Eure Wege sind nicht meine Wege. Hermine Wild

Eure Wege sind nicht meine Wege - Hermine Wild


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welche diese Leidenschaftlichkeit unter ein eisernes Joch zwang. – Zwang? – wenigstens für jetzt.

      Es war an einem Abend in der Oper. War es die weiche Schwingung der Musik, welche ihre Seele gefangen nahm? Sie saß in der Loge zurückgelehnt, einer schwankenden Träumerei hingegeben, die ihr sonst nicht gewöhnlich war, und ohne sich Rechenschaft davon abzulegen, hingen ihre Augen an dem Kopf eines jungen Mannes, der nicht weit von ihr, in dem halbverfinsterten Hintergrund einer anderen Loge saß. Er selbst war ihr unbekannt, und ebenso die Gesellschaft, in welcher er sich befand. In dem schwebenden Spiele ihrer Phantasie, von den Tönen der Musik gehoben und begleitet, suchte sie die Linien dieser Stirn zu entziffern, von welcher das dunkle, glänzende Haar in reichen Wogen zurückgeworfen war.

      Plötzlich sah er auf, sein Blick begegnete dem ihrigen. Es war ein Blitz. Leonie fuhr auf, durch alle Fibern schoß der elektrische Funken, und das Blut wallte heiß in ihr auf. Es war nur ein Augenblick, eine sonderbare Betäubung folgte nach, sie senkte die Augen und lehnte sich zurück. Die leuchtenden Blicke des Unbekannten ruhten noch immer in offenbarer Bewunderung auf ihr. Leonie wandte fast unmerklich den anmuthigen Kopf von ihm weg. Ihr Vater hatte sie nicht begleitet, nur Fräulein Pertold saß in der Loge neben ihr, und zu dieser neigte sie sich: Wer ist der junge Mann dort in der Loge? fragte sie. Aber die Gouvernante wußte es nicht.

      Der junge Mann dort links mit den schwarzen Augen, der soeben nach uns gesehen hat? sagte ein Bekannter ihres Vaters, der vor einigen Minuten in ihre Loge getreten war, indem er das Opernglas von den Augen nahm.

      Derselbe, versetzte Leonie, scheinbar mit der tiefsten Ruhe. Er kommt mir so bekannt vor, doch weiß ich nicht, wo ich ihn hinthun soll.

      Das kann ich Ihnen sagen: er ist ein Emigrirter von sehr vornehmer französischer Familie, der sich für den Augenblick hier aufhält.

      Ah so, meinte Leonie, so habe ich mich doch getäuscht. Derjenige, den ich meine, ist freilich auch ein Ausländer, aber ein armer junger Mann.

      Was das betrifft, so könnte es immer derselbe sein. Ich glaube nicht, daß er große Schätze aus Frankreich mitgebracht hat.

      Ich habe mich doch geirrt, er kann es nicht sein, sagte Leonie und wandte den ganzen Abend das Gesicht nicht mehr nach der Loge hin.

      Aber in ihrem Herzen war es nicht so still, und mit ihrer Aufmerksamkeit auf die Musik war es vorbei. Schon vor dem Ende des Stückes entfernte sie sich. Als sie durch den Gang hinter den Logen schritt, streifte ihr Kleid an den Fremden an; ein heißer Stich fuhr durch ihr Herz, doch sie ging vorüber, ohne aufzusehen, und zu Hause angekommen, schloß sie sich gleich in ihr Zimmer ein.

      Sie suchte den Eindruck los zu werden, der ihr so ungelegen gekommen war. Sie beschäftigte sich, räumte, kramte, Alles umsonst. Sie versuchte einen Brief fertig zu schreiben, der angefangen auf ihrem Tische lag, und mitten im Schreiben entfiel die Feder ihrer Hand, der Kopf sank auf das Papier; sie war im Theater, die Musik brauste, die Melodieen schmolzen in einander, süß, weich und verlockend, und der Blick des Unbekannten umwebte sie mit einem entnervenden Netz. Mit Gewalt riß sie sich los und nahm die Feder wieder auf, aber kein Gedanke wollte kommen, und sie schleuderte sie zornig weg. Hatte sie denn nicht mehr Gewalt über sich? Sie stand auf, sie stützte die Hand auf den Tisch und sah finster vor sich nieder.

      Ich bin mein eigener Herr, sagte sie zürnend und wie drohend dem Bild entgegentretend, das hartnäckig vor ihrem inneren Auge stand. Wer wird mich zwingen zu fühlen, was ich nicht fühlen will? Hinweg mit dieser Thorheit! mein Weg liegt klar von mir, und wer wird sagen, daß ich ihn nicht gehen soll? – Sie läutete ihrem Mädchen und ließ sich entkleiden, und welcher Art auch die Träume waren, die in dieser Nacht sie umschwebten, ihr Wille stand fest, es war der unbeugsame Wille, den sie von ihrer Mutter geerbt.

      Doch so leichten Kaufes sollte sie der Gefahr nicht entgehen. War es eine Warnung, die ihr der Himmel gab? Wohin sie ging, begegnete sie dem Fremden; es war, als führe eine unsichtbare Hand ihn ihr immer in den Weg. Er suchte sich ihr nicht zu nähern, nicht einmal sein Name wurde ihr genannt, und sie wich jeder Gelegenheit dazu mit Sorgfalt aus. Aber immer übten seine Blicke auf sie dieselbe magnetische Kraft aus, der sie sich nicht zu entringen wußte. Allein wir wissen es, Leonie war nicht diejenige, die sich durch solche Eingebungen leiten ließ, und der Empfindung, die sie nicht ganz ersticken konnte, trat sie entgegen mit einer Art von Haß.

      Da trat die Versuchung plötzlich von einer Seite an sie heran, wo sie am wenigsten darauf vorbereitet war.

      Auf einem Balle, den sie kurze Zeit nach ihrer Verlobung, noch immer unter Fräulein Pertoldʼs tugendhaftem Schutz, besuchte, hatte sie sich, um von dem Tanze auszuruhen, neben eine sogenannte Freundin gesetzt. Wir sagen „sogenannt“, denn Leonie war weit über das Bedürfniß nach einer Freundin hinaus.

      Von allen süßen Kleinigkeiten, die ein Mädchenherz ausfüllen, und die Eine der Anderen als wichtige Geheimnisse anzuvertrauen pflegt, hatte sie nie eine Ahnung gehabt, und hörte sie ja einmal davon, so war ein mitleidiges Lächeln ihre einzige Antwort darauf. Das reine Aufdämmern des Gefühles, das ahnungsvoll vor dem Geheimniß des Lebens stehend, nur nach einer Schwester zu begehren glaubt, um in Liebe zu dieser aufzugehen, war Leonien fremd geblieben, wie so manche andere Blüte der Jungfräulichkeit. Und wie sie keines Vertrauens bedurfte, so flößte sie auch keines ein, und sie stand einsam unter den Mädchen ihres Alters, deren Kreis, wenn sie sich ihm nahte, scheu vor ihr auseinander wich. Aber Marie von Lobenstein war die Tochter eines Mannes, der mit ihrem Vater zugleich in Frankreich gewesen war. Von ihm hatte Leonie gehört, daß sie die strahlenden Augen ihrer Mutter geerbt, und mehr von dieser Mutter zu erfahren, war der Grund, warum sie sich näher an seine Tochter schloß. Aber sei es, daß der Baron geheime Instructionen von Leonieʼs Vater erhalten, sei es, daß er ihr vorsichtiges Ausforschen nicht verstand, der verpönte Name kam nicht mehr aus seinem Munde. Das junge Mädchen hatte er indessen zu seinem besonderen Lieblinge gemacht. All ihre kleinen Liebenswürdigkeiten, Schmeicheleien (chatteries, wie die Franzosen sagen), die so sehr dem unwiderstehlich reizenden Getändel eines lieblichen Kindes gleichen, gewannen ihm ihr Herz im Siegesschritt. Das ist ein Wettermädel, pflegte er zu sagen; die könnte ein Regiment um den Finger drehen, und ihren Mann wird sie unter dem Pantoffel haben, daß er nicht wissen wird, wie ihm geschieht.

      Dieses Urtheil, das so gründlich zutraf, wie er es gar nicht dachte, störte ihn in seiner Vorliebe keineswegs, und es schmeichelte ihm, daß Leonie seine Tochter all ihren anderen Gefährtinnen vorzog. Marie selbst bewunderte ihre Freundin in einfacher Aufrichtigkeit und sprach es bei jeder Gelegenheit sehr ruhig und unumwunden aus. Sie war überhaupt ein einfaches, natürliches Wesen, diese Marie, offenbar ohne jede Koketterie, denn sie selbst war es jetzt gewesen, die ihre Freundin herangewinkt, obgleich sie in ihrem reichen Ballschmucke, dem die deutsche Mutterliebe alles mögliche Schöne aufgehängt, sich nicht zu ihrem Vortheil neben Leonieʼs duftigem weißem Gewande ausnahm, an dem nur hie und da eine Blumenknospe sich schüchtern wie die Trägerin aus dem anmuthigen Faltenwurfe hervorzustehlen schien. Doch war sie schön, viel schöner für die Menge als Leonie, frisch und blühend, mit dunklem Haar und wolkenlosen braunen Augen, die offen und verständig in die schöne Welt ihrer achtzehn Jahre hinaussahen.

      Mit wem spricht dein Vater dort? sagte Leonie plötzlich mit bebender Stimme zu Marie, deren. Aufmerksamkeit auf einen anderen Punkt gerichtet war.

      O, versetzte diese, nachdem ihr Blick der Richtung von Leonieʼs Augen nach dem fernen Winkel des Saales gefolgt, wo ihr Vater mit einem jungen Manne sprach, der von ihnen abgewendet stand: das ist ein Emigrirter. Mein Vater hat seine Mutter in Frankreich gekannt, und er schwärmt noch immer für sie. Vor einigen Tagen erfuhr er, der Sohn befinde sich hier. Sogleich hat er ihn aufgesucht und ihn auch in Beschlag genommen, der alten Freundschaft zulieb. Seine Mutter muß wirklich eine vortreffliche Frau gewesen sein, und auch der Sohn ist ein ganz liebenswürdiger Mensch.

      So? sagte Leonie.

      Ja, und gut. Du kannst dir gar nicht denken, wie er diese Mutter liebt! Wäre es nicht rührend und schön, es könnte langweilig sein. Er hat auch nur sie gehabt, denn er war noch ein Kind, als sein Vater sich erschoß. O, es ist romantisch! Soll ich ihn rufen, damit du dir ihn ansehen kannst?

      Ich? rief Leonie mit einem Tone so wahren Entsetzens, daß Marie sie überrascht ansah.

      Worüber


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