Die toten Seelen. Nikolai Gogol
Ach, Bruder Tschitschikow, wie hat es mir leid getan, daß du nicht mit warst! Ich weiß, du hättest dich vom Leutnant Kuwschinnikow nicht mehr trennen können. Ein Herz und eine Seele wäret ihr geworden! Der ist doch ein ganz anderer Mensch als der Staatsanwalt und alle die Geizhälse in unserer Stadt, die für jede Kopeke zittern. Der spielt Bank und jedes Kartenspiel, das du nur willst. Ach, Tschitschikow, warum bist du nicht dagewesen? Ein Schwein bist du, ein Viehzüchter! Gib mir einen Kuß, mein Herz! So schrecklich liebe ich dich! Mischujew, schau: da hat uns das Schicksal zusammengeführt! Was bin ich ihm, und was ist er mir? Er ist Gott weiß woher gekommen, und ich wohne hier … Und wieviel vornehme Equipagen hat es dort gegeben, und alles en gros. Ich hab auch mein Glück in der Lotterie versucht und zwei Büchsen Pomade, eine Porzellantasse und eine Gitarre gewonnen; dann machte ich noch einen Einsatz und verlor alles, so eine Gemeinheit, und noch sechs Rubel dazu. Ach, wenn du nur wüßtest, was für ein Schürzenjäger dieser Kuwschinnikow ist! Ich habe mit ihm fast alle Bälle besucht. Eine war da, die war so aufgeputzt in Rüschen und Trüschen, weiß der Teufel, was die alles anhatte … Ich denke mir bloß: Teufel! Aber Kuwschinnikow, diese Bestie, setzt sich zu ihr heran und macht ihr allerlei französische Komplimente … Glaube es mir, der verschmäht nicht ein einfaches Weib. Das nennter: Erdbeeren genießen. So wunderbare Fische und gedörrte Störe hat es da gegeben. Einen habe ich mitgebracht, es ist gut, daß ich ihn mir kaufte, als ich noch Geld hatte. Und wo fährst du jetzt hin?«
»Zu einem gewissen Menschen«, antwortete Tschitschikow.
»Ach, was soll dir dieser Mensch? Laß ihn laufen! Komm zu mir!«
»Es geht nicht, es geht nicht. Ich habe ein Geschäft vor.«
»Ach was, Geschäft! Was du dir nicht ausdenkst! Ach, du Opoldekok Iwanowitsch!«
»Nein, wirklich, und das Geschäft ist sogar dringend.«
»Ich wette, daß du lügst! Sag mir nur, zu wem fährst du?«
»Nun, zu Ssobakewitsch!«
Nosdrjow brach hier in jenes schallende Gelächter aus, das nur frischen und gesunden Menschen eigen ist, die dabei ihre sämtlichen wie Zucker weißen Zähne zeigen und die Wangen erzittern lassen, so daß der Nachbar hinter zwei Türen aus dem Schlaf erwacht, die Augen aufreißt und sagt: »Was der bloß hat!«
»Was ist denn daran so komisch?« fragte Tschitschikow, den dieses Lachen ein wenig verletzte.
Nosdrjow fuhr aber fort, aus vollem Halse zu lachen und dabei zu sprechen: »Hör auf! Sonst zerspringe ich noch vor Lachen.«
»Da ist doch nichts zum Lachen: ich habe ihm mein Wort gegeben«, sagte Tschitschikow.
»Du wirst deines Lebens nicht froh, wenn du zu ihm hinkommst: er ist einfach ein Filz! Ich kenne ja deinen Charakter: du irrst dich grausam, wenn du bei ihm eine Kartenpartie oder eine gute Flasche Bonbon erwartest. Hör mal, Bruder: diesen Ssobakewitsch soll der Teufel holen! Komm zu mir! Was für einen gedörrten Stör ich dir vorsetzen werde! Der Ponomarjow, diese Bestie, hat mir beim Abschied gesagt: ›So einen Stör kriegen nur Sie! Sie können den ganzen Jahrmarkt absuchen und werden keinen ähnlichen finden.‹ Im übrigen ist er ein abgefeimter Gauner. Das habe ich ihm auch ins Gesicht gesagt: ›Du und der Branntweinpächter, ihr seid die größten Gauner!‹ Er aber lacht nur, diese Bestie, und streicht sich den Bart. Ich und Kuwschinnikow haben jeden Morgen in seinem Laden gefrühstückt. Ach, Bruder, eines vergaß ich dir zu sagen: ich weiß, daß du mich jetzt nicht mehr in Ruhe lassen wirst, aber ich gebe ihn auch nicht für zehntausend Rubel her, das sage ich dir gleich. – He, Porfirij!« rief er, ans Fenster tretend, seinem Diener zu, der in der einen Hand ein Messer und in der anderen eine Brotrinde und ein Stück Stör hielt, das er sich im Vorbeigehen mit großem Geschick abgeschnitten hatte. »He, Porfirij!« schrie Nosdrjow. »Bring mal den jungen Hund her! Ist das ein Hund!« fuhr er fort, sich an Tschitschikow wendend. »Ich habe ihn gestohlen, der Besitzer wollte ihn nicht mal um sich selbst hergeben. Ich versprach ihm die braune Stute, weißt du, die ich von Chwostyrjow im Tauschhandel bekommen habe … « Tschitschikow hatte übrigens, seit er lebte, weder die braune Stute noch den Chwostyrjow gesehen.
»Herr! Wollen Sie nicht etwas zu sich nehmen?« fragte die Alte, zu ihm herangehend.
»Ich nehme nichts. Ach, Bruder, war das ein Bummel! Gib übrigens ein Glas Schnaps her. Was hast du für welchen?«
»Anisschnaps«, antwortete die Alte.
»Dann gib den Anisschnaps«, sagte Nosdrjow.
»Kannst gleich auch mir ein Gläschen geben!« sagte der Blonde.
»Im Theater gab es eine Schauspielerin, die sang wie ein Kanarienvogel, diese Kanaille! Kuwschinnikow, der neben mir saß, sagte: ›Bruder, das wär so eine Erdbeere!‹ Ich glaube, es hat da mehr als fünfzig Buden gegeben. Fenardi drehte sich vier Stunden hintereinander wie ein Mühlenrad.« In diesem Augenblick nahm er den Schnaps aus der Hand der Alten, die sich vor ihm dafür tief verbeugte. »Gib ihn her!« schrie er plötzlich, als er Porfirij mit dem jungen Hunde eintreten sah. Porfirij war ebenso gekleidet wie sein Herr, trug auch einen wattierten Morgenrock, der nur ein wenig fettiger war.
»Gib ihn her, leg ihn auf den Boden!«
Porfirij legte den Hund auf den Boden. Das Tier spreizte alle vier Beine auseinander und beschnüffelte den Boden.
»Das ist ein Hund!« rief Nosdrjow, indem er den Hund am Rücken packte und in die Höhe hob. Der Hund stieß ein recht klägliches Geheul aus.
»Du hast aber nicht getan, was ich dir befohlen habe!« wandte sich Nosdrjow zu Porfirij, indem er den Bauch des Hundes aufmerksam betrachtete. »Es ist dir gar nicht eingefallen, ihn zu kämmen.«
»Nein, ich habe ihn wohl gekämmt.«
»Wo kommen denn die Flöhe her?«
»Das kann ich nicht wissen. Vielleicht aus dem Wagen.«
»Du lügst, du lügst, es ist dir gar nicht eingefallen, ihn zu kämmen. Ich glaube gar, es sind noch deine eigenen Flöhe hinzugekommen. Schau nur her, Tschitschikow, diese Ohren: nimm sie nur in die Hand.«
»Warum denn? Ich sehe auch so, der Hund ist von guter Rasse!« antwortete Tschitschikow.
»Nein, betaste die Ohren!«
Um ihm einen Gefallen zu tun, betastete Tschitschikow dem Hunde die Ohren und sagte: »Ja, es wird wohl ein guter Hund werden.«
»Und die Nase, fühlst du, wie kalt die ist! Nimm sie doch in die Hand!« Um ihn nicht zu verletzen, nahm Tschitschikow den Hund auch bei der Nase und sagte: »Eine gute Nase.«
»Ein echter Bullenbeißer«, fuhr Nosdrjow fort. »Offen gestanden, ich wollte mir schon längst einen Bullenbeißer anschaffen. Porfirij, trag ihn zurück!«
Porfirij nahm den Hund am Bauche und trug ihn in den Wagen.
»Hör' mal, Tschitschikow, du mußt unbedingt zu mir kommen; es sind nur fünf Werst, wir sind im Nu da, dann kannst du noch immer zu deinem Ssobakewitsch.«
– Warum auch nicht? – dachte sich Tschitschikow. – Ich will mal wirklich erst bei Nosdrjow einkehren. Er ist doch nicht schlimmer als die anderen, außerdem hat er sich arg verspielt. Er ist wohl zu allem fähig; folglich werde ich von ihm auch was ganz umsonst kriegen. – »Gut, ich komme mit,« sagte er, »aber du darfst mich beileibe nicht aufhalten: meine Zeit ist mir teuer.«
»So ist es recht, Bruderherz! So ist es schön! Wart', ich geb' dir einen Kuß dafür.« Nosdrjow und Tschitschikow küßten sich. »So ist's schön, jetzt fahren wir zu dritt.«
»Nein, mich mußt du gehen lassen«, sagte der Blonde. »Ich muß nach Haus.«
»Unsinn, Unsinn, Bruder, ich laß dich nicht.«
»Nein wirklich, meine Frau wird sich ärgern; du kannst ja jetzt in seinen Wagen umsteigen.«
»Nein, keine Rede davon!«
Der Blonde gehörte zu jenen Menschen, in deren Charakter man gleich auf den ersten Blick Starrsinn sieht. Man hat noch nicht den Mund aufgetan, als sie schon zu streiten anfangen, sie werden niemals auf etwas eingehen, was ihrer Gesinnung widerspricht,