Für Jetzt und Für Immer . Sophie Love
tun könnte.
„Ich muss los“, sagte Emily.
„Warte“, widersprach Amy. „Sag mir zuerst, wo du hingehst!“
Emily holte einmal tief Luft.
„Ich gehe nach Maine.“
KAPITEL DREI
Emily musste mit verschiedenen U-Bahnen fahren, um den Langzeitparkplatz in Long Island City zu erreichen, wo ihr altes, heruntergekommenes Auto stand. Sie hatte es schon seit Jahren nicht mehr verwenden, denn Ben hatte immer darauf bestanden, selber zu fahren, damit er mit seinem kostbaren Lexus angeben konnte. Als sie über den riesigen, schattenreichen Parkplatz lief und ihren Koffer hinter sich herzog, fragte sie sich, ob sie überhaupt noch fahren könnte. Das war auch eines der Dinge, die sie im Laufe ihrer Beziehung hatte schleifen lassen.
Allein schon der Weg hierher, zu diesem Parkplatz am Rande der Stadt, hatte sich endlos angefühlt. Während sie sich ihrem Auto näherte, hallten ihre Schritte auf dem gefrorenen Parkplatz wider und sie fühlte sich fast schon zu müde und erschöpft, um weiter zu gehen.
Machte sie gerade einen Fehler?, fragte sie sich. Sollte sie umkehren?
„Da ist es ja.“
Emily drehte sich um und sah, wie der Parkplatzwächter mit einem schon fast mitleidigen Lächeln auf ihr heruntergekommenes Auto schaute. Er streckte seine Hand aus, in der er ihre Schlüssel hielt.
Der Gedanke daran, jetzt noch eine achtstündige Fahrt vor sich zu haben, kam ihr wie eine überwältigende, unmöglich zu meisternde Herausforderung vor. Sie war bereits jetzt schon so unglaublich erschöpft, sowohl physisch als auch emotional.
„Wollen Sie sie nicht nehmen?“, fragte er schließlich.
Emily blinzelte, sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie mit ihren Gedanken abgeschweift war.
Sie stand dort und wusste irgendwie, dass dieser Moment entscheidend war. Würde sie zusammenbrechen und zu ihrem alten Leben zurücklaufen?
Oder wäre sie stark genug, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen?
Emily schüttelte die dunklen Gedanken ab und zwang sich dazu, stark zu sein. Zumindest für jetzt.
Sie nahm die Schlüssel und ging stolz zu ihrem Auto. Dabei versuchte sie, mutig und selbstsicher zu sein, doch insgeheim war sie nervös, dass es gar nicht mehr anspringen würde, oder dass sie sich nicht mehr daran erinnern könnte, wie man fuhr, wenn er denn doch noch funktionierte.
Sie saß in dem eiskalten Auto, schloss ihre Augen und schaltete den Motor ein. Sie beschloss, dass es ein gutes Zeichen wäre, wenn er ansprang. Wenn er kaputt wäre, könnte sie umkehren.
Sie hasste es, zugeben zu müssen, dass sie sich insgeheim wünschte, dass der Motor nicht mehr funktionierte.
Sie drehte den Schlüssel um.
Er sprang an.
*
Es war für Emily eine große Überraschung und ein Trost zugleich, dass sie immer noch wusste, was sie zu tun hatte, auch wenn die ersten Meter etwas holprig waren. Alles, was sie tun musste war, auf das Gaspedal zu treten und zu fahren.
Es war eiskalt, die Welt flog an ihr vorbei und Stück für Stück schüttelte sie ihre trübe Stimmung ab. Sie schaltete sogar das Radio an, als sie sich daran erinnerte, dass es in dem Auto eines gab.
Bei dröhnender Musik und mit heruntergelassenen Fenstern hielt Emily das Lenkrad fest in ihren Händen. In ihren Gedanken sah sie wie eine der glamourösen Damen in einem der 1940er Jahre Schwarz-Weiß-Filme aus, denen der Wind durch ihre perfekt frisierten Haare wehte. In Wirklichkeit hatte die kalte Februarluft ihre Nase so rot wie eine Beere anlaufen lassen und ihr Haar in ein ungekämmtes Nest verwandelt.
Schon bald hatte sie die Stadt hinter sich gelassen und je weiter in den Norden sie fuhr, desto dichter waren die Straßen von immergrünen Bäumen gesäumt. Sie ließ sich im Vorbeifahren Zeit, ihre Schönheit zu bewundern. Wie einfach sie sich von dem Gedränge und der Geschäftigkeit des Großstadtlebens hatte anstecken lassen. Wie viele Jahre hatte sie vorbeiziehen lassen, ohne die Schönheit der Natur zu bewundern?
Schon bald wurden die Straßen breiter, die Anzahl der Spuren nahm zu und schließlich war sie auf der Autobahn. Sie ließ den Motor aufheulen, zwang ihr heruntergekommenes Auto, immer schneller zu fahren. Durch die Geschwindigkeit fühlte sie sich lebendig und voller Energie. All die Menschen, die in ihren Autos unterwegs waren, und endlich war sie, Emily, auch einer von ihnen. Aufregung schoss durch ihren Körper, als sie immer weiter nach vorne schoss und die Geschwindigkeit so weit erhöhte, wie sie es sich traute.
Ihr Selbstvertrauen erreichte neue Höhen, während die Straße unter den Rädern ihres Wagens vorbeizog. Als sie über die Grenze des Bundesstaates Connecticut fuhr, wurde ihr erst wirklich klar, war sie eigentlich hinter sich ließ. Ihre Arbeit, Ben, sie war endlich all den Ballast losgeworden.
Je weiter sie in den Norden fuhr, desto kälter wurde es und Emily sah schließlich ein, dass es einfach zu kalt war, um das Fenster offen zu lassen. Sie ließ es hochfahren und rieb ihre Hände aneinander, wobei sie sich wünschte, etwas zu tragen, dass dem Wetter angemessener wäre. Sie hatte New York in ihrem unbequemen Arbeitsanzug verlassen und aus einem Impuls heraus ihren Blazer und ihre Stilettos aus dem Fenster geworfen. Jetzt trug sie nur eine dünne Bluse und die Zehen ihrer nackten Füße schienen sich in Eisblöcke verwandelt zu haben. Das Bild des Filmstars aus den 1940er Jahren verblasste in ihren Gedanken, als sie ihr Spiegelbild in dem Rückspiegel erblickte. Sie sah ganz schön durch den Wind aus. Doch das war ihr egal. Sie war frei, das war alles, was zählte.
Stunden vergingen und plötzlich lag Connecticut hinter ihr, es war nur noch eine ferne Erinnerung, nur ein Ort, den sie auf dem Weg in eine bessere Zukunft durchquert hatte. Die Landschaft des Bundesstaates Massachusetts war viel offener. Anstatt der dunkelgrünen Blätter der immergrünen Bäume hatten diese hier ihr Sommerkleid abgeworfen und ragten nun wie dürre Skelette auf beiden Seiten der Straße empor. Zwischen ihnen konnte man hin und wieder Schnee und Eis auf dem harten Boden sehen. Über Emily begann der Himmel, seine Farbe von einem klaren Blau zu einem matschigen Grau zu ändern, was sie daran erinnerte, dass es dunkel sein würde, wenn sie endlich in Maine ankäme.
Sie fuhr durch Worcester. Viele der Häuser dort waren groß, aus Holz gebaut und in verschiedenen Pastelltönen gestrichen. Emily musste sich unwillkürlich fragen, welche Menschen hier wohnten, was für Leben sie führten und welche Erfahrungen sie machten. Sie war nur wenige Stunden von ihrem Zuhause entfernt, doch bereits jetzt erschien ihr schon alles fremd – all die Möglichkeiten, all die verschiedenen Orte, an denen man leben und die man besuchen könnte. Wie hatte sie sieben Jahre lang nur eine Variante des Lebens sehen können, indem sie die alte, bekannte Routine verfolgte und jeden Tag die ganze Zeit auf etwas mehr gewartet und gewartet und gewartet hatte. All diese Zeit hatte sie darauf gewartet, dass Ben sich zusammenreißen würde, damit das nächste Kapitel ihres Lebens beginnen konnte. Doch die ganze Zeit lang hatte sie selbst die Macht gehabt, ihre eigene Geschichte voranzutreiben.
Als sie der Route 290 folgte, fuhr sie über eine Brücke, wo die Straße zur Route 495 wurde. Hier gab es keine Bäume mehr, die sie bewundern konnte, sie wurden von steilen Gesteinsformationen abgelöst. Ihr knurrender Magen erinnerte sie daran, dass sie die Mittagszeit hatte verstreichen lassen, ohne etwas zu essen. Sie überlegte, ob sie an einem LKW-Rastplatz anhalten sollte, doch das Verlangen, in Maine anzukommen, war zu groß. Sie könnte etwas essen, wenn sie dort ankam.
Weitere Stunden vergingen, als sie schließlich die Grenze zu dem Bundesstaat New Hampshire überquerte. Der Himmel brach auf, die Straßen waren breit und auf beiden Seiten erstreckte sich, soweit man sehen konnte, flaches Land. Emily fragte sich unwillkürlich, wie groß die Welt wohl war, wie viele Menschen wirklich in ihr lebten.
Ihr Optimismus trug sie an Portsmouth vorbei, wo Flugzeuge über ihr herabschossen, ihre Motoren heulten laut, als sie die Landebahn anzielten.