Soll und Haben. Gustav Freytag

Soll und Haben - Gustav Freytag


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ich natürlich am Himmel. Jetzt entstand die Frage, wer stärker war, die Strömung des Meeres oder mein Arm. Ein mörderisches Ringen mit dem perfiden Schurken von Wassergott begann. Durch die Stöße eurer Schwimmschule wäre ich nicht weit gekommen; ich rollte wie die Seekälber und die Wilden und griff Hand um Hand vorwärts. So konnte ich’s im Notfall ein paar Stunden aushalten. Und jetzt arbeitete ich. Es war ein harter Kampf, der mächtigste meines Lebens. Unterdes wurde es finster, die smaragdgrünen Wellen verwandelten sich in eine Flut von schwarzem flüssigem Pech, nur ihre Häupter schimmerten noch von weißem Gischt; wie Totenschädel stiegen sie um mich auf und spukten mich an. Der Himmel hing bleigrau über mir, zuweilen blinzte ein einzelner Stern hinter dem Wolkenrauch, das war mein einziger Trost. So schwamm ich zwischen Schwarz und Grau ins Endlose hinein, noch immer kein Land zu sehen. Ich wurde matt, und die teuflische Schwärze um mich herum gab mir zuweilen den Gedanken ein, die unnütze Arbeit aufzugeben. Die Wolkenbank stieg höher, die Sterne verschwanden, die Richtung wurde zweifelhaft und meine Lage durchaus unhaltbar. Ich merkte, daß die Sache zum Ende kam; meine Brust keuchte, vor den Augen tanzten unzählige Funken wie Leuchtkäfer auf dem Wege zur Hölle. Da, mein Junge, als ich halb besinnungslos mit einer Welle hinabgeglitten war, da fühlte ich mit dem Fuße etwas, was nicht mehr Wasser war.«

      »Es war Grund«, rief Anton.

      »Ja«, nickte Fink, »es war fester Sand. Ich kam eine Meile nördlich von meinen Kleidern ans Ufer und fiel dort hin wie eine erschlagene Robbe. –« Er brach ab und sah prüfend auf Anton. »Und jetzt macht Ihr Euch fertig, Maat«, rief er, »nehmt Eure Beine unter der Bank hervor, ich werde einen Schlag machen und zum Ufer wenden. Nur ruhig!«

      In diesem Augenblick fuhr ein starker Windstoß über die Wasserfläche, der Mast knarrte, das Boot neigte sich auf die Seite und hörte mit der Schwankung nicht eher auf, bis sein Kiel in die Höhe stand wie die Rückenflosse eines Fisches. Anton sank, seinem Versprechen getreu, ohne weitere Bemerkungen in die Tiefe. Blitzschnell tauchte Fink in die Strömung, stieß ebenfalls, wie er versprochen hatte, seinen Gefährten über sich nach der Oberfläche des Wassers und schob ihn mit großer Anstrengung auf eine seichte Stelle, wo es möglich war, watend das Ufer zu erreichen. »Zum Henker, fassen Sie doch meinen Arm!« rief Fink keuchend.

      Anton aber, der gegen die Abrede eine ziemliche Menge Wasser verschluckt hatte, besaß nicht mehr allzuviel Besinnung und machte nur eine abwehrende Bewegung mit der Hand.

      »Ich glaube, er will noch einmal hinunter«, rief Fink ärgerlich, faßte den Kraftlosen um den Leib und schleppte ihn ans Ufer.

      Eine Menge Menschen hatte sich hier versammelt und stürzte jetzt an den Rand des Wassers, wo Fink den jungen Matrosen im Arme hielt und ihm lebhaft zuredete, doch wieder zu sich zu kommen. Endlich öffnete Anton die Augen und bezeugte dadurch und durch einige andere Bewegungen die Absicht, seine Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft noch nicht aufzugeben. »Wie geht’s, Wohlfart?« fragte Fink und sah ihm besorgt in das bleiche Antlitz. »Sie haben sich die Sache sehr zu Herzen genommen! Poncho y Ponche!« rief er heftig den Leuten zu. »Einen Mantel und ein Glas Rum für den Herrn. Das wird Sie am schnellsten kurieren.«

      Ein Leiermann zog bereitwillig seinen alten Soldatenmantel vom Leibe, unser Held wurde hineingewickelt und wie ein verwundeter Krieger nach dem Hause des Zimmermanns geführt. Dort setzte man ihn in einen Lehnstuhl.

      »Da geht der Kürbis hin, Segel, Streichruder und alles«, sagte Fink im Abgehen strafend zum Schiffszimmermann, »und unsere Röcke obendrein. Habe ich’s Euch nicht gesagt, daß das Ding nichts taugt?«

      Eine Stunde lang pflegte Fink sein Opfer mit der größten Zärtlichkeit, er rührte ihm eigenhändig den Zucker in einem Glas Grog und drückte ihm zuweilen die kalte Hand. Es war bereits dunkel, als Anton so weit hergestellt war, daß er nach Hause gehen konnte. Sie vervollständigten ihre Toilette durch Kleider und Schuhe des Kahnbauers und lachten auf dem Rückwege über ihre Ausrüstung. Fink hatte wieder sein gewöhnliches kühles Wesen angenommen, und unser Held stolperte bleich, aber lustig in hohen Transtiefeln neben ihm her. »Hören Sie, Fink«, sagte er ermahnend, »wenn Sie mich das nächste Mal zu einer Partie auffordern, so möchte ich Ihnen andeuten, daß ich manches andere lieber trinke als dies lehmige Wasser. Ich bin noch voll davon.«

      »Wie konnte ich denken«, antwortete Fink, »daß Sie mit solcher Vehemenz den halben Fluß einschlucken würden, Sie Unschuld! Ich habe in meinem Leben noch keinen Menschen mit solcher Kindlichkeit auf den Grund gehen sehen. Sie sind ein märchenhafter Kerl!«

      Der nächste Tag war ein Sonntag und der Geburtstag des Prinzipals. An diesem wichtigen Tage blieben die Herren nach dem Diner einige Stunden in den Zimmern des ersten Stockes, der Bediente präsentierte dann Kaffee und Zigarren. Als man sich zu Tische setzte, sagte die Tante zu Fink: »Die ganze Stadt ist voll davon, daß Sie und Herr Wohlfart gestern in einer schrecklichen Gefahr gewesen sind.«

      »Es war nicht der Rede wert, gnädige Frau«, antwortete Fink leichtsinnig, »ich wollte nur untersuchen, wie sich Master Wohlfart beim Ertrinken benehmen würde. Ich warf ihn ins Wasser, und er wäre um ein Haar auf dem Grunde liegengeblieben, weil er es für indiskret hielt, mich durch seine Rettung zu belästigen. Einer solchen höflichen Resignation ist nur ein Deutscher fähig.«

      »Aber Herr Fink«, rief die Tante erschrocken, »das heißt ja das Schicksal herausfordern! Es ist schauderhaft, nur daran zu denken.«

      »Schauderhaft war nur die Unsauberkeit dieser Lehmrinne, die man hier Fluß nennt. Es müssen sehr schmutzige Nixen sein, die auf dem Grunde dieses Wassers leben. Aber Wohlfart ließ sich durch ihren Lehm nicht stören. Er fiel ihnen begeistert in die Arme, gerade wie es in dem berühmten Liede Sr. Exzellenz heißt: ›Halb zogen sie ihn, halb sank er hin.‹ Er warf beide Beine über den Rand des Kahns, noch bevor es nötig war.«

      »Sie hatten mich’s so gelehrt, Sir!« rief Anton zu seiner Entschuldigung von unten dazwischen.

      »Ja«, fuhr Fink gegen die Tante fort, »ich habe als Freund an ihm gehandelt. Ich trage keine Schuld, wenn er so viel Wasser geschluckt hat, daß der Wasserstand heut unerhört niedrig ist und die Zinkkähne der Handlung oben im Flusse auf einer Sandbank liegenbleiben. Ich habe ihm vorher noch jede Art von gutem Rat gegeben. Ich habe ihm eine lange Geschichte erzählt, wie man sich im Wasser zu benehmen hat, ich habe ihn darauf aufmerksam gemacht, welche Toilette man braucht, um mit Anstand ins Wasser zu fallen. Man kann gegen einen Bruder nicht sorgsamer sein. Aber es half alles nichts. Er fuhr wie aus einer Pistole geschossen auf den Grund und bohrte sich dort mit der Behendigkeit eines Karpfens ein. Ich versichere Sie, es war eine mühsame Arbeit, ihn im Schlamm wieder aufzufinden. Ich glaube, er war bereits in zärtlicher Unterhaltung mit einigen Wassergeschöpfen, als ich ihn auffand, denn er winkte mir unwillig mit der Hand, als wollte er sagen: Störe mich nicht, ich gehe hier meinem stillen Vergnügen nach.«

      »Der arme Herr Wohlfart«, rief die Tante verwundert. »Aber Ihre Röcke! Heute früh begegnete ich im Hause einem Polizeidiener, der das nasse Bündel auf dem Arm trug, von dem erfuhr ich zuerst das Unglück.«

      »Die Röcke sind heute früh unterhalb der Stadt aufgefischt worden«, sagte Fink, »Karl zweifelt daran, sie je wieder zu trocknen. Unterdes machen Wohlfarts Stiefel eine Vergnügungsreise nach dem Weltmeer.«

      Anton errötete vor Ärger über die Weise seines Freundes und sah verstohlen nach dem oberen Ende des Tisches. Der Kaufmann blickte finster auf den gemütlichen Fink, und Sabine saß bleich mit gesenkten Augen, nur die Tante war wortreich in aufrichtigem Bedauern der durchnäßten Röcke.

      Das Mittagessen war noch feierlicher als gewöhnlich. Nach dem Braten erhob sich Herr Liebold und verrichtete das schwere Stück Arbeit, wozu er durch seine hohe Stellung verpflichtet war, er brachte die Gesundheit des Prinzipals aus. Er gab sich redlich Mühe, die entschiedenen Wünsche des Vordersatzes nicht durch einen schüchternen Nachsatz zurückzunehmen. Aber selbst sein Toast vermochte nicht, eine gewisse Spannung in den oberen Regionen des Tisches zu beseitigen.

      Nach aufgehobener Tafel standen die Herren Kaffee trinkend in Gruppen um den Prinzipal herum, wobei kühne Naturen wie Herr Pix auch eine Zigarre anzubrennen wagten. Unterdes trieb Anton in größter Muße durch die geöffnete Zimmerreihe, bewunderte die Bilder an der Wand, blätterte in einem Album und hielt sich durch


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