Akte. Александр Дюма
grünen Partei einen furchtbaren Stoß versetzt. Aber ihre Angst verschwand so rasch wie der Blitz: Lucius neigte sich zu den Pferden, und ohne sich der Peitsche zu bedienen oder sie durch eine Bewegung anzueifern, ließ er ein eigenes Pfeifen hören. Darauf flogen sie davon, wie von den Flügeln des Pegasus getragen, und ehe der vierte Umlauf vollendet war, hatte er unter Jubel und Beifallrufen seinen früheren Platz wieder inne. Bei der fünften Runde war der Athener nicht mehr Herr seiner Pferde, die in rasender Geschwindigkeit dahinsausten. Er hatte seine Rivalen weit hinter sich gelassen, aber dieser scheinbare Vorteil täuschte niemand und konnte ihn auch selbst nicht täuschen. Alle Augenblicke sah man ihn sich umwenden und alle Mittel und Kunstgriffe aufbieten; anstatt die schon ermüdenden Pferde möglichst zurückzuhalten, trieb er sie mit der dreiriemigen Peitsche an und hoffte, noch ehe sie erschöpft seien, so viel Vorsprung zu gewinnen, daß die Nebenbuhler ihn nicht mehr einholen würden. Übrigens fühlte er wohl, wie wenig er sein Gespann in der Gewalt hatte; obwohl er sich der spina hätte nähern und dadurch den zu durchlaufenden Raum vermindern können, wagte er es doch nicht, aus Furcht, daß er an den Prellsteinen scheitern möchte, und blieb daher im gleichen Abstand davon, den ihm das Schicksal bei der Abfahrt zugewiesen hatte.
Nur noch zweimal war die Bahn zu durchmessen; an der Erregung, die sich der Zuschauer wie der Wagenlenker bemächtigte, spürte man, daß die Entscheidung herannahte. Die Partei der Blauen, die der Athener vertrat, schien sichtbar beunruhigt über ihren vorläufigen Sieg. Sie riefen ihm zu, er solle seine Pferde zügeln; aber die Tiere nahmen diese Rufe für Zeichen der Anspornung und verdoppelten ihre Schnelligkeit, bis der Schweiß an ihnen heruntertroff und anzeigte, daß ihre Kraft bald erschöpft sein werde.
In diesem Augenblick ließ der Syrer seinen Rennern die Zügel schießen, und die Wüstensöhne, nunmehr sich selbst überlassen, fingen an, im Raum auszugreifen. Der Thessalier war einen Augenblick betroffen von der Schnelligkeit, die sie fortriß. Alsbald ließ er aber seine treuen Gefährten seine Stimme hören und stürzte sich in die Bahn, wie vom Wirbelwind davongetragen. Lucius begnügte sich damit, das Pfeifen hören zu lassen, mit dem er seine Rosse schon vorher angespornt hatte, und ohne daß sie noch ihre volle Kraft entfalteten, behauptete er sich doch in der Reihe.
Der Athener hatte indessen seine beiden Rivalen wie der Sturmwind an sich vorübersausen sehen. Er begriff, daß er verloren sei, wenn er nicht den ersten Platz neben der spina einnähme. Er näherte sich der Mauer gerade noch zeitig genug, um den Syrer zu verhindern, an der Mauer entlang zu fahren. Dieser wich nun nach rechts aus und versuchte, zwischen dem Athener und Thessalier durchzukommen, aber der Raum war zu eng. Mit raschem Blick erkannte er, daß der Wagen des Thessaliens leichter gebaut und weniger widerstandsfähig sei als der seinige, und sofort stand sein Entschluß fest. Er hielt in schräger Richtung auf denselben zu, die Räder prallten hart an einander, die Achse krachte, der Wagen stürzte um und schleuderte den Wagenlenker in die Arena.
So geschickt diese Bewegung ausgeführt worden und so plötzlich der Stoß erfolgt war, erlitt doch der Syrer dadurch eine Verzögerung von einigen Augenblicken. Aber er gewann das Versäumte leicht wieder, so daß der Athener bei der sechsten Umfahrt seine beiden Rivalen, die er so lange hinter sich gelassen hatte, zu gleicher Zeit herannahen sah. Noch ehe er den sechsten Teil der letzten Umfahrt zurückgelegt hatte, war er eingeholt und überflügelt. Die Entscheidung schwebte nur noch zwischen dem weißen und dem grünen Wagenlenker, zwischen dem Syrer und Lucius.
Jetzt bot sich ein prächtiger Anblick dar, die acht Pferde liefen so flüchtig und so gleichmäßig, als ob sie ein Gespann bildeten; eine Wolke umhüllte sie wie ein Gewitter. Wie man den Donner rollen und den Blitz das Gewölk zerteilen sieht, so hörte man das Rollen der Räder und unterschied mitten in dem Wirbel die flammenschnaubenden Tiere.
Alle Zuschauer hatten sich erhoben; die Wettenden ließen die grünen und weißen Schleier und Mäntel wallen, und selbst diejenigen, welche verloren, weil sie auf die blaue Farbe des Atheners oder auf die gelbe des Thessaliers gewettet hatten, eiferten ihre Gegner durch ihr Geschrei und ihre Beifallrufe an. Endlich schien der Syrer den Sieg davonzutragen, denn seine Pferde waren denen seines Gegners um eine Kopfeslänge voraus; aber wie wenn er nur auf dieses Zeichen gewartet hätte, schwang Lucius in demselben Augenblick die Peitsche und zeichnete eine blutige Spur auf die Rücken seines Viergespanns. Die edlen Tiere wieherten laut vor Erstaunen und Schmerz, dann nahmen sie einen letzten Anschwung, und wie der Adler, wie ein Pfeil, wie der Blitz flogen sie zum Ziel der Bahn, die sie nun siebenmal durchmessen hatten, und ließen den besiegten Syrer mehr als fünfzig Schritt zurück.
Jetzt brach ein begeisterter Jubel los, und Rufe der höchsten Bewunderung wurden laut. Dieser unbekannte junge Römer, der gestern Sieger gewesen war und heute den Sieg davongetragen hatte, mußte Theseus, Kastor oder Apollo selbst sein, die wieder einmal zur Erde niederstiegen. Und er, wie gewöhnt an solche Triumphe, schwang sich leicht vom Wagen, stieg einige Stufen an der spina empor, welche zu einem Piedestal führten, wo er sich den Blicken der Zuschauer ausstellte, während ein Herold seinen Namen und seinen Sieg verkündete und der Prokonsul Lentulus von seinem Sitz herabstieg, um ihm die Siegespalme zu reichen und sein Haupt mit einer Krone aus Gold- und Silberblättern zu schmücken, die mit Purpurbändern durchflochten waren. Den Preis in geprägter Münze, den man ihm in Goldstücken in einer Bronzevase anbot, gab Lucius dem Prokonsul zurück, damit er ihn unter die Armen, Greise und Waisen verteile.
Dann machte er Sporus ein Zeichen, der flink herbeieilte und auf der Hand eine Taube hielt, die er am Morgen aus Aktes Taubenhaus genommen hatte. Lucius legte um den Hals des Vogels der Venus ein Purpurbändchen, an dem zwei Blätter aus dem goldenen Kranze befestigt waren, dann öffnete er die Hand und ließ die Botin seines Sieges in die Lüfte steigen, die sofort in der Richtung nach dem Hause des Amykles davonflog.
V
Die beiden aufeinanderfolgenden Siege des Lucius und die seltsamen Umstände, die sie begleiteten, hatten tiefen Eindruck auf die Gemüter der Zuschauer gemacht. Griechenland war früher das von den Göttern geliebte, von ihnen vor allen begünstigte Land gewesen, das sie am häufigsten zu besuchen pflegten. Alle sagenhaften Erinnerungen an Heldentaten und Abenteuer von Göttern, die vom Olymp herabgestiegen waren, lebten bei den beiden Siegen des Lucius in der dichterischen Phantasie des Volkes wieder auf, dem die Römer seine große Vergangenheit nicht hatten rauben können. Die Preisbewerber, die mit ihm im Gesang hätten wetteifern sollen, zogen sich zurück, als sie sahen, wie übel es denen erging, die sich im Ringkampf und im Wagenrennen mit ihm gemessen hatten. Sie dachten an das Schicksal des Marsyas, der einst wider Apollo gestritten, und mißtrauten den Musen. Lucius blieb allein übrig von fünf Mitbewerbern, die ihren Namen anfangs eingeschrieben hatten, doch bestand der Prokonsul darauf, daß das Fest zur bestimmten Stunde gefeiert werde.
Lucius fesselte die Korinther schon durch den Gegenstand, den er gewählt hatte. Es war ein Gedicht über Medea, das dem Cäsar Nero selbst zugeschrieben wurde. Diese Zauberin, die von Jason nach Korinth entführt, hatte, nachdem er sie verlassen, ihre Kinder am Fuße der Altäre niedergelegt und dem Schutze der Götter befohlen, worauf sie hinging, ihre Nebenbuhlerin durch ein verderbenbringendes Gewand zu vergiften. Die Korinther, empört über die Greueltat der Mutter, entrissen die Knaben dem Tempel und töteten sie durch Steinwürfe. Dieser Frevel blieb nicht unbestraft, die Götter rächten ihre beleidigte Majestät durch eine verheerende Krankheit, die alle Kinder in Korinth ergriff. Seither waren indessen fünfzehn Jahrhunderte verflossen, und die Nachkommen der Mörder leugneten die Schuld der Väter. Aber ein Fest, das jedes Jahr am Todestage der Knaben gefeiert wurde, und die Gewohnheit, den Kindern bis zum Alter von fünf Jahren als Zeichen der Sühne schwarze Kleider anzulegen und die Haare zu scheren, war ein deutlicher Beweis für die Wahrheit des schrecklichen Ereignisses. Es ist leicht zu verstehen, wieviel diese Umstände dazu beitragen mußten, die versammelten Korinther den Vortrag des Liedes mit Spannung erwarten zu lassen.
Zum Schutze gegen die Strahlen der Maisonne war das Theater, das, kleiner als Ringplatz und Hippodrom, zwanzigtausend Zuschauer faßte, von einem ungeheuren Velarium überschattet. Diese azurblaue Decke bestand aus einem seidenen, mit Goldsternen besäten Gewebe, in dessen Mitte man den Cäsar Nero im Gewande des Triumphators, auf einem vierspännigen Wagen stehend und von einem Strahlenkranz umgeben, erblickte. Trotz des Schattens, den das Zeltdach dem Theater