Windschiefe Gestalten. Adam Karrillon

Windschiefe Gestalten - Adam Karrillon


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statt sich einen neuen zu kaufen, einen alten Sonnenschirm überziehen ließ, folgerte er, daß dem Bruder eine Serie weißer Handschuhe abhanden gekommen sein möchte.

      Doch dies alles waren ja nur kleine Dinge, die am Hause Sterzelweg wohl einen Ziegel eindrücken, seine Fundamente aber nicht erschüttern konnten. Es mußten andere Stürme wehen, wenn eine alte Eiche wanken sollte. Maurus nahm sich vor, wie ein Horchposten auf der Lauer zu liegen, um jeden Schritt des Unheils zu vernehmen, wenn es etwa vorhätte, sich den Seinen oder ihm zu nähern. Bald sollte er nicht vergebens auf der Lauer gelegen haben.

      »Die Gläser werden nicht ausreichen; man wird neue hinzukaufen müssen,« hörte er über Tisch die Mutter zu dem Vater sagen.

      »Warum nicht gar?« war dessen Antwort. »Die Schränke und das Büfett hast du voller Römer stehen, und immer noch soll Neues zu den alten Scherben hinzugeschafft werden?«

      »Daß wir uns doch nie verständigen können! Nun wirst du wieder nicht begreifen wollen, daß wir unsern Gästen ganz unmöglich den Moselwein in Römern vorsetzen können. Bedenke doch nur, wen unser Herr Sohn alles mitbringen wird. Da ist der Graf Henkel von Holzapfel, der Fürst Wolf von Donnerkeil und der junge Langholz von Tannenbryck, dem die Hälfte des Rüdesheimer Berges gehört. Diese Leute wissen nur zu gut, was sich schickt, besser jedenfalls als du es weißt.«

      Herr Sterzelweg, der nur mit maschineller Tätigkeit sich den Kommerzienratstitel erworben hatte, ließ die Oberlider über die Augäpfel sinken. Freilich, er war nicht wie seine Gattin auf einer Schnellbleiche gewesen, und er kannte nicht alles, was man zu tun und zu lassen hatte, wenn man als vornehm gelten wollte. Es war schon wahr, er mußte sich in all den Sachen, die zum guten Ton gehörten, auf die Frau verlassen und neuerdings auch auf den Sohn, den Herrn Leutnant. Um vor seiner Gnädigen nicht sofort kapitulieren zu müssen und um Zeit zu gewinnen, schnitzelte er sich aus einem Streichholz einen Zahnstocher, erhob sich langsam von seinem Stuhl und sagte im Weggehen nur: »Nun, so mach denn, was du für recht hältst. Aber daß du mir nur ja nichts übertreibst. Wir haben ja nur den einen, aber bedenke, daß oftmals schon ein einziger zu viel gewesen ist.«

      Maurus wartete ab, bis der Vater gegangen war, dann wandte er sich an seine Mutter, um zu erfahren, aus welcher Veranlassung das Festkalb geschlachtet werden solle, und erfuhr nun, daß sein glorreicher Bruder auf der Fuchsstute »Nimmermüde« einen silbernen Becher erritten habe.

      Während der Bucklige das Zimmer verließ, rechnete er an seinen Westenknöpfen heraus, wie groß sein Anteil an dem Familienglück ungefähr werden könne. Zunächst, so kalkulierte er, würde er wohl an dem Stoßkarren die Achsen zu schmieren bekommen. Die Zuggurt wäre gleichfalls zum Sattler zu geben. Zwar war sie noch nicht durchgescheuert, aber auf dem Rücken eines Buckligen und bei der Schwere der Koffer, mit denen der Herr Leutnant zu reisen pflegte, durfte man dem Wetter nicht trauen. Auch waren ja gewiß noch andere Kasten und Kisten von der Bahn zu holen. Das Familienporzellan mußte ergänzt werden, auch fehlte es sicherlich an Stiefelziehern, wenn jedem der hohen Gäste sein eigener zu gefälliger Verwendung unterm Bett stehen sollte. War dann noch für Pfeifenräumer und Zigarettentabak in genügender Menge gesorgt, dann hatte Maurus, der Mohr, seine Schuldigkeit getan und konnte gehen.

      Gewiß, man würde ihn nicht mit Hunden vors Tor hetzen. Er war ja, wenn er auch einen Buckel hatte, immerhin ein Kind des Hauses. Was brauchte man gemein zu werden. Nur nachsinnen, und es würde sich sicherlich ein Vorwand finden lassen, unter dem man ihn für die Festtage den Leuten aus den Augen rücken konnte. Vielleicht waren Eulen nach Athen zu tragen, oder vom Fichtelgebirge herunter war eine Kuhmagd zu holen, die man nicht einzig und allein dem Schutze der Heilsarmee anvertrauen konnte. Wer mochte es übrigens wissen; vielleicht kam in den nächsten vierzehn Tagen irgendwo an der böhmischen Grenze eine Base ins Wochenbett und unserem Maurus war die hohe Ehre der Patenschaft zugedacht.

      Unser Buckliger mußte mit einer dieser Möglichkeiten rechnen, und er tat es auch. Zunächst aber brachte er seinen Karren in Ordnung und beobachtete dann die Züge seines Vaters, wenn er, vor seinem Pulte stehend, die Morgenpost öffnete. O, ihm entging nicht das leiseste Zucken im Gesicht des Alten, wenn ihm ein Brief zwischen die Finger kam, der aus der Garnisonsstadt eingelaufen war. Sein Bruder Marcellus mußte alldorten in einem reichen Familienverkehr stehen mit Champagnerfabrikanten, Goldwarenhändlern, Pferdejuden, Schauspielern und Chansonettendivas. Daß all dieser Bekanntenzuwachs nach dem Sinne seines Vaters gewesen sei, wollte dem Buckligen nicht einleuchten. Er sah neulich, wie der Alte zuweilen wütig nach seinem rechten Schnurrbartende biß, seinen Kahlkopf schüttelte und die Stirnhaut in schwere Falten legte, so daß es aussah, als ob er einen frischgepflügten Kartoffelacker vor den Hirnschädel gebunden hätte.

      Je eiseskälter sich übrigens die Sorge ins Gesicht des Vaters legte, um so sommerwärmer legte sich die Freude ins Antlitz der Mutter. Sie durfte demnächst den Sohn am Bahnhof erwarten. Er würde aussteigen, von einer Wolke seiner vornehmen Kameraden umgeben. Alle die glänzenden Uniformen würden sich auf sie zubewegen. Nach der fast zärtlichen Umarmung des Sohnes würde ein allgemeines Verneigen beginnen. Ein Emporschnellen der Hände nach dem Mützenrand würde einsetzen, kurzum, es würde auf dem Bahnsteig eine Szene geben, der ähnlich, als ob eine Landesmutter ihren Hofstaat erwartet. Aber was sage ich da nur. Viel größer noch als bei der Fürstin mußte bei Mutter Sterzelweg der Stolz und das Erhabenheitsgefühl sein, denn sie war sicher, daß aus ihrem Bekanntenkreis einige auf dem Bahnsteig sein würden, die vor Neid zu platzen drohten und die einen andern Weg gucken mußten, wenn ihre Scheelsucht nicht zu einer kompletten Erblindung führen sollte.

      Maurus, diese Mißgeburt mit dem Tornister auf dem Rücken, sah dies mit Prophetenaugen alles voraus, und er war gescheit genug, um einzusehen, daß seine Zwerggestalt in die Phantasmagorie hinein nicht paßte. Um seinen guten Eltern schlaflose Nächte darüber zu ersparen, wohin sie über die Festtage mit dem Ungeratenen sollten, hatte er sich selber einen Plan zurechtgelegt, mit dem er jetzt beim Frühstücksbeginn vor das besorgte Paar trat. Sein erlesener Vorschlag war in Kürze der folgende: Kein Tag verging, an dem nicht an der Bahn oder Post irgend etwas abzuholen war. Wie wärʼs, wenn das Geschäft sich ein paar Ziehhunde zulegte? Er, Maurus, wollte es sich zutrauen, sie zweckentsprechend herzurichten, wenn man ihm nur gestatten wollte, sich mit einem Hundezüchter in Verbindung zu setzen, der da bei Fulda oben in der Rhön hause. Seine Anwesenheit während des Familienfestes sei ja wohl nicht unbedingt erforderlich, und daß er etwa wie Seume in Kurhessen abgefangen und als Soldat verschleppt würde, darüber brauche man sich bei seiner Musterbildung keine Sorge zu machen.

      Niemand war glücklicher über diesen Vorschlag als die Mutter Sterzelweg. Sie küßte den Mißlungenen und schmierte im Geiste Butterbröter, die er mitnehmen mußte ins unhöfliche Gebiet dieser Fulder Dreschflegel hinein, die den heiligen Bonifazius erschlugen, sich aber seitdem eines so guten Rufes erfreuten, daß man es wagte, am Grabe des Märtyrers die Bischofskonferenzen abzuhalten.

      Maurus reiste gern ab, bevor Marcellus kam. Wo er nicht gerne gesehen war, mochte er nicht sein. Und dann, ihm war es ernst mit dem Hundekaufen. Wer wollte denn sagen, an welchen Abgrund hin die Wasser das Haus Sterzelweg noch schwemmen mochten? Gut warʼs immerhin, wenn man noch auf den Hund kommen konnte, nachdem das Pferd zuschanden gegangen war.

      Zu Fulda kaufte sich Maurus einen blauen Leinenkittel und stapfte, nun wie ein Metzger oder Viehtreiber aussehend, ins Rhöngebirge hinein. Gegen die Mittagsstunde wurde er hungrig, und da er einen sanften Wiesenboden unter sich und vor sich den Kreuzberg mit seinen drei Gerichteten hatte, so setzte er sich nieder, holte eine Wurst aus seinem Kittel und fing an zu essen. »Zu Hause haben sie heute etwas Besseres,« mußte er denken, »Rheinsalm, Rehrücken, Hühnerfrikassee und dazu Markobrunner Wein und perlenden Champagner. Ja ja, dieser vornehme Besuch mußte schon ein gehöriges Loch aus des Vaters Weinschrank heraussaufen. Wenn nur der Bruder nicht allwöchentlich wiederkam und einen Becher gewonnen hatte. Da oben auf der kahlen Bergkuppe standen die drei Kreuze mit ihren Opfern belastet. Der in der Mitte war ein Gottessohn. Ob er wohl jemals in seines Vaters Vorräten so gehaust haben wird, wie sein Bruder Marcellus eben tat?«

      Maurus mußte über diesen verrückten Gedanken lachen, und da er satt und rechtschaffen müde war, so legte er sich um und schlief ein. Wie lange er geschlafen haben mag, tut nichts zur Sache. Es bleibt zu Recht bestehen, daß er schon wach war und nur noch die Augen geschlossen


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