Der Wohlstand der Nationen. Adam Smith
Europa. England ist ein viel reicheres Land als Schottland, aber der Unterschied in dem Geldpreise des Getreides ist in diesen beiden Ländern weit geringer und kaum bemerkbar. Der Menge oder dem Maße nach scheint das schottische Getreide zwar um vieles wohlfeiler zu sein als das englische; aber der Beschaffenheit nach ist es gewiss etwas teurer. Schottland erhält fast alle Jahre starke Zufuhren aus England, und jede Ware muss in dem Lande, wohin sie gebracht wird, etwas teurer sein als in demjenigen, aus dem sie kommt. Daher muss das englische Getreide in Schottland teurer sein als in England, und kann seiner Beschaffenheit nach, oder entsprechend der Menge und Güte des Mehls, das aus ihm bereitet wird, in der Regel dort nicht teurer verkauft werden als das schottische Getreide, das mit ihm in Wettbewerb tritt.
Der Unterschied zwischen dem Geldpreise der Arbeit in China und in Europa ist noch größer als der zwischen dem Geldpreise der Lebensmittel, weil der wirkliche Lohn der Arbeit in Europa höher ist als in China; denn der größte Teil Europas ist im Fortschreiten begriffen, während China still zu stehen scheint. In Schottland ist der Geldpreis der Arbeit niedriger als in England, weil der wirkliche Lohn der Arbeit weit niedriger ist; denn wenn Schottland auch fortschreitet, so schreitet es doch langsamer fort als England. Die Häufigkeit der Auswanderung aus Schottland und ihre Seltenheit aus England beweist deutlich, dass die Nachfrage nach Arbeit in beiden Ländern sehr verschieden ist. Das Verhältnis zwischen dem wirklichen Lohn der Arbeit in verschiedenen Ländern richtet sich, wie festzuhalten ist, nicht nach ihrer dermaligen Wohlhabenheit oder Armut, sondern darnach, ob sie fortschreiten, still stehen oder zurückgehen.
Wie Gold und Silber unter den reichsten Nationen naturgemäß den größten Wert haben, so unter den ärmsten den geringsten. Unter den Wilden, den ärmsten der Menschen, haben sie fast gar keinen Wert.
In großen Städten ist das Getreide stets teurer als in entfernten Teilen des Landes. Dies ist jedoch nicht die Folge der tatsächlichen Wohlfeilheit des Silbers, sondern der tatsächlichen Teuerung des Getreides. Es kostet nicht weniger Arbeit, das Silber in die große Stadt als in die entfernten Teile des Landes zu schaffen: aber es kostet viel mehr Arbeit, Getreide dahin zu schaffen.
In einigen sehr reichen Handelsstaaten, wie in Holland und dem Gebiete von Genua, ist das Getreide aus demselben Grunde teurer als in großen Städten. Sie bringen nicht genug für den Unterhalt ihrer Bewohner hervor. Sie sind reich an Fleiß und Geschick ihrer Künstler und Handwerker, reich an jeder Art von Maschinen, die die Arbeit erleichtern und abkürzen, reich an Schiffen und allen anderen Werkzeugen und Mitteln des Transports und Handels; aber sie sind arm an Getreide, das, da es aus fernen Ländern dahin gebracht werden muss, durch einen Aufschlag auf seinen Preis die Fracht zu zahlen hat. Es kostet nicht weniger Arbeit, Silber nach Amsterdam als nach Danzig zu bringen, aber es kostet bedeutend mehr, Getreide dahin zu bringen. Die wirklichen Kosten des Silbers müssen an beiden Orten fast die nämlichen, die des Getreides aber sehr verschieden sein. Minderte sich der wirkliche Reichtum Hollands oder Genuas, während gleichzeitig die Zahl ihrer Einwohner dieselbe bliebe, minderte sich ihre Fähigkeit, sich aus fernen Ländern zu versorgen: so würde der Preis des Getreides mit dieser Verringerung in der Menge ihres Silbers, die jene Abnahme notwendig entweder als Ursache oder als Wirkung begleiten muss, nicht sinken, sondern vielmehr bis zu Hungersnotpreisen steigen. Fehlt uns das Notwendige, so müssen wir uns der überflüssigen Dinge entschlagen, deren Wert in Zeiten des Reichtums und Glücks steigt und ebenso in Zeiten der Not und Armut sinkt. Anders ist es mit den notwendigen Dingen. Ihr Sachpreis, die Arbeitsmenge, welche dafür zu haben ist, steigt in Zeiten der Armut und Not, und fällt in Zeiten des Reichtums und Gedeihens, die stets Zeiten großen Überflusses sind, da sie sonst nicht Zeiten des Reichtums und Gedeihens sein könnten. Getreide ist etwas Notwendiges, Silber etwas Überflüssiges.
Wie groß also auch die Zunahme in der Menge der edlen Metalle gewesen sein mag, die zwischen der Mitte des II. und der des 16. Jahrhunderts aus der Zunahme des Reichtums und der Kultur hervorging, so konnte sie dennoch weder in Großbritannien noch in einem anderen Teile Europas ihren Wert verringern. Hatten daher die Schriftsteller über die Preise früherer Zeiten keinen Grund, aus Beobachtungen über die Preise des Getreides und anderer Waren die Verringerung des Silberwertes zu folgern, so hatten sie noch weniger Grund, sie aus einer vorausgesetzten Zunahme des Reichtums und der Kultur herzuleiten.
Zweite Periode
So verschieden die Meinungen der Gelehrten über das Fortschreiten des Silberwerts während der ersten Periode waren, so einstimmig sind sie in dieser Hinsicht während der zweiten Periode.
Etwa von 1570 bis 1640, während eines Zeitraums von ungefähr 70 Jahren, nahm die Änderung in dem Wertverhältnis des Silbers zum Getreide eine ganz entgegengesetzte Richtung. Das Silber sank in seinem Sachwerte, d. h. es konnte nur gegen eine geringere Arbeitsmenge als früher vertauscht werden, das Getreide dagegen stieg in seinem Nominalpreise, und wurde mit der Zeit, statt für etwa zwei Unzen Silber der Quarter, oder etwa zehn Schilling unseres heutigen Geldes, für sechs bis acht Unzen Silber oder etwa dreißig bis vierzig Schilling unseres Geldes verkauft.
Die Entdeckung der reichen amerikanischen Minen scheint die einzige Ursache der Abnahme des Verhältnisses zwischen Silber und Getreide gewesen zu sein. So wird die Sache von jedermann erklärt, und es erhob sich weder über die Tatsache selbst, noch über seine Ursache jemals ein Streit. Der größte Teil Europas schritt in diesem Zeiträume im Gewerbfleiß und in der Bodenkultur fort, und die Nachfrage nach Silber musste daher stets zunehmen; allein die Zunahme des Angebots überstieg allem Anschein nach die Nachfrage so sehr, dass der Wert jenes Metalls bedeutend fiel. Die Entdeckung der amerikanischen Minen scheint, was beachtenswert ist, auf die Preise der Dinge in England bis nach 1570 nicht merklich eingewirkt zu haben, obgleich selbst die Minen von Potosi mehr als zwanzig Jahre früher entdeckt worden waren.
Von 1595 bis 1620 einschließlich war der Durchschnittspreis des Quarters von neun Bushel des besten Weizens, wie aus den Rechnungen des Eton College hervorgeht, auf dem Markte zu Windsor £ 2. 1 sh. 6 9/13 d. Lässt man von dieser Summe den Bruch weg, und zieht ein Neuntel oder 4 sh. 7 1/3 d. ab, so kommt für den Quarter von 8 Bushel der Preis von £ 16 sh. 10 2/3 d. heraus. Lässt man von dieser Summe ebenfalls den Bruch wog, und zieht ein Neuntel oder 4 sh. 1 1/9 d. für den Unterschied zwischen dem Preise des besten Weizens und dem des Mittelweizens ab, so kommt finden Preis des Mittelweizens heraus £ 1. 12 sh. 8 8/9 d., oder etwa sechs und ein Drittel Unzen Silbers.
Von 1621 bis 1636 einschließlich war nach denselben Rechnungen der Durchschnittspreis des gleichen Maßes vom besten Weizen auf demselben Markte £ 2. 10 sh. Macht man hiervon die nämlichen Abzüge, wie im vorigen Falle, so kommt für den Durchschnittspreis des Quarters von acht Bushel Mittelweizen £ 1. 19 sh. 6 d., oder etwa sieben und zwei Drittel Unzen Silbers heraus.
Dritte Periode
Zwischen 1630 und 1640, oder um 1636, scheint die Wirkung der Entdeckung der amerikanischen Minen auf die Entwertung des Silbers ihr Ende gefunden zu haben und das Wertverhältnis zwischen diesem Metall und dem Getreide niemals tiefer gesunken zu sein als um diese Zeit. Im Laufe des gegenwärtigen Jahrhunderts dürfte es sich etwas gehoben haben, und hatte damit wahrscheinlich schon einige Zeit vor dem Ende des vorigen angefangen.
Von 1637 bis 1700 einschließlich also in den 64 letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts, war nach denselben Rechnungen der Durchschnittspreis des Quarters von neun Bushel vom besten Weizen auf dem Markte zu Windsor £ 2. 11 sh. 1/3 d., nur 1 sh. 1/3 d. teurer als während der vorhergehenden sechzehn Jahre. Aber im Laufe dieser vierundsechzig Jahre traten zwei Ereignisse ein, die einen weit größeren Mangel an Getreide verursachen mussten als durch den bloßen Einfluss der Witterung zu erklären wäre, und die, auch ohne die Annahme eines weiteren Rückganges im Silberwerte, jene kleine Erhöhung des Preises vollständig erklären.
Das erste dieser Ereignisse war der Bürgerkrieg, der durch Entmutigung des Ackerbaues und Unterbrechung des Handels den Preis des Getreides höher hinauftrieb, als er durch den Einfluss von Missernten hätte steigen können. Diese Wirkung musste mehr oder weniger auf allen Märkten des Reichs eintreten, insbesondere aber auf denen in der Nähe von London, die sich ihren