Klara Militsch. Иван Тургенев
gemachten Exaltation; – es war wirklich eine ästhetische Ader in ihr. Ueberdies war sie sehr zugänglich, liebenswürdig, ohne Hoffahrt und Wichtigthuerei und, was die Meisten nicht ahnten, wirklich sehr gütig, weichherzig und nachsichtig. Das sind seltene Eigenschaften, und um so kostbarer, je seltener sie sich bei derartigen Persönlichkeiten finden. »Ein einfältiges Weib!« – nannte sie ein kluger Kopf – aber in den Himmel kommt sie sicher; denn wer da vergiebt, dem soll wieder vergeben werden!« Man sprach auch von ihr, daß, wenn sie aus einer Stadt verschwand, sie dort ebenso viel Menschen, die Wohlthaten von ihr empfangen hatten, hinterließ, wie Gläubiger. Ein weiches Herz ist leicht bald hierhin bald dorthin zu drehen und zu wenden.
Selbstverständlich gerieth auch Kupfer in ihr Haus – und wurde intim mit ihr . . . böse Zungen behaupteten zu intim. Er selbst äußerte sich nicht nur freundschaftlich, sondern sogar achtungsvoll über die Fürstin; er rühmte sie als ein »goldenes Weib« – was man auch über sie schwatzen möge, und er war vollständig, sowohl von ihrer Liebe zur Kunst, wie auch von ihrer Kunstkennerschaft überzeugt. Als er einst, nach dem Mittagessen, bei Aratows von der Fürstin und ihren Abendgesellschaften sprach, wollte er Jakob überreden, nur einmal wenigstens sein anachoretisches Leben zu unterbrechen und ihm zu erlauben, ihn seiner Freundin vorzustellen. Jakob wollte Anfangs nichts davon hören. – »Was glaubst Du denn, rief endlich Kupfer, was für eine Art von Vorstellung denkst Du Dir denn? Ich nehme Dich ganz einfach so, wie du jetzt dasitzt, im Rocke mit und führe Dich in ihre Abendgesellschaft. Da ist keine Rede von Etikette, Freundchen! Siehst Du, Du bist ein Gelehrter, liebst Literatur und Musik (bei Aratow im Kabinet befand sich wirklich ein Pianino und er schlug zuweilen einige Accorde darauf an) – bei ihr im Hause findest Du dies Alles im Überfluß! . . . Und sympathische Menschen findest Du dort auch, Leute ohne Prätensionen! Schließlich darf man ja, in Deinen Jahren und mit Deinem Äußeren (Aratow senkte den Blick und machte eine abwehrende Handbewegung) – ja, ja, mit Deinem Äußeren, die Welt, die Gesellschaft, doch nicht ganz meiden! Es sind ja keine Generäle, zu denen ich Dich hinführen will! – übrigens kenne ich auch gar keine Generäle! . . . Sträube Dich also nicht länger, Freundchen! Sittlichkeit ist eine gute, achtungswerthe Sache . . . wozu aber sie bis zum Ascetismus treiben? Du willst doch kein Klosterbruder werden!?
Aratow aber beharrte bei seiner Weigerung, bis, ganz unerwartet, Platonida Iwanowna Kupfer zu Hilfe kam. Obschon sie das Wort Ascetismus nicht recht verstand, fand sie doch, daß es für Jaschenka nützlich sei, sich zu zerstreuen, Menschen zu sehen und sich zu zeigen. »Um so mehr,« – fügte sie hinzu, – »da ich von Feodorowitsch (Vor- und Vatersnamen Kupfer‘s) eine gute Meinung habe! Er wird Dich nicht in unanständige Gesellschaft führen.« – »Ich bring‘ ihn Ihnen ganz unversehrt wieder!« – rief Kupfer, auf den Platonida Iwanowna, trotz ihres guten Zutrauens, unruhige Blicke warf. Aratow erröthete über und über, widersprach aber nicht mehr.
Das Resultat war, – Kupfer brachte ihn am folgenden Tage zur Fürstin. Aratow blieb aber nicht lange dort. Erstens, weil er da einige zwanzig Gäste, Herren und Damen, fand, die zwar ganz sympathisch, ihm aber doch gänzlich fremd waren und das genierte ihn, obschon man ihn nicht viel zum Sprechen nöthigte, – davor hatte er sich am Meisten gefürchtet. Zweitens gefiel ihm auch die Hausfrau nicht, obwohl sie ihn herzlich und einfach empfing. Alles mißfiel ihm an ihr: das ausgemalt Gesicht, die gekräuselten Haare, die heiser-süßliche Stimme, das kreischende Lachen, das verdrehen der Augen, das auffallende Decolté und die runden, glänzenden Finger mit den vielen Ringen! Er zog sich in einen Winkel zurück und betrachtete von dort aus die Anwesenden, ohne sie übrigens deutlich zu unterscheiden; – oder er stierte seine Fußspitzen an. Als aber endlich ein fremder Artist mit hagerem Gesicht, langen Haaren und einem in‘s Auge gekniffenen Glase sich an den Flügel setzte und denselben mit Händen und Füßen bearbeitend, eine Phantasie von Liszt nach Wagner‘schen Thema‘s losließ, da hielt es Aratow nicht länger aus: – er drückte sich. Einen unklaren und lästigen Eindruck trug er mit sich heim, aber es war etwas ihm selbst Unverständliches, Bedeutendes, sogar Aufregendes dabei.
III
Am folgenden Tage kam Kupfer zu Mittag, unterließ es aber, sich über den vergangenen Abend weitläufig auszusprechen; er warf Aratow nicht einmal seine heimliche Flucht vor, sondern bedauerte nur, daß er das Abendbrot nicht abgewartet habe – man hatte Champagner getrunken (in Nishnij-Nowgorod fabrizierten, fügen wir in Klammern hinzu). Kupfer hatte sich anscheinend endgültig davon überzeugt, daß es vergeblich sei, seinen Freund aufzurütteln und daß Aratow weder zu dieser Gesellschaft noch zu dieser Lebensweise passe. Aratow seinerseits unterließ es auch, von der Fürstin und dem gesteigert Abend zu sprechen. Platonida Iwanowna wußte nicht, ob sie sich über diesen ersten mißlungenen Versuch freuen oder ob sie ihn bedauern solle. Endlich entschied sie, daß Jascha‘s Gesundheit durch solche Ausfahrten leiden könnte und beruhigte sich. Kupfer ging gleich nach dem Mittagessen fort und zeigte sich dann eine ganze Woche lang nicht mehr. Nicht, daß er etwa ungehalten über den Mißerfolg seines Versuchs gewesen wäre – der gute Kerl war dazu unfähig – aber er hatte anscheinend eine andere wichtigere Beschäftigung gefunden, die alle seine Zeit, alle seine Gedanken in Anspruch nahm. Denn auch späterhin kam er seltener zu Aratow, er hatte ein zerstreutes Aussehen, sprach wenig und verschwand bald. Aratow setzte seine frühere Lebensweise fort; – aber es war ihm ein Häkchen in der Seele sitzen geblieben – wenn man sich so ausdrücken darf. Er suchte immer sich an Etwas zu erinnern, wußte aber selbst nicht recht, was es sei; dieses Etwas bezog sich aber auf den bei der Fürstin verbrachten Abend. Dabei hatte er durchaus nicht den Wunsch, dorthin zurückzukehren; – und die Welt, von der er einen Theil in ihrem Hause kennen gelernt hatte, war ihm jetzt noch antipathischer wie früher. So vergingen etwa sechs Wochen.
Da erschien eines Morgens Kupfer abermals bei ihm, diesmal aber mit einem etwas verlegenen Gesichte. – »Ich weiß,« – begann er mit erkünsteltem Lachen, – »daß der damalige Besuch nicht nach Deinem Geschmacke war; trotzdem aber hoffe ich, daß Du aus meinen Vorschlag eingehst . . . mir meine Bitte nicht abschlägst!«
– Um was handelt es sich? – fragte Aratow.
– Siehst Du, – fuhr Kupfer fort und wurde immer lebhafter – es gibt hier einen Verein von Dilettanten, Künstlern, der von Zeit zu Zeit Vorlesungen, Konzerte, sogar Theatervorstellungen zu wohlthätigen Zwecken veranstaltet . . .
– Nimmt die Fürstin auch theil daran? – unterbrach ihn Aratow.
Die Fürstin betheiligt sich an allen guten Werken, – nicht darum aber handelt es sich. Mir haben eine literarisch-musikalische Matinée arrangiert, und auf dieser Matinée kannst du ein Mädchen hören . . . ein ganz außergewöhnliches Mädchen! Wir wissen noch nicht recht, ist's eine Rachel oder eine Diardot? . . . Denn sie singt ebenso ausgezeichnet, wie sie ausgezeichnet deklamiert und spielt . . . Ein Talent, sag ich Dir, Brüderchen, ersten Ranges! ohne Uebertreibung. – Also – Du nimmst doch ein Billet? . . . Fünf Rubel in der ersten Reihe.
– Wo habt Ihr dann dieses Wunder von einem Mädchen her?
Kupfer schmunzelte. – »Das kann ich Dir nicht sagen . . . In letzter Zeit fand sie ein Asyl bei der Fürstin. Du weißt, die Fürstin protegirt dergleichen . . . Du hast sie gewiss an jenem Abend gesehen!«
In Aratow regte sich etwas. . . innerlich, schwach . . . er antwortete aber nicht.
Sie ist sogar irgendwo, in der Provinz, schon aufgetreten – fuhr Kupfer fort – ist überhaupt fürs Theater wie geschaffen . . . Nun, Du wirst sie ja selbst sehen.
– Wie heißt sie? – fragte Aratow.
– Klara . . .
– Klara? – unterbrach ihn Aratow wieder, – unmöglich!
– Weshalb unmöglich? – Klara. . . Klara Militsch; es ist nicht ihr eigentlicher Name . . . aber man nennt sie so. – – Sie wird eine Romanze von Glinka . . . und eine andere von Tschaikowskij singen; dann wird sie den Brief aus Jewgenij Onegin (Ein Poem Puschkins.) vortragen. – Nun wie ist‘s, nimmst Du ein Billet?
– Wann wird dann das stattfinden?
– Morgen . . . morgen um halb zwei, in einem Privat-Saale, auf der Ostoshenka