seinem Stuhl auf und schrie: »Du hast mir gar nichts zu befehlen! Ich bin nicht dein Hund!«

      Esha versuchte, ihm zu erklären, dass es hier nicht um Herrchen und Hunde ging, sondern um Lehrer und Schüler, dass das die Grundidee der Schule war, was den Jungen umso mehr aufregte.

      »Zieh dir ne Burka an! Walla, dir geht’s wohl nicht gut! Hast du schlecht geschlafen oder was?« Er schaute zu seinen Klassenkameraden, lachte. Die Jungen lachten mit, zerknitterten die Blätter, die Esha ausgeteilt hatte, zerknüllten sie und warfen sie durch den Raum.

      Esha hob den Hörer des Telefons an der Wand ab und wählte mehrere Nummern, bevor sie eine Aufsicht ans Telefon bekam. Ein Mann kam herein, groß und kräftig wie ein Soldat. Mit seinen ruhigen, halbgeschlossenen Augen beobachtete er die tobenden Schüler, fragte Esha, was sie wünsche. Sie erzählte von dem Zwischenfall, und der Aufseher wandte sich an den fraglichen Schüler, der beim Leben seiner Mutter schwor, nichts gemacht zu haben, was alle seine Brüder bezeugen könnten.

      In der Überzeugung, dass niemand etwas Böses wolle, dass es ihre Art sei und dass man sie nicht vor den Kopf stoßen dürfe, verließ der Aufseher den Raum und schloss ehrfürchtig die Tür hinter sich. Nichts konnte Esha beruhigen. Weder der Bericht, den sie im Anschluss für den Beauftragten für Disziplinarfragen und die Direktion verfasste, noch die Sammelmail, die sie an ihre Kollegen schickte.

      Angespannt ging sie in die zweite Unterrichtsstunde in einer Klasse mit Mädchen, die eine Ausbildung in der Modebranche machten.

      Seit Beginn des Schuljahres hatte sie sich das Vertrauen eines Teils von ihnen erarbeitet, sie thematisierten die Stellung der Frau, trugen T-Shirts mit politischen Slogans, waren stolz auf ihre Tätowierungen und Piercings, lasen in den Pausen. Die anderen folgten allen Modetrends, oder packten sie vielmehr, zermalmten sie mit ihren starken Händen und behielten Fetzen aus Stoff, Metall, Farben und Frisuren zurück. Mit ihren kräftigen Körpern in engen Leggings, ihren Perücken, Extensions, Zöpfen, ihren falschen Wimpern, falschen Nägeln, ihrem Lippenstift waren sie grausam schön und beunruhigend. Diese Kriegerinnen lächelten nie, legten sich ständig mit Esha an, musterten sie und gaben tuschelnd Kommentare ab, mit denen sie ihre Klassenkameradinnen die ganze Stunde lang zum Lachen brachten.

      Für diesen Nachmittag hatte Esha sich vorgenommen, in ihrem Unterricht Simone de Beauvoir zu behandeln. Sobald sie ihnen ihre Biografie ausgeteilt hatte, warf ein Mädchen ihre blauen und schwarzen Zöpfe in den Nacken und sagte laut: »Das ist abartig!«

      »Warum abartig?«


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