Dunst. Иван Тургенев
Vorsteherin solches nicht verzeihen, um so mehr, da sie schon im Voraus Pläne gemacht hatte auf den Effect, den diese Deklamation, öffentlich, in Gegenwart der vornehmen Welt, machen werde. Und in der That, Moskau würde wahrscheinlich nicht ermangelt haben von ihr zu reden.
Irina war ein schlank gewachsenes junges Mädchen von hohem Wuchse, deren Formen jedoch noch nicht ganz entwickelt waren, weshalb auch die Schultern noch nicht die gehörige Fülle hatten; ihr Teint hatte jene, in diesen Jahren sonst noch selten reine, weiße, matte Marmorfarbe, wie man sie meistens ausschließlich bei Damen der höchsten Aristokratie findet; dabei hatte sie dichte aschblonde Locken. Die Züge ihres Gesichts, von fast antiker Regelmäßigkeit, zeigten nicht jene Sorglosigkeit der ersten Jugend, sondern Nachdenken und Energie; eine gewisse schwört-tierische Müdigkeit ihres dunkeln, glanzvollen Auges mit den kühn gewölbten Brauen, sowie ein kaum merkliches Lächeln, welches beständig ihre feinen verführerischen Lippen umschwebte, schien Leidenschaft, sich und Anderen gefährliche Leidenschaft, vorherzusagen.
Im Institut galt Irina für eine der klügsten und fähigsten Schülerinnen, aber mit unbeständigem, herrschsüchtigem Charakter, und einem Kopfe, der die tollsten Einfälle ausdachte und ausführte; eine Klassendame hatte ihr sogar vorhersagte; »vos passions vous perdront;« wo hingegen eine andere sie für kalt und gefühllos hielt Und sie »une jeune fille sans coeur« nannte.
Irina’s Freundinnen nannten sie stolz und hinterlistig, die Brüder und Schwestern fürchteten sie, die Mutter selbst mißtraute ihr, und dem Vater war nie recht behaglich, wenn sie ihre tiefen, geheimnißvollen Augen auf ihn richtete; beiden aber, Vater und Mutter, flößte sie eine unwillkürliche Achtung ein, nicht ihrer hervorragenden Eigenschaften, wohl aber der Hoffnungen wegen, die sie auf ihre Zukunft setzten.
»Du sollst sehen, wir werden noch erleben,« sagte einst der alte Fürst zu seiner Frau, sein langes türkisches Pfeifenrohr aus dem Munde nehmend, »daß unsere Irina uns einmal aus aller Noth herausreißen wird.«
Die Fürstin wurde böse und antwortete ihrem Manne, »er habe immer des expressions insuppartables;« nach einigem Nachdenken aber brummte sie zwischen den Zähnen: »Ja, ja . . . Zeit wär’s wohl einmal dazu.«
Irina genoß eine fast unbeschränkte Freiheit im elterlichen Hause; man verwöhnte sie zwar nicht, war sogar ziemlich kalt gegen sie, aber man handelte ihr auch nicht entgegen; das gerade war es, was sie wollte, wie sie sich überhaupt ziemlich sonderbar hielt.
Wenn z. B. irgend ein Krämer eine alte Schuld einzufordern kam und sich Unartigkeiten erlaubte, weil man ihm wieder nichts bezahlen konnte, oder irgend Einer der Dienerschaft, mit dem Essen unzufrieden, Aeußerungen laut werden ließ, wie: »was das für ein Fürst sei, der selbst nichts zu essen habe, und bei dem die Leute hungern müßten,« – so saß Irina, ohne eine Miene zu verziehen oder ein Wort zu sagen, mit bösem, verächtlichem Lächeln im finstern Gesichte, bewegungslos da, während den Eltern dieses Lächeln ein schlimmerer Vorwurf war, als das Geschrei der Gläubiger oder die Unzufriedenheit der Dienerschaft, als ob ihre Tochter das Recht auf Reichthum und Luxus, den sie ihr nicht geben konnten; von Geburt an habe.
Litwinow hatte sich in Irina verliebt vom ersten Male an, daß er sie gesehen hatte (er war im Ganzen nur drei Jahre älter als sie); lange aber dauerte es, ehe es ihm gelang, Gegenliebe, ja sogar nur Aufmerksamkeit gegen ihn bei ihr hervorzubringen. In ihrem Betragen lag sogar etwas Feindliches, als ob er ihr etwas Böses zugefügt habe und sie die Beleidigung zwar verbergen, aber nicht vergeben könne.
Er war in jener Zeit zu jung und bescheiden, um zu begreifen, was eigentlich unter dieser feindlichem fast verächtlichen Härte verborgen sein könne. Zuweilen geschah es, daß er, Studien und Bücher vergessend, im wenig lustigen Gastzimmer des Ossinin‘schen Hauses saß und heimlich Irina betrachtete. Wehmüthig und traurig war ihm dann zu Muthe, während sie, böse, oder wie gelangweilt, bald aufstand, bald ab und zu ging, auf ihn aber so wenig achtete, als ob er ein Stuhl oder ein Tisch wäre, und den ganzen Abend kein Wort mit ihm redete. Tief verletzt, versuchte er endlich dem Zauberkreise, in welchem er wie ein Vogel in der Schlinge flatterte, zu entweichen, indem er sich eine Woche von Moskau entfernte.
Dieser Versuch aber bekam ihm noch übler; von Sehnsucht gefoltert, kehrte er abgehärmt und krank zu Ossinins zurück.
Sonderbar! Auch Irina hatte sichtlich während dieser Zeit abgenommen, ihr Gesicht eine leidende, gelbliche Farbe bekommen – ihre Kälte gegen ihn war jedoch dieselbe geblieben, eine gewisse Schadenfreude, Geringschätzung sogar, schienen ihre Züge auszudrücken, gerade als ob die heimliche Beleidigung, die er ihr zugefügt, sich noch vergrößert habe.
Auf diese Weise quälte sie ihn zwei Monate lang. Dann aber erschien ein Tag, an welchem sich dies Alles mit einem Male änderte. Wie eine plötzlich hellauflodernde Feuersbrunst, wie der Blitz aus einer Gewitterwolke, brach lang zurückgehaltene Liebe, heftige, leidenschaftliche Liebe plötzlich bei ihr hervor.
Eines Tages – lange noch blieb derselbe seinem Gedächtniß gegenwärtig – saß Litwinow wieder im Ossinin’schen Gastzimmer und blickte stumm und betrübt auf die Straße hinaus, innerlich sich selbst zürnend, daß er nicht die Kraft besitze, sich loszureißen. Wenn ein Fluß unter dem Fenster vorbeigeflossen wäre, die Verzweiflung würde ihn vielleicht hineingetrieben haben, seiner unerträglichen Qual ein Ende zu machen.
Irina hatte sich in einiger Entfernung von ihm, ohne ein Wort zu reden oder sich zu bewegen, niedergesetzt. Seit ein paar Tagen schon hatte sie weder mit ihm, noch überhaupt mit sonst Jemandem gesprochen.
Dieses kalte Schweigen länger zu ertragen, schien ihm nicht mehr möglich; seine Kraft war erschöpft, und er stand auf und fing an, ohne ein Wort des Abschieds zu sagen, nach seiner Mütze zu suchen.
»Bleiben Sie!« hörte er plötzlich leise neben sich flüstern.
Litwinows Herz erbebte heftig, er erkannte anfangs kaum diese Stimme; eine ganz eigenthümliche, früher nie gehörte Weichheit erklang in diesen zwei Worten. Er erhob seinen Kopf und blickte sie starr an. Freundlich, ja freundlich ruhte ihr Auge auf ihm.
»Bleiben Sie,« wiederholte sie, »gehen Sie nicht fort, ich will mit Ihnen zusammen sein.« Sie flüsterte noch leiser: »Gehen Sie nicht«,ich will es!«
Nicht begreifend, noch im Stande, sich Rechenschaft abzulegen, näherte er sich ihr und reichte ihr seine Hand.
Sie ergriff sie heftig mit ihren beiden, lächelte, über und über erröthend, und verließ dann rasch das Zimmer.
Einige Augenblicke später erschien sie wieder mit ihrer jüngsten Schwester, blickte ihn wieder lange mit einem nie vorher bei ihr bemerkbaren milden Lächeln an und winkte ihm, sich neben ihr niederzulassen.
Anfangs konnte sie kein Wort hervorbringen, ihre Brust nur wogte hoch auf, ein Seufzer entrang sich derselben, und sie erröthete wieder; dann fragte sie ihn, halb furchtsam und verlegen, nach seinen Beschäftigungen, was sie früher nie gethan hatte.
Am Abend desselben Tages entschuldigte sie sich mehrere Male, daß sie bisher nie verstanden habe, ihn, wie er es verdiene, zu schätzen, wunderte sich über seine plötzlichen republikanischen Gesinnungen (er vergötterte zu jener Zeit gerade Robespierre und wagte es nicht, Marat laut anzuklagen); – eine Woche später wußte er bereits, daß sie ihn liebe.
Ja, lange noch erinnerte er sich jenes Tages, wie er auch die diesem folgenden ebenso nicht vergessen konnte, die ihm ein lange vergebens ersehntes, kaum gehofftes Glück gebracht hatten.
Nun folgten jene lichten, seligen Augenblicke der ersten reinen Liebe, Augenblicke, die sich später nie wieder holen, ein Menschenleben auch vollkommen ausfüllen.
Irina war wie umgewandelt, fromm wie ein Lamm mild und seelengut; sie fing an ihren jüngeren Geschwistern Unterricht zu geben, wiederholte mit ihnen ihre Aufgaben und nahm sich des Hauswesens an; Alles machte ihr Freude. Bald war sie ungemein schwatzhaft, bald saß sie demüthig und schweigend in Nachdenken versunken, bildete verschiedene Pläne für die Zukunft, wenn sie und Litwinow verheirathet, wie fleißig sie arbeiten würde u.s.w.
»Ja, arbeiten,« wiederholte sie, »lesen . . . aber vor Allem reisen!«
Ihre Hauptsehnsucht