Die Fünf und Vierzig. Александр Дюма
sich meine Schritte, als wir das Stadthaus verließen, ganz natürlich nach dieser Seite; jeden Tag, sagte ich, gehe ich in diese Straße, ich verberge mich an der Ecke eines Hauses dem ihrigen gegenüber, unter einem Balcon, dessen Schatten mich gänzlich umhüllt; einmal unter zehnmal sehe ich Licht in dem Zimmer, das sie bewohnt; dort ist mein Leben, dort ist mein Glück!«
»Welch ein Glück!« rief Joyeuse.
»Ach! ich verliere es, wenn ich ein anderes zu erlangen wünsche.«
»Aber wenn Du Dich mit dieser Resignation zu Grunde richtest?«
»Mein Bruder,« sprach Henri mit einem traurigen Lächeln, »was willst Du? ich fühle mich so glücklich.«
»Das ist unmöglich.«
»Das Glück ist immer beziehungsweise; ich weiß, daß sie dort ist, daß sie dort lebt, daß sie dort athmet; ich sehe sie durch die Mauer, oder es kommt mir vielmehr vor, als erblickte ich sie; wenn sie dieses Haus verließe, wenn ich abermals vierzehn Tage zubrächte, wie die, welche ich zubrachte, als ich sie verloren hatte, so würde ich ein Narr, mein Bruder, oder ich ginge in ein Kloster, um Mönch zu werden.«
»Nein, bei Gott! es ist schon genug mit einem Narren und einem Mönch in der Familie; bleiben wir hierbei, mein theurer Freund.«
»Keine Bemerkungen, Anne, keinen Spott; die Bemerkungen wären unnütz, der Spott würde nichts bewirken.«
»Wer spricht von Bemerkungen und Spott?«
»Schon gut. Doch…«
»Laß mich Dir nur Eines sagen.«
»Was?«
»Du hast Dich benommen wie ein Freischüler.«
»Ich habe weder Combinationen, noch Berechnungen gemacht, ich habe mich nicht benommen, ich habe mich einer Sache hingegeben, welche stärker war als ich. Wenn ein Strom uns fortreißt, ist es besser, ihm zu folgen, als dagegen zu kämpfen.«
»Und wenn er zu einem Abgrund führt?«
»So muß man versinken, mein Bruder.«
»Das ist Deine Ansicht?«
»Ja.«
»Es ist nicht die meinige, und an Deiner Stelle…«
»Was hättest Du gethan, Anne?«
»Gewiß genug um ihren Namen, ihr Alter zu erfahren, an Deiner Stelle…«
»Anne, Anne, Du kennst sie nicht.«
»Nein, aber ich kenne Dich. Wie, Henri, Du hattest fünfzig tausend Thaler, die ich Dir von den hundertausend gegeben, welche mir der König an seinem Namenstage zum Geschenk machte.«
»Sie sind noch in meiner Kasse, Anne, nicht einer fehlt.«
»Gottes Tod! desto schlimmer. Lägen sie nicht mehr in Deiner Kasse, so wäre die Frau in Deinem Alkoven.«
»Oh! mein Bruder.«
»Es gibt kein oh! mein Bruder, ein gewöhnlicher Diener verkauft sich für zehn Thaler, ein guter für hundert, ein vortrefflicher für tausend, ein wunderbarer für drei tausend. Nehmen wir nun einen Phönix von einem Diener an, träumen wir von einem Gott der Treue, und mit zwanzig tausend Thalern gehört er beim Papst! Dir… es blieben Dir somit hundert und dreißig tausend Livres um den durch den Phönix der Diener ausgelieferten Phönix der Frauen zu bezahlen. Henri mein Freund, Du bist einfältig.«
»Anne,« erwiederte Henri seufzend, »es gibt Leute, die sich nicht verkaufen; es gibt Herzen, die ein König sogar zu bestechen nicht reich genug ist.«
Joyeuse besänftigte sich.
»Nun wohl! ich pflichte dem bei,« sagte er, »aber es finden sich keine, die sich nicht ergeben.«
»Das mag sein.«
»Nun was hast Du gethan, daß sich das Herz dieser schönen Unempfindlichen sich Dir ergebe?«
»Ich lebe der Ueberzeugung, Anne, daß ich Alles gethan habe, was ich thun konnte.«
»Graf du Bouchage, Ihr seid ein Narr. Ihr seht eine traurige, verschlossene, weinende Frau, und Ihr macht Euch trauriger, verschlossener, seufzender, das heißt schwerfälliger, als sie selbst ist. In der That, Ihr sprecht auf eine sehr gewöhnliche Manier von der Liebe und Ihr seid alltäglicher als ein Viertelsmeister. Sie ist allein, leistet ihr Gesellschaft; sie ist traurig, seid heiter; sie beklagt, tröstet sie und ersetzt.«
»Unmöglich, mein Bruder!«
»Hast Du es versucht?«
»Warum dies?«
»Bei Gott! und wäre es nur, um es zu versuchen. Du bist verliebt, sagst Du?«
»Ich kenne keine Worte, um meine Liebe auszudrücken.«
»Wohl in vierzehn Tagen sollst Du Deine Geliebte haben.«
»Mein Bruder.«
»So wahr ich Joyeuse heiße. Ich denke, Du bist nicht hoffnungslos?«
»Nein, denn ich habe nie gehofft.«
»Um welche Stunde siehst Du sie?«
»Um welche Stunde?«
»Allerdings.«
»Ich habe Dir gesagt, daß ich sie nicht sehe, mein Bruder.«
»Nie?«
»Nie.«
»Nicht einmal an ihrem Fenster.«
»Nicht einmal ihren Schatten, sage ich Dir.«
»Das muß endigen. Sprich, hat sie einen Liebhaber?«
»Mit Ausnahme des Remy, von dem ich Dir gesprochen, habe ich nie einen Mann in ihr Haus eintreten sehen.«
»Wie ist das Haus beschaffen?«
»Zwei Stockwerke, kleine Thüre über einer Stufe, Terrasse oberhalb des zweiten Fensters.«
»Kann man nicht über diese Terrasse hineinkommen?«
»Sie ist von den anderen Häusern abgesondert.«
»Und was ist gegenüber?«
»Ein anderes, beinahe ähnliches Haus, obgleich etwas höher, wie mir scheint.«
»Von wem wird dieses Haus bewohnt?«
»Von einem Bürger.«
»Von böser oder guter Laune?«
»Von guter, denn ich höre ihn zuweilen ganz allein lachen.«
»Kaufe ihm sein Haus ab.«
»Wer sagt Dir, daß es verkäuflich ist?«
»Biete ihm das Doppelte von seinem Werthe.«
»Und wenn mich die Dame dort sieht?«
»Nun!«
»So wird sie abermals verschwinden, während ich, meine Gegenwart verbergend, sie früher oder später wiederzusehen hoffe.«
»Du wirst sie diesen Abend sehen.«
»Ich?«
»Stelle Dich um acht Uhr unter ihren Balkon.«
»Ich werde dort sein, wie ich es alle Tage bin, aber ohne mehr Hoffnung, als an den anderen Tagen.«
»Doch sage mir die Adresse ganz genau.«
»Zwischen der Porte Bussy und dem Hotel Saint-Denis, beinahe an der Ecke der Rue des Augustins, zwanzig Schritte von einem großen Gasthof mit dem Schilde: Zum Schwerte des kühnen Ritters.«
»Sehr gut, um acht Uhr diesen Abend.«
»Aber was willst Du machen??«
»Du wirst es sehen, Du wirst es hören. Mittlerweile kehre nach Hause zurück, lege Deine schönsten Kleider an, nimm Deine reichsten Juwelen, gieße auf Deine Haare Deine feinsten Essenzen: diesen Abend kommst Du in die Festung.«
»Gott höre Dich, mein Bruder.«
»Henri, wenn Gott taub ist, so ist es der Teufel nicht…