Der Page des Herzogs von Savoyen. Александр Дюма
trägt, als es die Mode verlangt, wahrscheinlich um die weichen Lockenwellen nicht zu verlieren, die ihm die Natur gegeben hat.
Der Zweite ist ein Mann von kaum sechsunddreißig Jahren, sein Gesicht aber von Narben nach allen Richtungen hin so durchzogen, daß man darnach unmöglich sein Alter bestimmen könnte. Der Arm und ein Theil der Brust ist bloß und auf dem was man so von seinem Körper sieht, kann man eine Reihe nicht minder zahlreicher Narben erkennen als in dem Gesicht. Er ist eben beschäftigt, eine Wunde zu verbinden, die ihm zum Theil den zweiköpfigen Muskel am linken Arme bloßgelegt hat, die aber für ihn nicht eben hinderlich ist, wie sie es seyn würde, wenn sie sich an dem rechten Arme befände. Mit den Zähnen hält er das Ende einer Leinwandbinde, mit der er eine Hand voll Charpie zusammendrückt, die er vorher in einem Balsam getränkt hat, den ihm ein Zigeuner gab und der ihm, wie er sagt, sehr gut thut. Uebrigens geht kein Klagelaut aus seinem Munde und er scheint gegen Schmerz so unempfindlich zu seyn, als wenn der Arm, mit dessen Heilung er sich beschäftigt, von Holz wäre.
Der Dritte ist ein Mann von vierzig Jahren, groß und hager, mit blassem Gesicht und frommer Haltung. Er kniet in einem Winkel, hat den Rosenkranz in der Hand und sagt mit nur ihm eigenthümlicher Zungenfertigkeit ein Dutzend Paternoster und ein Dutzend Ave her. Von Zeit zu Zeit läßt seine rechte Hand den Rosenkranz los und klingt auf der Brust wie der Schlägel des Böttchers auf einem leeren Fasse, nachdem er aber zwei- oder dreimal mea culpa gesprochen hat, greift er wieder nach dem Rosenkranze.
Die drei noch übrigen Personen haben, Gott sey Dank, keinen so hervortretenden Charakter als die fünf, welche wir den Lesern bereits vorgeführt haben.
Einer dieser letzten Drei stemmte beide Hände auf den Tisch, an welchem der Schreiber arbeitete, folgte jedem Zuge der Feder und macht die meisten Bemerkungen über die Abfassung; auch sind seine Bemerkungen, wenn auch etwas egoistisch gefärbt, fast alle durch Schlauheit und gesunden Verstand ausgezeichnet. Er ist fünfundvierzig Jahre alt und hat kleine kluge Augen, die tief unter blonden dicken Brauen liegen.
Ein Anderer liegt am Boden; er hat einen Stein gefunden, der zum Wetzen der Schwerter und Dolche dienen kann, und benutzt dies, um mit Aufwand von vielem Speichel und durch vielfaches Reihen auf dem Steine eine neue Spitze an seinen ganz stumpfen Dolch zu machen. Seine Zunge, die er fest zwischen den Zähnen hält und die am Mundwinkel heraussteht, verräth die große Aufmerksamkeit, wir möchten fast sagen das Interesse, das er an seiner Arbeit nimmt. Indeß ist seine Aufmerksamkeit nicht ausschließlich darauf gerichtet; er hört auch auf die Erörterung. Wenn das Schreiben seinen Beifall hat, so begnügt er sich mit dem Kopfe zu nicken; wenn es dagegen gegen seine Erwartung und Berechnung ausfällt, steht er auf, tritt zu dem Schreiber, weiset mit der Spitze seines Dolches auf das Papier und sagt; »mit Verlaub,… Ihr sagt?… « Den Dolch nimmt er nicht eher hinweg, bis er eine vollkommen befriedigende Auskunft erhalten hat, was er durch reichlicheres Ausspucken auf den Stein und eifrigeres Wetzen des Dolches zu erkennen gibt, der denn wirklich auch bald seine ursprüngliche spitze Form wieder zu erhalten scheint.
Der Letzte – und wir erkennen unser Unrecht, daß wir ihn zu Jenen gerechnet haben, welche sich mit den in Frage stehenden materiellen Interessen beschäftigen sollen – der Letzte lehnt an der Wand der Höhle, läßt die Arme herabhängen, sieht nach dem Himmel oder vielmehr nach der dunklen feuchten Höhlenwölbung hinauf, an welcher das flackernde Licht spielt, und sieht aus wie ein Träumer und Dichter. Was sucht er in diesem Augenblicke? Die Lösung eines Problems gleich dem, welches Christoph Columbus und Galilei gelöst hatten? Die Form einer der Terzinen, wie sie Dante schrieb, oder der Octaven wie sie Tasso sang? Das würde nur der Geist sagen können, der in ihm wacht und so wenig sich um das Materielle kümmert, daß er alles an dem Anzuge des Dichters, was nicht von Eisen, Stahl oder Kupfer ist, in Fetzen zerfallen läßt.
Das sind die wohl oder übel gezeichneten Porträts. Sehen wir nun die Namen darunter.
Der welcher die Feder führt, heißt Procop; er ist Normanne von Geburt und seiner Bildung nach fast Jurist; er spickt seine Reden mit Aussprüchen des römischen Rechtes und Aphorismen aus den Capitularien Carl des Großen. Sobald man aber etwas Schriftliches von ihm hat oder ihm gibt, muß man auf einen Prozeß gefaßt seyn; begnügt man sich mit seinem Worte, so findet man es treu wie Gold, nur stimmt die Art, es zu halten, nicht immer mit der gewöhnlichen Moral überein. Nur ein Beispiel davon und zwar das, welches ihn in das Abenteuerleben getrieben hatte, in welchem wir ihn finden. Ein Herr vom Hofe Franz I. hatte eines Tages ihm und dreien seiner Genossen ein Geschäft angetragen; er wußte, daß der königliche Schatzmeister denselben Abend tausend Goldthaler aus dem Arsenale nach dem Louvre bringen sollte. Das Geschäft bestand nun darin, den Schatzmeister an der Ecke der Straße St. Paul anzuhalten, ihm die tausend Goldthaler abzunehmen und sie so zu theilen, daß fünfhundert der vornehme Herr erhalte, welcher auf dem Königsplatze warten wollte, bis die Sache geschehen seyn würde, und eben als vornehmer Herr die Hälfte der Summe verlangte; die andere Hälfte sollte Procop mit seinen drei Gefährten theilen. Man gab einander gegenseitig das Wort und die Sache geschah, wie verabredet. Als aber der Schatzmeister beraubt, erschlagen und in den Fluß geworfen war, machten die Gefährten Procops den Vorschlag, nach der Notre-Dame zu statt nach dem Königsplatze zu gehen und die tausend Goldthaler zu behalten, statt die Hälfte an den großen Herrn abzugeben. Procop erinnerte sie an ihr Wort.
»Meine Herren,« sagte er ernsthaft, »Ihr vergesset, daß dies ein Bruch des Vertrages, eine Uebervortheilung eines Clienten wäre. Ehrlich währt am längsten. Wir wollen dem Herzoge (der vornehme Herr war ein Herzog) die fünfhundert Goldthaler übergeben, die ihm zukommen, so daß nicht einer fehle, aber,« fuhr er fort als er bemerkte, daß der Vorschlag mißbilligendes Gemurmel veranlaßte, »distinguimus; sobald er das Geld eingesteckt und uns für ehrliche Leute anerkannt hat, steht nichts entgegen, daß wir uns am Johannesgottesacker, an dem er vorüber muß, in Hinterhalt legen; es ist dies ein abgelegener und ganz passender Ort. Wir machen es dann mit dem Herzoge, wie wir es mit dem Schatzmeister gemacht haben, und da der Gottesacker gar nicht weit von der Seine entfernt ist, so kann man morgen Beide in den Netzen zu St. Clous finden. Wir bekommen dann ein jeder zweihundertfünfzig Goldthaler, über die wir ohne Gewissensbisse verfügen können, da wir dem guten Herzoge getreulich das Wort gehalten haben.«
Der Vorschlag wurde mit Begeisterung, angenommen und ausgeführt. Nur bemerkten die vier Verbündeten in ihrem Eifer nicht, daß der Herzog noch lebte, als sie ihn in den Fluß warfen; die Kühle in demselben gab ihm aber seine Kraft wieder, er gelangte an das Ufer, begab sich in das Châtelet und gab dem Prévot von Paris, der damals Herr von Estourville hieß, eine so genaue Beschreibung der vier Banditen, daß dieselben es am andern Morgen schon für gerathen hielten,Paris zu verlassen, um einem Prozesse zu entgehen, in welchem sie trotz der tiefen Rechtskenntnissen Procops recht wohl dasjenige verlieren konnten, auf welches man immer großen Werth legt, nemlich das Leben.
Unsere vier Helden hatten demnach Paris verlassen und sich nach verschiedenen Gegenden gewendet. Der Norden war unserem Procop zugefallen und deshalb haben wir das Glück , ihn mit der Feder in der Hand in der Höhle zu finden, wo er, nach der Wahl seiner neuen Genossen, die seine Verdienste anerkannten, das wichtige Schriftstück abfaßte, mit dem wir uns sogleich zu beschäftigen haben werden.
Der, welcher dem Schreibenden leuchtet, heißt Heinrich Scharfenstein und ist ein Anhänger Luther’s, welchen das üble Verfahren Carls V. gegen die Hugenotten in die Reihen, des französischen Heeres getrieben hat und zwar sogleich mit seinem Neffen Franz Scharfenstein, welcher in diesem Augenblicke draußen Wache hält. Sie sind zwei Riesen, die, könnte man sagen, Eine Seele bewegt und Ein Geist leitet. Viele behaupten, dieser Eine Geist genüge nicht für zwei so riesige Körper, sie selbst aber sind dieser Meinung nicht und finden Alles so wie es ist gut. In dem gewöhnlichen Leben halten sie es meist unter ihrer Würde, irgend eine Hilfe von Menschen, ein Werkzeug, in Anspruch zu nehmen, um ihren Zweck zu erreichen. Handelt es sich darum, irgend eine Masse zu bewegen, so sinnen sie nicht nach wie unsere neuen Gelehrten, durch welche Mittel Cleopatra ihre Schiffe aus dem Mittelmeere in das rothe Meer brachte oder mit welchen Maschinen Titus die riesigen Blöcke des Flavianischen Circus emporhob, sondern sie packen einfach den zu beseitigenden Gegenstand mit ihren Armen, bringen ihre Eisenfinger unauflöslich in einander, machen gleichzeitig eine Anstrengung mit jener Regelmäßigkeit, die alle ihre Bewegungen auszeichnet,