Die beiden Dianen. Александр Дюма
daß sie ihm die Gewalt in einer verzweiflungsvollen Lage anvertraut hat.«
»Sagt gefahrvoll, sagt nicht verzweifelt,« entgegnete der König. »Meine gute Stadt Saint-Quentin und ihr braver Vertheidiger, Herr von Coligny, halten sich noch.«
»Oder hielten sich wenigstens noch vor zwei Tagen,« entgegnete Carl von Lothringen. »Aber die Festungswerke waren in einem erbärmlichen Zustand, die ausgehungerten Einwohner sprachen von Uebergabe, und ist Saint-Quentin heute in der Gewalt des Spaniers, so gehört ihm Paris in acht Tagen. Gleichviel, Sire, ich werde an meinen Bruder schreiben, und Ihr wißt, was einem Menschen möglich ist, wird Herr von Guise thun.«
Gabriel war ganz nachdenkend im Hintergrund geblieben, ohne bemerkt zu werden. Sein junges, edles Herz war tief bewegt von der furchtbaren Bedrängniß, welche Frankreich gefährdete, er vergaß, daß es Herr von Montmorency, sein grausamster Feind, war, den man besiegt, verwundet und gefangen genommen hatte. Er sah für den Augenblick in ihm nur den General der französischen Truppen, und dachte beinahe eben so sehr an die Gefahren des Vaterlands, als an die Schmerzen seines Vaters. Das edle Kind hatte Liebe für alle Gefühle und Mitleid für jedes Unglück, und als der König, nachdem der Cardinal hinausgegangen, trostlos in seinen Lehnstuhl zurückfiel und, die Stirne in seinen Händen, ausrief:
»O Saint-Quentin, auf dir beruht nun das Schicksal Frankreichs. Saint-Quentin, meine gute Stadt, wenn du nur noch acht Tage Widerstand zu leisten vermöchtest! Herr von Guise hätte Zeit zurückzukehren die Vertheidigung ließe sich hinter deinen treuen Mauern organisieren! Während, wenn sie fallen, der Feind gegen Paris marschiert und Alles verloren ist. Saint-Quentin, ich gäbe dir für jede deiner Stunden des Widerstands ein Privilegium, und für jeden deiner eingestürzten Steine einen Diamant, wenn du nur noch acht Tage widerstehen könntest!«
»Sire, es wird widerstehen, und zwar mehr als acht Tage,« sprach Gabriel vorschreitend.
Er hatte seinen Entschluß gefaßt, einen erhabenen Entschluß!
»Herr d’Ermès!« riefen gleichzeitig Heinrich und Diana, der König mit Erstaunen, Diana mit Verachtung.
»Wie kommt Ihr hierher, mein Herr?« fragte der König mit strengem Tone.
»Sire, ich bin mit Seiner Eminenz eingetreten.«
»Das ist etwas Anderes,« versetzte Heinrich. »Doch was sagtet Ihr, Herr d’Ermès? Ich glaube, Saint-Quentin könnte widerstehen?!«
»Ja, Sire, und Ihr sagtet, wenn es widerstände so würdet Ihr ihm Freiheiten und Reichthümer geben.«
»Ich wiederhole es,« sprach der König.
»Wohl, Sire, würdet Ihr das, was Ihr der Stadt, die sich vertheidigte, zu bewilligen geneigt seid, dem Mann verweigern, der sie zur Vertheidigung bewegen, der der ganzen Stadt seinen energischen Willen einflößen und sie nicht eher übergeben würde, als bis der letzte Mauerflügel unter der feindlichen Kanone gefallen wäre? Würdet Ihr den Mann, der Euch diese acht Tage des Widerstandes und folglich Euer Königreich gegeben hätte, auf die Gnade, die er von Euch forderte, warten lassen? würdet Ihr um eine Gnade mit demjenigen feilschen, welcher Euch ein Reich zurückgegeben hätte?«
»Nein, gewiß nicht!« rief der König, »Alles, was ein König vermag, würde dieser Mann bekommen.«
»Der Handel ist abgeschlossen, Sire, denn ein König kann nicht nur, er muß verzeihen, und dieser Mann verlangt von Euch eine Verzeihung, und keine Titel, kein Geld.«
»Aber wo ist er? Wer ist dieser Retter?« fragte der König.
»Er steht vor Euch, Sire. Ich bin es, Euer einfacher Kapitän der Leibwachen; doch ich fühle in meiner Seele und in meinem Arm eine übermenschliche Kraft und werde Euch beweisen, daß ich nicht prahle, wenn ich mich anheischig mache, zugleich mein Vaterland und meinen Vater zu retten.«
»Euren Vater, Herr d’Ermès?«
»Ich heiße nicht d’Ermès,« sprach Gabriel, »ich bin Gabriel von Montgommery, der Sohn des Grafen Jacques von Montgommery, dessen Ihr Euch erinnert, Sire.«
»Der Sohn des Grafen von Montgommery!« rief der König indem er sich erbleichend erhob.
Frau Diana rückte auf ihrem Stuhl mit einer Bewegung des Schreckens zurück.
»Ja, Sire,« sprach Gabriel ruhig, »ich bin der Vicomte von Montgommery, der für den Dienst, den er Euch dadurch leisten wird, daß er Saint-Quentin acht Tage lang behauptet, nur die Freiheit seines Vaters von Euch verlangt.«
»Euer Vater, mein Herr,« sagte der König, »ist todt, verschwunden, was weiß ich? Ich weiß nicht, wo Euer Vater ist.«
»Doch ich, Sire, ich weiß es,« versetzte Gabriel eine furchtbare Angst überwindend. »Mein Vater ist seit achtzehn Jahren im Châtelet und erwartet dort den göttlichen Tod oder das menschliche Mitleid. Mein Vater lebt, dessen bin ich sicher. Sein Verbrechen ist mir nicht bekannt.«
»Es ist Euch nicht bekannt?« fragte der König düster und die Stirne faltend.
»Es ist mir nicht bekannt, Sire, sein Vergehen muß schwer sein, daß es eine so lange Gefangenschaft verdient hat, doch es ist nicht unverzeihlich, da es nicht den Tod verdiente. Sire, hört mich. In achtzehn Jahren hat die Gerechtigkeit Zeit gehabt, zu entschlummern, und die Milde, zu erwachen. Die menschlichen Leidenschaften, die uns böse oder gut machen, widerstehen einer so langen Dauer nicht. Mein Vater, der als Mann in den Kerker gekommen ist, wird ihn als Greis verlassen. Hat er nicht gesühnt, so schuldig er auch sein mag? Und wenn die Strafe zufällig zu hart war, ist er nicht zu schwach, um sich zu erinnern? Sire, gebt einen armen Gefangenen, der fortan ohne Gewicht ist, dem Leben zurück. Christlicher König, erinnert Euch der Worte des christlichen Symbols und verzeiht die Schuld Anderer, damit Euch die Eurige verziehen werde.«
Diese letzten Worte wurden mit einem so bezeichnenden Ton gesprochen, daß der König und Frau von Valentinois sich anschauten, als wollten sie voll Schrecken eine Frage an einander richten.
Doch Gabriel wollte nur auf eine zarte Weise den schmerzlichen Punkt ihres Gewissens berühren, und er fügte eiligst bei:
»Bemerkt, Sire, daß ich als treuer und gehorsamer Unterthan zu Euch spreche. Ich sage nicht zu Euch: »Mein Vater ist nicht gerichtet worden, man hat meinen Vater insgeheim verurtheilt, ohne ihn zu hören, und diese Ungerechtigkeit gleicht sehr der Rache . . . Ich, sein Sohn, appelliere also laut vor dem Adel Frankreichs gegen den geheimen Spruch, der ihn getroffen; ich werde öffentlich Allem, was ein Schwert hat, die Verletzung kundthun, welche uns Allen in der Person eines Edelmanns zugefügt worden ist.«
Heinrich machte eine Bewegung.
»Ich sage Euch das nicht, Sire,« fuhr Gabriel fort. »Ich weiß, daß es äußerste Nothwendigkeiten gibt, welche stärker sind als das Gesetz und das Recht. Ich ehre, wie sie ohne Zweifel mein Vater ehren würde, die Geheimnisse einer schon fern von uns liegenden Vergangenheit. Ich bitte Euch nur, mir zu erlauben, durch eine glorreiche und befreiende Handlung den Rest der Strafe meines Vaters abzukaufen. Als Lösegeld biete ich Euch an, Saint-Quentin eine Woche lang von dem Feinde frei zu halten, und wenn das nicht genügt, den Verlust von Saint-Quentin dadurch auszugleichen, daß ich den Engländern oder auch den Spaniern eine andere Stadt abnehme! Das ist im Ganzen wohl die Freiheit eines Greises werth. Nun! ich werde das thun, Sire, und noch mehr, denn die Sache, welche meinen Arm bewaffnet, ist rein und heilig, mein Wille ist stark und kühn, und ich fühle, daß Gott mit mir sein wird.«
Frau Diana konnte sich eines ungläubigen Lächelns vor diesem heldenmüthigen Vertrauen eines jungen Mannes nicht erwehren, das sie nicht kannte und nicht zu begreifen vermochte.
»Ich verstehe Euer Lächeln, Madame,« sprach Gabriel mit einem schwermüthigen Blick. »Ihr glaubt, ich werde dieser großen Aufgabe unterliegen, nicht wahr? Mein Gott! das ist möglich. Es ist möglich, daß meine Ahnungen mich trügen. Doch dann werde ich sterben! Ja, Madame, ja, Sire, wenn die Feinde vor Ablauf von acht Tagen in Saint-Quentin eindringen, so lasse ich mich auf der Bresche der Stadt tödten, die ich nicht zu vertheidigen im Stande gewesen bin. Gott, mein Vater und Ihr könnt nicht mehr von mir verlangen. Mein Geschick wird dann in dem Sinne in Erfüllung gegangen sein, den der Herr gewollt hat: mein Vater