Verheirathet. Hermine Wild
Einschneiden seiner Bande ihm die Fähigkeit dazu ließe.
Walter glaubte nicht, daß Melazzo es auf seinen Tod abgesehen – und doch – wenn es kein anderes Mittel zur Rettung gab, als eines, das offenbar der Wahnsinn erfunden hatte – Walter’s Seele bäumte sich schaudernd auf bei dem Gedanken. Sollte er ein Weib aus dieser blutgetränkten Hand empfangen, dann dünkte ihm selbst der Tod eine Erlösung.
Allein der Tod ist kein Gast, den man mit offenen Armen und lächelnder Lippe zu empfangen pflegt, und Walter hatte so Vieles, was ihm das Leben theuer machte: eine segensreiche Wirksamkeit, den Ruhm des Gelehrten, und vor Allem die Heimath, von der er jetzt erst fühlte, wie stark sie seine Seele fesselte.
Sie war ihm kein Paradies gewesen, diese Heimath, denn Walter war armer Leute Kind und hatte sich durchkämpfen müssen durch des Lebens Noth – es war ihm gelungen – und wie Vieles enthielt diese Heimath nicht sonst noch, wie Vieles, das ihm theuer war! Der letzte Brief, den er der Mutter geschrieben, er sollte nun der letzte bleiben für alle Ewigkeit.
Walter stöhnte auf im grimmen unaussprechlichen Schmerze. Und dazwischen kamen immer wieder die körperliche Leiden und steigerten sich zur unerträglichen Qual. Er konnte nicht schreien; denn der Knebel riß seinen Mund aus einander und drückte ihm die ausgedörrte Zunge gegen den trockenen, brennenden Gaumen – ach! und er hätte Alles gegeben, was er auf Erden besaß, für einen einzigen labenden Trunk.
Endlich nahm die fieberhafte Betäubung immer mehr überhand und versenkte ihn in einen Zustand halber Vergessenheit. Da weckte ihn ein Geräusch, das vor dem Verschlage entstand. Die eiserne Stange wurde von der Thür weggenommen; diese öffnete sich; Licht drang herein, und Melazzo erschien auf der Schwelle. Ein junger Neger hinter ihm trug eine Fackel, die er, vortretend, an der Mauer in eine rohe Klammer befestigte; dann bückte er sich zu dem Gefangenen nieder, löste den Knebel aus seinem Munde und rückte ihn in sitzende Stellung, worauf er sich schweigend entfernte.
Melazzo hatte dem ganzen Vorgehen stumm mit verschränkten Armen zugesehen; nun trat auch er vor, stieß mit dem Fuße einen großen Holzblock in die gehörige Lage und setzte sich nieder. Dann zog er mit Gelassenheit ein höchst zierlich gearbeitetes silbernes Etui hervor, das schwerlich auf gesetzlichem Wege in seinen Besitz gelangt war, entnahm ihm einige Cigaretten und begann mit größter Gemüthsruhe zu rauchen, indem er dabei mit offenbarer Befriedigung seinen Gefangenen betrachtete.
Walter wandte die Augen weg, um sich den verhaßten Anblick zu ersparen. Melazzo rauchte unbekümmert weiter. Endlich hatte er seine Cigaretten zu Ende geraucht, und Walter fühlte, daß nach der Komödie jetzt der Ernst sich geltend machen werde.
»Ihr seht, daß ich Wort zu halten weiß – wir sehen uns wieder,« eröffnete Melazzo das Gespräch. »Könnt Ihr nicht sprechen, oder habt Ihr mir nichts zu sagen?« fuhr er fort, da der Deutsche schwieg.
»Was soll ich sagen? Wir sehen uns wieder – das Wie und Warum und die Folgen, welche dieses Wiedersehen haben wird, mögt Ihr vor Eurem Gewissen verantworten.«
Der Mulatte zuckte die Achseln.
»Das Warum habt Ihr vorhin gehört,« sagte er ruhig.
»Ich habe Euch nicht verrathen.«
»Ich weiß es.«
»Und doch behandelt Ihr mich wie einen überwiesenen Verbrecher?«
»Könnt Ihr meinen Leuten beweisen, daß Ihr unschuldig seid?«
»Ich nicht, aber Ihr. Sprecht vernünftig mit diesen Menschen, und sie werden Euch glauben.«
»Lenkt man wüthende Massen durch die Stimme der Vernunft? Nur der gesättigte Tiger hört auf den Befehl seines Wärters.«
»Und das ist Eure Gerechtigkeit?« stöhnte Walter auf.
»Was haben wir mit der Gerechtigkeit zu thun? Wird die Natur durch Gerechtigkeit beherrscht? Wenn der Orkan die Palme fällt, ist es die Gerechtigkeit, die ihren Schaft zerknickt?«
»Nein – aber Ihr wißt es, daß ich unschuldig bin.«
»Auch die Antilope ist unschuldig, und doch trifft sie das Blei des Jägers.«
Er schwieg und eine Weile ruhte sein Blick wie in tiefen finsteren Gedanken auf dem Gefangenen.
»Wo so viele Schuldige straflos durchkommen,« fuhr er dann ruhig fort, »was liegt daran, ob ein Schuldloser zu Grunde geht? Denkt an die Generationen farbigen Blutes, die, durch Eures Gleichen von ihrem natürlichen Boden gerissen, in der Fremde unter Martern lebten, unter Martern starben und Alle, Alle in Verzweiflung hinüber gingen, und dann beklagt Euch, daß Euer Loos ein zu hartes ist! – Nein, Ihr müßt sterben, wenn ich Euch nicht rette – und dazu giebt es nur einen Weg: Ihr müßt das Mädchen heirathen, für das ich Euch bestimmt —«
»Niemals!« rief Walter verzweifelnd.
»Ihr müßt sie heirathen, oder morgen hängt Ihr als Leiche an einem der nächsten Bäume – das ist die mildeste Todesart, die ich Euch versprechen kann.«
»In Gottes Namen!« rief Walter mit einer Art zorniger Ergebung. »Wollt Ihr mich morden, so macht es wenigstens kurz!«
»Hört mich an: das Mädchen ist jung, schön, reich, wohlerzogen, von guter Familie. Hunderte werden Euch beneiden.« Und er setzte mit cynischer Ironie hinzu: »Sie hat sogar die Ehre, mit mir verwandt zu sein.«
Walter schauderte, und unwillkürlich schloß er die Augen, als könne er es dadurch ermöglichen, sie nicht einmal in Gedanken zu sehen. Dann besann er sich.
»Wenn sie das alles ist, warum heirathet Ihr sie nicht selbst?« fragte er rasch.
»Es war auch meine Absicht, allein sie will mich nicht. – Ja,« wiederholte er und sah an seiner stattlichen Gestalt hinunter, als könne er solche Verblendung nicht begreifen, »sie will mich nicht. Sie hat erklärt, lieber, als noch einmal von einer Heirath mit mir auch nur zu hören, werde sie sich das Leben nehmen, und der kleine Satan,« setzte er mit einer Art grimmig verbissenen Lachens hinzu, »ist wirklich im Stande, es zu thun. – Uebrigens habe ich mich inzwischen verheirathet. Folgt meinem Beispiel und entscheidet Euch schnell! Die Zeit ist kurz.«
»Aber großer Gott, ich kann einmal nicht heirathen!« rief Walter außer sich. »Es ist nicht meine Schuld – ich hege eben eine unüberwindliche Abneigung gegen die Ehe, und mein Beruf —«
»Nun, Ihr müßt es ja wissen, ob Ihr lieber hängen wollt,« unterbrach ihn Melazzo trocken.
»Bedenkt, daß meine Regierung, daß die amerikanische Regierung, daß General Grant, dem Ihr dient, niemals ein solches Verfahren dulden würden! Bedenkt, daß sie einen Mord, der an einem friedlichen Reisenden und obendrein an einem Vertreter der Wissenschaft begangen wird, ahnden werden!«
»Und was kümmert das mich?« rief Melazzo dagegen. »Was vermögen sie überhaupt in diesen Wäldern gegen mich? Wo der Löwe brüllt, muß selbst der Tiger weichen; wo Melazzo steht, da kann kein Anderer Gebieter neben ihm sein.«
»Wird es immer so bleiben? Werdet Ihr nie die Wälder verlassen?«
»Nicht mit mir hat es die Regierung zu thun,« entgegnete ruhig der Mulatte. »Nicht mein Opfer seid Ihr – merkt es Euch! – sondern das meiner Leute, die in Euch den Spion der Secessionisten sehen. Ihr wehrt Euch umsonst, und der Tod ist Euch gewiß, wenn Ihr nicht meinen Willen thut. Aber ich hasse Euch nicht; ob Ihr lebt oder sterbt, was kümmert es mich? Meiner Rache fallen der Opfer genug; ich brauche Euch nicht dazu, und selbst in dem, was ich von Euch fordere, habe ich es nicht auf Euer Unglück abgesehen. Meine Lebensschicksale mögen Euch meine Handlungsweise erklären. Ich bin der Sohn eines Weißen und einer seiner Sclavinnen. Ich hatte einen liebevollen Vater, aber dafür hegte der Bruder desselben eine um so unbegrenztere Antipathie gegen den farbigen Bastard-Neffen, und manche Strafe und Demüthigung, die meine Jugend traf, danke ich ihm. Er that mehr – er, dieser Onkel —« die Augen des Mulatten glühten und seine Fäuste ballten sich – »er hat nach meines Vaters plötzlichem Tode meine Mutter weit hinein in die Union verkauft und unserer Beider Freibrief aus dem Nachlasse verbrannt. Er war ja Vormund für meinen saubern Halbbruder, dem die Erbschaft zufiel, und dieses Brüderchen –