Eure Wege sind nicht meine Wege. Hermine Wild

Eure Wege sind nicht meine Wege - Hermine Wild


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Zeit wird kommen, wo es keine Kinderei mehr sein wird, versetzte der Graf, was dann?

      Ich begreife Sie nicht. Jeder andre Vater hätte seine Freude an dem schönen Kinde, und Sie —

      Ja, sie ist schön, sagte der Graf, und eine Wolke zog über seine Stirn, ich wollte, sie wäre es nicht.

      Der Pfarrer war erstaunt, schwieg aber, da er zu fühlen glaubte, dem Grafen sei das Gespräch unangenehm. Seine Verstimmung hatte überhaupt seit einiger Zeit bedeutend zugenommen. Er war offenbar unruhig, ritt einigemal selbst nach der nächsten Stadt und unternahm endlich eine längere Reise, von der er erst nach Wochen wiederkam. Ein gewisses Befremden erregte es vorher im Dorfe, daß er einen Hof, der in einiger Entfernung vom Dorfe ziemlich vereinsamt am Saume des Waldes lag und dem Schlosse eigen zugehörte, einem seiner Diener in Pacht gab, dem einzigen, der ihn aus der Fremde zurück begleitet, sich durch sein mürrisches, verschlossenes Wesen wenig Liebe erwarb und dazu, obgleich ein Deutscher, doch fremd in der Ortschaft war. Wie gesagt, die Leute verwunderten sich über das Glück des Mannes, und die Gunst, in welcher er bei dem Grafen stand, erwarb ihm manchen Neider. Das kümmerte aber den Thomas Werner nicht. In aller Ruhe ließ er seine neue Behausung herrichten, wie man sagte, mehr wie es sich für ein Herrenhaus gezieme, als für einen Bauernhof. Möbel wurden aus der Stadt herbeigeschafft, die Fenster der oberen Zimmer umhüllten sich mit Gardinen, und man wollte von Teppichen wissen, deren Farbenpracht alles im Dorfe Gesehene bei weitem überstieg und sich nur mit denen des Schlosses vergleichen ließ. Daß der Thomas diese Vorbereitungen nicht für sich allein traf, versteht sich von selbst; man munkelte allerhand von einer reichen Braut; als aber das Haus fix und fertig war und in all seinem Glanze dastand, kam eines Tages die alte Mutter des Thomas, die keine Seele kannte, ebenfalls aus der Fremde herbei und quartierte sich ganz still bei ihrem Sohne ein. Von einer Braut war keine Spur, weder aus dem Dorfe, noch aus der Fremde; Thomas und seine Mutter lebten fast ganz allein und hielten keinen Dienstboten, als einen blöden Knecht.

      Der Graf ritt hinüber und nahm Alles selbst in Augenschein. Otto bat vergebens mitgehen zu dürfen, das Gerede der Leute hatte ihn neugierig gemacht, und Thomasʼ barsches Benehmen, als er einst versucht bei ihm vorzusprechen, hatte den Grafensohn arg verletzt und seine Neugierde dabei nur vermehrt. Allein sein Vater war nicht nachgiebiger gestimmt, als Thomas selbst, und wies ihn mit seiner Bitte scharf zurück. Mißmuthig schlich er zu seiner Schwester hinab in den Hof. Leonie saß auf einem Steine, ihre goldenen Haare leuchteten hell im blendenden Sonnenschein, die zierlichen Füßchen berührten kaum die Erde; sie sah mit den schwarzen Augen grade vor sich hinaus in die Weite und lächelte seltsam bei ihres Bruders Mittheilung. Du bist ein Narr! sagte sie nach einer kleinen Pause, und weiter sagte sie nichts. Und doch wußte Leonie besser als irgend jemand, woran sie war. Auch sie war neugierig gewesen, lange bevor noch irgend jemand es war. „Und die Hauptsache ist, daß die Kinder sie nicht sehen, und niemand erfahre, wer sie ist,“ hatte sie ihren Vater zu Thomas sagen hören. Leonie hatte besonders scharfe Sinne, und das Gehör stand den andern keineswegs nach. Wer war es, den sie nicht sehen sollte? dessen Dasein der Vater so ängstlich zu verheimlichen befahl? Leonieʼs kindische Neugierde klammerte sich an dem Gedanken fest und ließ ihn nicht mehr los. Daß Thomas den Waldhof erhielt, daß er so viele unerklärliche Vorbereitungen traf, geschah nicht ohne Grund, das sah auch sie wohl ein; Alle frugen, sie allein war still, aber ihr lärmendes Gefolge trieb sich plötzlich öfter ohne sie herum, und sie hatte ungemein viel um die neue Behausung des Thomas zu thun. Da saß sie denn eines Nachmittags im Grünen, von der dichten Hecke versteckt; im Garten arbeitete Thomas, und seine Mutter half ihm dabei.

      Und sie kommt also wirklich morgen schon? frug plötzlich die zitternde Stimme der alten Frau. Leonieʼs Ohren öffneten sich weit in horchender Erwartung.

      Ja, versetzte Thomas kurz, in seiner Arbeit fortfahrend.

      Es ist doch hart, fuhr die Mutter fort; was mag sie nur gethan haben?

      Was gehtʼs Euch an? fuhr der Thomas auf, wir werden gezahlt sie zu bewachen, wir bewachen sie – damit istʼs aus für uns! —

      Aber man möchte doch wissen, was dahinter steckt. Wenn sich die Polizei nur nicht drein mischt! Wenn ich in meinen alten Tagen noch in eine solche Geschichte käme, es wäre schrecklich.

      Der Graf wird wissen, was er thut, sagte Thomas mürrisch; morgen Abend kommt sie an, Alles ist fertig, und das Uebrige kümmert uns nicht.

      Damit war das Gespräch zu Ende. Leonie horchte noch immer. Nachdenkend ging sie nach Hause und war den ganzen Abend merkwürdig still.

      Einige Tage darauf erzählte man im Dorfe, beim Thomas wohne eine schöne, noch junge, fremd aussehende Frau; man hatte sie in seinem Garten auf und ab gehen sehen, während seine Mutter unter der Hausthüre saß und strickte. Als gefragt wurde, wer sie sei, gab er sie für eine entfernte ausländische Verwandte aus, deren Verstand zerrüttet sei, und die er aus Erbarmen bei sich behalte. Die Leute schüttelten die Köpfe dazu, die stolze, edle Erscheinung war selbst in ihren Bauernkleidern von Thomas und seiner Umgebung himmelweit verschieden; man sprach und sprach, die Sache fing an Lärm zu machen, die Polizei wurde wirklich aufmerksam, Thomas wurde nach der Stadt berufen, er kehrte zurück, und Alles blieb wie es war. Der Graf, hieß es, habe sich seines langjährigen Dieners angenommen und ihn von jeder Unannehmlichkeit durch sein Fürwort frei gemacht. Die Folge davon war, daß man anfing, den Grafen mit der Fremden in Verbindung zu bringen. Natürlich hörten die Kinder des Dorfes Manches von dem, was die Eltern sprachen, und legten es sich auf ihre Weise zurecht; Leonie machte ein gar kluges Gesicht zu ihren Bemerkungen, aber sie schwieg wie das Grab. Und doch war sie dabei gewesen, als die Fremde ankam, die damals keine Bauernkleider trug. Hinter einem Busche versteckt, furchtsam in sich zusammengekauert, hatte Leonie gesehen, wie Thomas sie aus dem Wagen hob und gleich danach ihr Vater zur Erde sprang. Leonie erschrak heftig, ihn so nahe, nur ein paar Schritte entfernt, vor sich zu sehen. Was würde er thun, wenn er sie hier entdeckte? Sie kauerte sich noch mehr zusammen und hielt den Athem an. Ahnungslos gingen die Drei an ihr vorbei, und hinter ihnen erhob sich Leonie. Sollte sie fliehen? Nein, das litt ihre Neugierde nicht. Geräuschlos wie ein Schatten schlich sie näher zum Hause hinan. Weinranken umzogen es bis zum Dache. Wie eine Katze kletterte sie an diesen empor, und hätte der Graf einen Augenblick nach seinem Eintritt das Auge dem Fenster zugewendet, das die Hauptstube des Hofes erhellte, so hätte er ein bleiches Kindergesicht an die kleinen, altmodischen Scheiben gedrückt gesehen. Aber daran dachte er nicht; seine Gedanken waren ganz anders beschäftigt, und doch wäre es gut gewesen, hätte er es gesehen; denn wenn sie auch die Worte nicht vernahm, der Auftritt, der drinnen vorging, war in seiner düstern Färbung gewiß nicht für ein Kinderauge gemacht.

      Die Fremde war in des Hauses unterer Stube, sichtbar erschöpft, auf einen Sessel gesunken. Thomas blieb an der Thüre stehen, der Graf maß mit langsamen Schritten und gebeugtem Haupte das Zimmer auf und ab. Endlich trat er mit einer raschen Wendung vor die Fremde hin und schlug mit einer entschlossenen Bewegung ihren Schleier zurück. Sie zuckte sichtbar zusammen, dann erhob sie die bleiche Stirn und starrte ihn aus dem abgemagerten Gesicht mit ein paar dunklen, großen, unnatürlich glänzenden Augen an, welche das einzige Lebendige zu sein schienen an der ganzen Gestalt, so regungslos saß sie da. Des Grafen Augen hafteten fest auf den ihrigen, aber es war kein Blick der Liebe, und die Worte, welche diesem Blicke folgten, waren böse Worte. Der Graf war der erste, der das Schweigen brach.

      Du weißt, weßhalb du hier bist? sagte er in französischer Sprache.

      Die bleiche Frau wurde wo möglich noch blässer, und ihr unruhiger Blick suchte scheu im Zimmer umher; doch bald faßte sie sich wieder.

      Ihr wollt mich tödten, antwortete sie in derselben Sprache; thut es! und ein leiser Schauer durchrieselte ihren Körper.

      Immer Dieselbe! sagte der Graf verdrossen; er wandte sich ab und nahm seinen Gang durch das Zimmer wieder auf. Ihre Augen folgten ihm anfangs mit fieberhafter Anspannung, dann lehnte sie den Kopf zurück, senkte die Augenlieder, und es war, als schliefe sie. Nur wer ihr sehr nahe war, hörte das rasche, beklommene Athemholen ihrer Brust. Endlich blieb der Graf wieder stehen, und sie sah von neuem auf.

      Du sollst hier bleiben, sagte er, für deine Bequemlichkeit ist gesorgt, so viel es sich thun ließ; nur die Kleider sollst du wechseln, denn du giltst für eine Verwandte meines Pächters, und Niemand darf


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