Eure Wege sind nicht meine Wege. Hermine Wild

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      Eure Wege sind nicht meine Wege

      Eure Wege sind nicht meine Wege

      Es mochte gegen das Ende des vergangenen Jahrhunderts sein; die französische Revolution, deren furchtbarer Ausbruch nur wenige Jahre danach erfolgte, kündigte schon hier und da durch verlängerte Stöße der unterwühlten Gesellschaft ihre Annäherung an; da kehrte Graf Thornstein auf seine Güter nach Deutschland zurück. Fast ein Fremdling kehrte er dahin zurück; als junger Mann hatte er die Heimath verlassen, sich seitdem bald hier, bald dort im Auslande aufgehalten, und nachdem er an den lockeren Sitten seiner Zeit den gehörigen Antheil genommen, sich in Paris mit einem französischen Fräulein vermählt, das, reich an Ahnen und arm an anderen Gütern, ihm nichts zubrachte, als die Verbindung mit einer alten, angesehenen Familie und ihre eigene ungewöhnliche Schönheit. Von dieser Schönheit hatten die Insassen des Gutes durch den Verwalter gehört, der einst, Geschäfte halber, nach Paris gereist war und den Grafen einen glücklichen Mann pries. Wieder waren Jahre verstrichen, den alten Mann deckte die Erde, und ein andrer Verwalter nahm seine Stelle ein. Die junge, schöne Gräfin, sagte ein Gerücht, hatte ein früher Tod von der Seite ihres Gatten gerissen, und vom Grafen kam noch immer keine Kunde. Er lebte in der Erinnerung seiner Unterthanen ein schattenhaftes Leben, das nur manchmal von Seiten des Verwalters durch besonders empfindliche Eintreibung grundherrlicher Gerechtsame aufgefrischt ward. Da sprach man denn von ihm als von einem ziemlich leichtsinnigen, ein wenig zum Stolz geneigten, im Ganzen aber freundlichen und milden Herrn, auf den man einst große Hoffnungen gesetzt und dessen Rückkehr man herbeiwünschte, ohne daran zu glauben, weil man in ihr die einzige Schranke für die oft unausstehliche Tyrannei der Beamten sah. Und nun war er wirklich gekommen, fast unerwartet, und Alt und Jung war herbeigelaufen, sich an seinem Anblick zu erfreuen, und Alt und Jung schüttelte die Köpfe über die Verschiedenheit zwischen dem Grafen, den sie geträumt, und demjenigen, den sie nun sahen. Er kehrte zurück, ein gebrochener Mann, vor der Zeit gealtert und die in früher Jugend so muthig erhobene Stirn von einem finstern Ernst umwölkt, der jede Freude ob seiner Rückkehr schnell verstummen hieß.

      Der Tod seiner Gemahlin habe ihn so geändert, sagte man sich. Er habe vergebens auf Reisen Zerstreuung für seinen Schmerz gesucht; noch jetzt könne er ihren Namen nicht aussprechen hören, und keine Frau habe seit ihrem Verluste einen Eindruck auf ihn gemacht. Die Bauern schüttelten die Köpfe dazu; Sentimentalität ist auf dem Dorfe wenig zu Hause; sie waren froh, daß der Gram seine Gerechtigkeit und Einsicht nicht getrübt, die Plackereien der Beamten hatten ein Ende, mehr verlangten sie nicht. Doch Liebe und Vertrauen erwarb sich bei ihnen der kalte, schroffe Gebieter nicht, dessen Stolz durch sein Unglück nur gewachsen schien. Ein freundliches Gesicht hätte ihm mehr Herzen gewonnen, als alle seine wirklichen Eigenschaften es vermochten. Nur die Frauen waren mildern Sinnes, sie bedauerten ihn, und die verstorbene Gräfin, die solche Liebe eingeflößt, galt unter ihnen, trotz ihres Todes, für eine hochbeglückte Frau. Zwei Kinder hatten ihn begleitet; der Knabe mit seinem deutschen Namen Otto, war des Vaters Ebenbild, das Mädchen französisch Leonie genannt, und beide einander so unähnlich, als es Bruder und Schwester nur je gewesen sind, doch beide schön, scheu und fremd, denen das deutsche Wort nur gebrochen von den weichen Lippen floß.

      Dieser letzte Umstand änderte sich jedoch bald, und dadurch fiel die eine Scheidewand zwischen dem Dorfe und dem gräflichen Hause weg. Denn trotz seines Stolzes duldete der Graf, daß seine Kinder sich in ungestörter Freiheit mit den Kindern der Bauern herumtrieben. Sie hatten freilich auch keinen andern Umgang. Ihr Vater schloß sich von dem benachbarten Adel, der ihm zuerst freundlich entgegenkam, so viel als möglich ab; man hielt seine Absonderung für Theilnahme an den neufranzösischen Ideen, er wurde auch in diesen Kreisen unlieb, und so stand er bald ganz allein.

      Bei dieser Abgeschlossenheit befanden sich die Kinder ganz wohl. Mit Büchern und Anstandsvorschriften wurden sie wenig geplagt. Ihr Unterricht beschränkte sich auf das, was sie vom Schulmeister und vom Pfarrer lernen konnten, woran sich für Leonie ein besonderer Cursus in kleinen Handarbeiten und sonstigen weiblichen Beschäftigungen unter den Augen der Frau Pfarrerin schloß.

      Wir können nicht sagen, daß unsere kleine Heldin diesen Arbeiten besonders geneigt war; sie liebte den Müßiggang, sie liebte überhaupt Alles, was ihre kleine Person mit Behaglichkeit umgab, und nur wenn sich mit einer Beschäftigung irgend ein Zweck, ein Interesse verband, verwandelte sich oft plötzlich ihre träge Natur in starre Unermüdlichkeit und seltene Energie. Die Pfarrerin selbst war eine gute, sanfte Frau, die das mutterlose Mädchen seiner Mutterlosigkeit wegen schnell lieb gewann und, da sie selbst keine Kinder hatte, es gerne um sich sah; und Leonie war gerne dort, denn sie fühlte sich geliebt. Lieber aber war sie noch, wo es minder ruhig herging, denn, ohne selbst lärmend zu sein, war sie doch die Seele von allem Lärm, und die Knaben des Dorfes, ihr Bruder nicht ausgenommen, dem sie an geistiger Gewandtheit weit vorausgeeilt war, erkannten sie stillschweigend als ihre Herrscherin an. Unter ihnen war sie in ihrem Elemente, von ihnen wurde dem kleinen Fräulein die erste Huldigung dargebracht, und wunderbar war es, wie ihre zierliche Erscheinung sich immer sauber herausschälte aus der rohen Atmosphäre, in der sie sich so wohl gefiel.

      Bei Otto drohte der Bauerntölpel mit der Zeit den adeligen Junker ganz zu überwuchern, bei Leonie war das unmöglich. Ihre ganze Organisation widersetzte sich dem. Sie war und blieb ein kleines, feines Ding, das nirgends viel Platz einnahm, geräuschlos auftrat und immer da war, man wußte nicht wie. Alles war Widerspruch an ihr; ihre blonden, lockigen, etwas ins Röthliche schimmernden Haare umrahmten seltsam den zarten Kopf mit den schwarzen, denkenden Augen. Statt des weichen Gemüthes, das ihrem Bruder bei den tollsten Streichen stets den Stempel kindlicher Liebenswürdigkeit verlieh, zeigten sich bei ihr nur kurze, seltene Aufwallungen voll Leidenschaft, die aber der nächste Augenblick spurlos zu verwischen schien. Bis jetzt war eine zähe Beharrlichkeit, die vor keinem Hinderniß zurückschrak, vielleicht einer der deutlichsten Züge dieses keimenden, sonderbar schwer zu erkennenden Charakters. Wohin kein Fuß gekommen, da drang gewiß der ihrige durch. Fest wie Stahl und leicht wie eine Feder, hätte ein Tanzmeister von ihr gerühmt; die Bauern drückten sich minder kunstgemäß aus, zollten ihr aber nicht geringere Bewunderung. Und es war ein eigener Anblick, sie so geschmeidig und lustig in ihrer unbändigen Gesellschaft durch Flur und Felder streifen zu sehen. Wie eine verzauberte Prinzessin-Tochter von bösen Kobolden bewacht, nur daß die Kobolde hier mehr gehorchten als befahlen, und selbst Otto entzog sich diesem Zauber seiner Schwester nicht. Aber keck und muthig in dem kleinen Kreise, in welchem sie Königin war, wurde sie scheu und still, sobald sie vor ihrem Vater stand. Er war ihre einzige, aber auch ihre große Furcht. Wann diese Furcht angefangen, darüber hatte sie nicht nachgedacht; es war ein Zustand, der für sie in der Ordnung der Welt begriffen war. Nie hatte sie ein freundliches Wort von ihm vernommen, nie einen Blick, eine Liebkosung von ihm empfangen, wie sie Otto, trotz seines finsteren Wesens, doch oft von ihm empfing; ja ihre aufkeimende Lieblichkeit, die, wechselvoll wie die Welle, in allen Schattirungen quellenden Lebens unaufhörlich ging und kam, immer dieselbe und doch stets eine andere schien, weckte bei ihm, anstatt Stolz und Befriedigung, offenbar nur eine größere Strenge und eine Kälte, die fast an Abneigung stieß. Doch ruhten seine Augen oft eigenthümlich forschend auf ihr, als suche er ein Räthsel zu lösen, das seinen peinlichsten Anstrengungen stets von neuem zu entschlüpfen schien. In diesem Blicke vielleicht lag der erste Grund der Scheu, die Leonie vor ihrem Vater empfand; sie hatte ihn in seiner unheimlichen Tiefe so oft auf sich geheftet gesehen! Als sie noch in den Armen ihrer Amme lag und das werdende Verständniß an den ersten schwachen Eindrücken der äußeren Welt sich allmählich zu entfalten begann, war es dieser Blick vielleicht gewesen, der an ihr zitterndes Leben trat und der klaren Welle der Empfindung eine dunklere Färbung verlieh. Wer forscht dem Keime unserer Gefühle nach? Genug, die Furcht vor ihrem Vater schien mit Leonieʼs Lebenswurzel verwachsen zu sein, ein heimlicher Trotz gegen einen Druck, der ihr mehr willkürlich als berechtigt erschien, mischte sich nach und nach ihrer Empfindung bei; sie war verschlossen und still in seiner Gegenwart und ging ihm aus dem Wege, wenn sie ihn kommen sah. Er bemerkte es wohl, aber er rief sie nie zurück. Er glaubte sie zu kennen; vielleicht kannte er sie auch, und doch – wir möchten fast sagen, es wäre besser gewesen, er hätte sie nicht so gut gekannt.

      Sie sind zu streng gegen Ihre Tochter, Herr Graf, sagte der Pfarrer eines Tages zu ihm.

      Finden Sie? frug der Graf in den Hof deutend, wo Leonie, in dem Kreise einiger jugendlichen Verehrer stehend, die ihr angeborne Anmuth in unbewußter Koketterie zum Zeitvertreib an


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