Knulp. Hermann Hesse
ich will nicht, aber ich will Euern Namen wissen, Jungfer Flick.«
»Ach was, ich weiß ja Euren auch nicht.«
»Das tut mir leid, aber es läßt sich ändern. Ich heiße Karl Eberhard, und wenn wir uns einmal am Tag wieder begegnen, dann wisset Ihr, wie Ihr mich anrufen müßt, und wie muß ich dann zu Euch sagen?«
»Barbara.«
»So ist’s recht und danke schön. Er ist aber schwer zum Aussprechen, Euer Name, und ich möchte fast eine Wette machen, daß man Euch daheim Bärbele gerufen hat.«
»Das hat man auch. Wenn Ihr doch alles schon wisset, warum fraget Ihr dann so viel? Aber jetzt müssen wir Feierabend machen. Gut Nacht, Gerber.«
»Gut Nacht, Jungfer Bärbele. Schlafet auch gut, und weil Ihr’s seid, will ich jetzt noch eins pfeifen. Laufet nicht fort, es kostet nichts.«
Und alsbald setzte er ein und pfiff einen kunstvollen jodlerartigen Satz, mit Doppeltönen und Trillern, daß es funkelte wie eine Tanzmusik. Sie hörte mit Erstaunen dieser Kunstfertigkeit zu, und als es stille ward, zog sie leise den Fensterladen herein und machte ihn fest, während Knulp ohne Licht in seine Kammer fand.
Am Morgen stand Knulp diesmal zu guter Stunde auf und nahm des Gerbers Rasiermesser in Gebrauch. Der Gerber trug aber schon seit Jahren einen Vollbart, und das Messer war so verwahrlost, daß Knulp es wohl eine halbe Stunde lang über seinem Hosenträger abziehen mußte, ehe das Barbieren gelang. Als er fertig war, zog er den Rock an, nahm die Stiefel in die Hand und stieg in die Küche hinab, wo es warm war und schon nach Kaffee roch.
Er bat die Meistersfrau um Bürste und Wichse zum Stiefelputzen
»Ach was!« rief sie, »das ist kein Männergeschäft. Lassen Sie mich das machen.«
Allein das gab er nicht zu, und als sie endlich mit ungeschicktem Lachen ihr Wichszeug vor ihn hinstellte, tat er die Arbeit gründlich, reinlich und dabei spielend, als ein Mann, der nur gelegentlich und nach Laune, dann aber mit Sorgfalt und Freude eine Handarbeit verrichtet.
»Das lass’ ich mir gefallen,« rühmte die Frau und sah ihn an. »Alles blank, wie wenn Sie grad zum Schatz gehen wollten.«
»O, das tät’ ich auch am liebsten.«
»Ich glaub’s. Sie haben gewiß einen schönen.« Sie lachte wieder zudringlich. »Vielleicht sogar mehr als einen?«
»Ei, das wäre nicht schön,« tadelte Knulp munter. »Ich kann Ihnen auch ein Bild von ihr zeigen.«
Begierig trat sie heran, während er sein Wachstuchmäpplein aus der Brusttasche zog und das Bildnis der Duse hervorsuchte. Interessiert betrachtete sie das Blatt.
»Die ist sehr fein,« begann sie vorsichtig zu loben, »das ist ja fast eine rechte Dame. Nur freilich, mager sieht sie aus. Ist sie denn auch gesund?«
»Soviel ich weiß, jawohl. So, und jetzt wollen wir nach dem Alten sehen, man hört ihn in der Stube.«
Er ging hinüber und begrüßte den Gerber. Die Wohnstube war gefegt und sah mit dem hellen Getäfel, mit der Uhr, dem Spiegel und den Photographien an der Wand freundlich und heimelig aus. So eine saubere Stube, dachte Knulp, ist im Winter nicht übel, aber darum zu heiraten, verlohnt doch nicht recht. Er hatte an dem Wohlgefallen, das die Meisterin ihm zeigte, keine Freude.
Nachdem der Milchkaffee getrunken war, begleitete er den Meister Rothfuß nach dem Hof und Schuppen und ließ sich die ganze Gerberei zeigen. Er kannte fast alle Handwerke und stellte so sachverständige Fragen, daß sein Freund ganz erstaunt war.
»Woher weißt du denn das alles?« fragte er lebhaft. »Man könnte meinen, du seiest wirklich ein Gerbergesell oder einmal einer gewesen.«
»Man lernt allerlei, wenn man reist,« sagte Knulp gemessen. »Übrigens, was die Weißgerberei angeht, da bist du selber mein Lehrmeister gewesen, weißt du’s nimmer? Vor sechs oder sieben Jahren, wie wir zusammen gewandert sind, hast du mir das alles erzählen müssen.«
»Und das weißt du alles noch?«
»Ein Stück davon, Rothfuß. Aber jetzt will ich dich nimmer stören. Schade, ich hätte dir gern ein bißchen geholfen, aber es ist da unten so feucht und stickig, und ich muß noch so viel husten. Also Servus, Alter, ich geh ein wenig in die Stadt, solang es gerade nicht regnet.«
Als er das Haus verließ und langsam die Gerbergasse stadteinwärts bummelte, den braunen Filzhut etwas nach hinten gerückt, trat Rothfuß in die Tür und sah ihm nach, wie er leicht und genießerisch dahinging, überall sauber gebürstet und den Regenpfützen sorglich ausweichend.
»Gut hat er’s eigentlich,« dachte der Meister mit einem kleinen Neidgefühl. Und während er zu seinen Gruben ging, dachte er dem Freund und Sonderling nach, der nichts vom Leben begehrte als das Zuschauen, und er wußte nicht, sollte er das anspruchsvoll oder bescheiden heißen. Einer, der arbeitete und sich vorwärts schaffte, hatte es ja in vielem besser, aber er konnte nie so zarte hübsche Hände haben und so leicht und schlank einhergehen. Nein, der Knulp hatte recht, wenn er so tat, wie sein Wesen es brauchte und wie es ihm nicht viele nachtun konnten, wenn er wie ein Kind alle Leute ansprach und für sich gewann, allen Mädchen und Frauen hübsche Sachen sagte, und jeden Tag für einen Sonntag nahm. Man mußte ihn laufen lassen, wie er war, und wenn es ihm schlecht ging und er einen Unterschlupf brauchte, so war es ein Vergnügen und eine Ehre, ihn aufzunehmen, und man mußte fast noch dankbar dafür sein, denn er machte es froh und hell im Haus.
Indessen schritt sein Gast neugierig und vergnügt durchs Städtchen, pfiff einen Soldatenmarsch durch die Zähne und begann ohne Eile die Orte und Menschen aufzusuchen, die er von früher her kannte. Zunächst wandte er sich nach der steil ansteigenden Vorstadt, wo er einen armen Flickschneider kannte, um den es schade war, daß er nichts als alte Hosen zu stopfen und kaum jemals einen neuen Anzug zu machen bekam, denn er konnte etwas und hatte einmal Hoffnungen gehabt und in guten Werkstätten gearbeitet. Aber er hatte früh geheiratet und schon ein paar Kinder, und die Frau hatte wenig Genie fürs Hauswesen.
Diesen Schneider Schlotterbeck suchte und fand Knulp im dritten Stockwerk eines Hinterhauses in der Vorstadt. Die kleine Werkstätte hing wie ein Vogelnest in den Lüften überm Bodenlosen, denn das Haus stand an der Talseite, und wenn man durch die Fenster senkrecht hinabschaute, hatte man nicht nur die drei Stockwerke unter sich, sondern unterm Hause floh der Berg mit kümmerlichen steilen Gärten und Grashalden schwindelnd abwärts, endigend in einem grauen Wirrwarr von Hinterhausvorsprüngen, Hühnerhöfen, Ziegen- und Kaninchenställen, und die nächsten Hausdächer, auf die man hinabsah, lagen jenseits dieses verwahrlosten Geländes schon tief und klein im Tale drunten. Dafür war die Schneiderwerkstatt taghell und luftig, und auf seinem breiten Tisch am Fenster hockte der fleißige Schlotterbeck hell und hoch über der Welt wie der Wächter in einem Leuchtturm.
»Servus, Schlotterbeck,« sagte Knulp im Eintreten, und der Meister, vom Licht geblendet, spähte mit eingekniffenen Augen nach der Türe.
»Oha, der Knulp!« rief er aufleuchtend und streckte ihm die Hand entgegen. »Auch wieder im Land? Und wo fehlt’s denn, daß du zu mir herauf steigst?«
Knulp zog einen dreibeinigen Stuhl heran und setzte sich nieder.
»Gib eine Nadel her und ein bißchen Faden, aber braunen und vom feinsten, ich will Musterung halten.«
Damit zog er Rock und Weste aus, suchte sich einen Zwirn heraus, fädelte ein und überging mit wachsamen Augen seinen ganzen Anzug, der noch sehr gut und fast neu aussah und an dem er jede blöde Stelle, jede lockere Litze, jeden halbwegs losen Knopf alsbald mit fleißigen Fingern wieder instand setzte.
»Und wie geht’s sonst?« fragte Schlotterbeck. »Die Jahreszeit ist nicht zu loben. Aber schließlich, wenn man gesund ist und keine Familie hat –«
Knulp räusperte sich polemisch.
»Ja, ja,« sagte er lässig. »Der Herr läßt regnen über Gerechte und Ungerechte, und nur die Schneider sitzen trocken. Hast du immer noch zu klagen, Schlotterbeck?«
»Ach, Knulp, ich will nichts sagen. Du hörst ja die Kinder nebendran schreien. Es sind jetzt fünf. Da