Isabella von Aegypten. Achim von Arnim

Isabella von Aegypten - Achim von Arnim


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vollkommene Ruhe, dort zu hausen, nur durften sie sich am Tage nicht zeigen, während ihnen nachts alle Leute aus dem Wege gingen. So trat das bleiche, schöne Kind wie ein Gespenst zur Haustüre hinaus, und der Wächter in den nahen Gärten flüchtete sich bei ihrem Anblick in eine entfernte Kapelle, um betend den heiligen Schutz des Glaubens zu fühlen. Bella wußte nicht, daß sie erschreckte, die Trauer um den Verlust ihres einzigen Gedankens, ihres Vaters, über den sie sich ganz vergessen hatte, machte sie stumpfsinnig, sie wußte nichts als die Regeln der alten Braka genau zu erfüllen; es war ihr das Liebste, daß sie noch etwas zu ihres Vaters Ehre tun konnte. Sie breitete also, wie es bei Totenmahlen ihres Volkes gewöhnlich, ihren Schleier über einen Feldstein aus, setzte zwei Becher und zwei Teller darauf, brach ihr Brot für beide, goß Wein in beide Becher, stieß mit den Bechern an, leerte den ihren und schüttete den Becher des Toten in den schwimmenden Bach, der sich in geringer Entfernung von dem Hause in die Schelde verlor. Und wie sie dies erste Opfer in den Fluß schütten wollte, da rauschte es in der Flut und tauchte empor, als ob ein großer Fisch, der in dem Strome keinen Raum hatte, auftauchte und emporschwämme, der Mond trat hinter dem Hause hervor, und sie sah ihres Vaters bleiches Angesicht, auf seinem Haupt die Krone, welche ihm die Zigeuner aufgesetzt hatten, ehe sie ihn in das fließende Wasser warfen. Und wie die Welle mit dem teuren Haupte kreiste, so ging dem armen Kinde der Kopf um; sie glaubte, er lebe noch, er suche sich aus dem Wasser zu retten, sie sprang hinein und hielt ihn fest, der schwarze Hund hielt aber sie am Rocke fest und stemmte sich gegen das Ufer; so wurde sie in sinnloser Trauer festgehalten und konnte weder den Leichnam ans Ufer bringen, noch mit ihm fortschwimmen ins Meer. Endlich kam Braka zurück, und da ihr an der Türe nicht aufgemacht worden, schlich sie in den Garten, wo sie das wunderbare Bild wie versteinert sah, den kräftigen Michael im Totenhemde mit der glänzenden silbernen Krone, über ihm das bleiche Mädchen, die schwarzen Locken über ihm hinwallend, an ihrem Kleide gehalten von dem schwarzen Hunde mit feurigen Augen. Die Alte mußte nach ihrer Art lachen, weil es etwas so Seltsames war, ungeachtet es ihr sehr zu Herzen ging und sie nicht von Herzen, sondern nur mit dem dürren Munde wie ein Hungernder lachen mußte; dann sprang sie hinzu, hob das Mädchen mit Gewalt ans Ufer und sprach: "Laß ihn ziehen, er weiß seinen Weg besser als du!"

      Bei diesen Worten zog die Leiche still hinunter, und der Mond ging unter Wolken, und Bella sank in die Arme der Alten.

      Vier Wochen des Schmerzes waren vergangen, die Alte konnte ihrer eigenen Sicherheit wegen nicht alle Tage kommen, und Bella langeweilte sich mit dem Hunde, dessen Künste sie nicht mehr sehen mochte, der ewig schlief, oder, wenn gegessen wurde, wedelte, sich leckte, kratzte; sie kam endlich darauf, womit andere Erben anfangen, den Nachlaß der Verstorbenen zu durchsuchen. Sie schloß die geheime Kammer auf, nicht ohne Schrecken und Ehrfurcht, aber ihre Erwartung war getäuscht; da waren keine seltene Kleider und Kostbarkeiten, meist nur Bündel von Kräutern, Säcke mit Wurzeln, einige Steine, lauter Dinge, von denen sie nichts verstand, weil der Vater ihrem kindischen Wesen keine Achtsamkeit für das Geheime zugetraut hatte. Endlich fand sie doch in einer Kiste alte Schriften, die sie durchblättern konnte, manche mit köstlichen Siegeln geziert, auf wunderlichem Papier in fremder Sprache, die sie aber noch nicht gelernt hatte, andre aber niederländisch-deutsch, das sie wohl schreiben und lesen konnte, da ihre Mutter, aus einem alten Hause der Grafen von Hogstraaten mit Michael entflohen, diese Liebe zur alten Sprache ihrem Manne und ihrem Kinde zugebracht hatte. Sie nahm diese Bücher und las eben nachts, denn bei Tage schlief sie, um alles Geräusch zu vermeiden, als Braka ihr durch eine zahme Ohreule, mit der sie sich seit einiger Zeit herumtrieb, ein dreimaliges Zeichen gab, daß sie eingelassen sein wollte. Bella sprang unwillig von ihrem Buche auf, das merkwürdige Zauberhistorien enthielt, und wie Braka eingetreten, setzte sie sich wieder stillschweigend dabei nieder, daß die Alte ganz böse ihre Hände in die beiden Seiten stemmte: "Nun, kriegt die alte Braka heut keinen Gruß, keinen Kuß? ja wenn die Kinder klein sind, so wissen sie kaum, was sie einem alles für Liebes und Gutes antun sollen, aber kaum fangen sie an, was vollständig zu werden, da haben sie keine Ohren mehr für alles Gute, was man ihnen tun möchte; nun, den Kuchen sollst du heute nicht bekommen, wenn du mich nicht recht darum bittest, habe darum eine halbe Stunde beim Bäcker warten müssen, der sollte heute auf des Prinzen Tisch, die Magd wird sich schöne wundern, wenn sie beim Bäcker zum Abholen kommt und er schon fort ist."

      "Wenn ich dich auch nicht bitte", sagte Bella, "du hast doch keine Ruhe, bis ich ein Stück davon gegessen; gib nur her und sei nicht böse. Ich bin heute bei meines Vaters Büchern gewesen und habe da so schöne Geschichten gefunden, daß ich gern ein Gespenst werden möchte." Die Alte sah in das Buch hinein und sagte: "Es ist doch sonderbar, daß ich so alt bin und kann nicht lesen, und du bist nur so ein Kuckindiewelt und kannst es schon; nun hör einmal, wenn du Lust hast, ein Gespenst zu werden, du kannst dazu kommen, das fällt mir soeben ein, und wir können es brauchen."

      "Was ist denn, du siehst ja so bedenklich aus?"

      "Sieh nur, Bella", fuhr die Alte fort, "es ist auch keine Kleinigkeit, was dir bevorsteht: denk nur, Prinz Karl ist gestern vor diesem Gartenhause mit seinem Lehrer Cenrio vorbeigeritten und hat gefragt, wie es käme, daß es so verschlossen und verfallen aussähe. Cenrio hat ihm erzählt, wie die Gespenster alle Käufer und Mieter abgeschreckt hätten, alles, wie du es weißt; wie dein Vater einen, der sich durchaus hier niederlassen wollte, mit Ruten gehauen; die vielen Eulen, die er in einer Kammer eingesperrt hatte und sie einem andern um den Kopf fliegen ließ, nun, du weißt alles; der Prinz aber, statt daß er dadurch geschreckt worden, schwur, daß er ganz allein eine Nacht in diesem Hause schlafen und die Geister bald vertreiben wolle. Was fangen wir nun an? es kann jede Nacht geschehen, daß er in dies Haus kommt, und seine Leute werden die Ausgänge sicher so besetzen, daß keiner von den Unsern heraus- oder hereinkann."

      "Hör, Braka", sprach Bella, "den Prinzen möchte ich doch gern sehen, ich habe so viel von ihm gehört, wie schön er ist und wie edel, wie er fechten und reiten kann."

      "Du denkst nun schon wieder an den Prinzen und nicht an unsre Not", fuhr Braka fort; "hast du wohl Geschick, das Gespenst zu spielen? Das könnte dich retten!"

      "Warum nicht", meinte Bella, "aber wie soll ich's anfangen?" und las weiter in ihrem Buche. "Sieh, Kind", sprach die Alte, "er kann in keinem andern Zimmer schlafen, als in dem schwarzen mit den goldenen Leisten, neben welchem das geheime Kämmerlein deines Vaters versteckt ist, denn die andern Zimmer haben alle mehr Eingänge, da ist es ihm nicht so sicher, auch steht nur in diesem eine Bettstelle. Nun sieh, wenn du merkst, daß er stille, daß er eingeschlafen, so schleich aus der Kammer heraus, leg dich zu ihm ins Bette, und ich schwör dir, daß er vor Angst davonläuft und nie wiederkommt; sollte er aber Mut behalten und dich festhalten, sieh, so kostet es dir ja nur eine Lüge, daß du aus Liebe zu ihm eingedrungen, und dein Glück ist vielleicht gemacht."

      "Ja, Alte", sagte Bella und las weiter, "wie du meinst, du mußt das verstehen, ich weiß nichts davon."

      "Aber sag mir nur, wo du das verfluchte Buch herbekommen hast", fragte die Alte weiter, "wenn ich mit dir ernsthafte Sachen rede, denkst du an nichts als an das Buch."

      "Ich hab es aus des Vaters Kammer geholt", sagte Bella, "es liegen da noch mehrere, nimm dir auch eins."

      "Wenn du es erlaubst", sagte die Alte, "so gehe ich gern einmal herein; ich habe mich immer gefürchtet, es dir zu sagen, ich wußte nicht, ob dein Vater es nicht verboten."

      "Geh nur", sagte Bella, "du wirst sonst nicht viel finden."

      Die Alte ging mit einer gescheiten Neugierde; an der Türe bat sie Bella, den schwarzen Hund wegzurufen, der immer vor der Kammertür lag und niemand als Bella einzulassen Befehl hatte. Bella rief ihn zu sich, und die Alte ging ohne Aufenthalt in die Kammer. Als sie drin war, lachte Bella, wies den Hund wieder zur Kammertür und versteckte sich, um den Schreck der Alten zu sehen; es war ein Prinzessinnenspaß, aber sie war auch liebenswürdig wie eine Prinzeß und war von je wie eine Prinzeß verehrt worden. Nicht lange nachher wollte die Alte mit einem großen Kräuterbündel und mit einem Sacke zur Türe hinaustreten, aber der schwarze Hund machte ihr ein Paar feurige Augen und zeigte die Zähne; sie trat erschrocken zurück und rief nach Bella in großer Angst. Zu gleicher Zeit hörten sie ein ungewohntes Getrappel von Pferden vor der Türe, Menschen, welche über den Hof kamen, und Bella flüchtete sich erschreckt mit dem Lichte und den Speisen und mit dem Hunde zur Alten in die Kammer, die sie verschlossen, um dort


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