Memoiren einer Favorite. Александр Дюма
ich hatte zwei Briefe zu schreiben, den einen an Mr. Hawarden, den andern an meine Mutter.
Ich schrieb an Mr. Hawarden, um ihm für die Güte zu danken, die er mir bewiesen, und um ihm zu sagen, daß ich niemals das Jahr vergessen würde, welches ich so glücklich gewesen, in seinem Hause zu verleben. Infolge eines Wunsches, der mächtiger wäre, als mein Wille, würde ich jedoch nach jenem Lande der Chimären gelockt, welches man London nennt. Ich ginge, mich seinem Gebet und dem seiner Gattin empfehlend, fort wie ein Seefahrer, der in ein gebrechliches Fahrzeug steigt und in ein ihm unbekanntes Meer hineinsteuert.
An meine Mutter schrieb ich, daß ich, weil ich in London bei einer reichen Dame anderweite Auseinandersetzungen fügte ich nicht hinzu einen ganz ausgezeichneten Platz gefunden hätte, der mir zehn Pfund Sterling monatlich eintragen würde, nach dieser Stadt abreiste. Wenn der Platz, fügte ich hinzu, wirklich so wäre, wie man mir gesagt, so würde ich nicht säumen, ihr meine Dankbarkeit für die Mühe und Sorgfalt zu beweisen, welche sie auf meine Erziehung verwendete. Ich sagte noch und dies war auch beinahe wahr wenn ich ihr noch nichts von diesem Platze gesagt, und wenn ich nicht persönlich von ihr Abschied nähme, so läge der Grund darin, daß ich, wenn sie mich einmal wieder in ihren Armen hielte, nicht mehr den Mut haben würde, mich von ihr zu trennen.
Nachdem ich diese Briefe geschrieben, versiegelte ich sie, schrieb die Adressen darauf und fühlte mich nun ein wenig ruhiger. In einem anderen Hause hätte ich fürchten können, daß die Herrschaft sich vielleicht später zu Bett legte als gewöhnlich, oder daß ein verspäteter Arbeiter mir im Garten begegne. In Mr. Hawardens Haus herrschte aber zu große Pünktlichkeit, als daß mir ein Unfall dieser Art hätte begegnen können.
Ich hörte es elf und dann halb zwölf in der Uhr im Speisezimmer schlagen, die ebenso genau gestellt wurde wie die Mr. Hawardens in der Stadt, ausgenommen daß sie anstatt Sonnabends mittags erst Sonntags zu derselben Stunde aufgezogen wurde.
Ich ließ noch ziemlich zehn Minuten vergehen. Ich küßte die beiden Kinder, welche durch die Regelmäßigkeit, womit sie schliefen, ihre unbestreitbare Abkunft verrieten. Dann öffnete ich das Fenster und stieg in den Garten hinaus, worauf ich die beiden Flügel, wenn auch nicht wieder zu schließen, doch möglichst fest anzudrücken suchte.
Am Fuße des Fensters mußte ich einen Augenblick stehen bleiben. Obschon ich nicht viel zu fürchten hatte, so pochte mir das Herz doch gewaltig. Übrigens war die Nacht dunkel und seitdem ich Hawarden bewohnte, hatte ich mir wieder die kindische Furcht angewöhnt, welche die Finsternis einflößt; eine Furcht, die ich, als ich auf dem Pachthofe war und ganze Tage im Gebirge zubrachte, niemals empfunden hatte.
Nach einigen Sekunden schwand diese Furcht, welche ihren Grund mehr in dem Schritt, den ich tat, als in den Verhältnissen hatte, unter welchen er geschah, aus meinem Gemüt hinweg. Meine Augen gewöhnten sich an das Dunkel. Dank dem Kies, womit der Weg bestreut war, sah ich denselben sich vor mir hinschlängeln wie ein langes graues Band.
Dieses Band führte gerade nach der Gartentür, durch welche hinaus man auf den Meeresstrand gelangte. Ich begann auf diese Tür zuzueilen. Als ich an derselben angelangt war, blieb ich stehen. Es war mir, als hätte ich auf der andern Seite der Wand sprechen hören. Es war dies jedoch durchaus nicht zu verwundern, da ja Dick und Amy mich hier erwarten sollten. Ich atmete wieder auf und fragte leise:
»Bist du es, Amy?«
Amys Stimme antwortete mir bejahend. Überdies hörte ich dieselbe Stimme, welche zu Dick sagte:
»Sie ist es; sie ist da.«
Es war augenscheinlich, daß trotzdem, was diesen Morgen verabredet worden, die beiden Geschwister gefürchtet hatten, ich würde nicht Wort halten.
Ich öffnete die Tür und brauchte zu diesem Zwecke bloß den Schlüssel umzudrehen. In der Tat war wohl nie eine Flucht, welche so seltsame Resultate zur Folge haben sollte, von so wenigen romantischen Abenteuern begleitet.
Hinter der Tür standen Dick und Amy. Ich bemerkte, daß Dick mit einer Kugelbüchse und mit einem Paar Pistolen bewaffnet war. Er war jetzt ein großer, starker Bursche von achtzehn Jahren, und schien viel Mut und Entschlossenheit zu besitzen.
Wir machten die Tür wieder zu. Dick, der sich des Schlüssels bemächtigte, verschloß sie von außen, damit, wenn wir fort wären, niemand in den Garten gelangen könnte, und warf den Schlüssel über die Mauer.
Ein kleines Boot erwartete uns, auf dem Strand liegend, in einer Entfernung von wenigen Schritten. Wir, Amy und ich, stiegen hinein. Dick schob es in das Wasser und sprang in dem Augenblick, wo es sich auf dem Meeresspiegel zu schaukeln begann, ebenfalls mit hinein. Dann bemächtigte er sich der Ruder und begann dieselben kräftig zu handhaben.
Es war, wie ich mich entsinne, in einer schönen Nacht des Jahres 1777, in der Nacht vom 15. zum 16. Juli, wo ich dieses friedliche Haus, welches ich nicht wieder sehen sollte, verließ und von allen meinen Erinnerungen der Jugend und Unschuld schied, die sich mir hinfort nur noch im Traume vergegenwärtigen sollten, so daß ich wie Francesca von Rimini sagen konnte: »Die bitterste Erinnerung im Schmerz ist die Erinnerung an die Tage des Glücks.«
Siebenunddreißig Jahre sind seit jener Nacht vergangen, aber wenn ich die Augen schließe und mich in meine Gedanken versenke, so ist es mir, als wäre es erst gestern gewesen, und ich sehe alle jene Gegenstände wieder, welche in jenem Augenblick mir ins Auge fielen und mein Gemüt beschäftigten.
Der Himmel war schwarz, aber nur infolge der Abwesenheit des Mondes. Tausende von Sternen funkelten in dem dunklen Azur und spiegelten sich in dem noch dunklern der Fluten des Meerbusens.
Mr. Hawardens Haus, an welchem wir still vorbeiglitten, indem wir eine sich schnell wieder verlierende Furche hinter uns ließen, hob sich zu unserer Rechten ab wie eine graue Masse.
Auf dem Gipfel des kleinen Hügels an der Küste, welche wir soeben verlassen, schimmerte ein Leuchtfeuer und auf der entgegengesetzten Küste bellte ein Hund in einem unsichtbaren Gehöft.
Gegen drei Uhr landeten wir am anderen Ufer des Meerbusens.
Dick ruderte sein Boot in die Nähe einer kleinen am Strande liegenden Schaluppe. Auf sein Anrufen richteten zwei Männer sich empor. Er wechselte einige Worte mit ihnen, übergab ihnen seine Waffen, drückte dem einen die Hand, umarmte den andern und reichte uns die Hand, um uns beim Aussteigen behilflich zu sein.
Wir schlugen den Weg nach Chester ein, welches ungefähr eine Stunde Weges von dem Strande entfernt lag. Für Landbewohner wie wir war eine Stunde Weges eine Kleinigkeit. Ich trug mein kleines Paket. Das Amys, welches ein wenig umfangreicher war als das meinige, ward von Dick getragen, welcher höchstwahrscheinlich für seine Person nichts weiter besaß, als was er auf dem Leibe trug.
Mit Tagesanbruch kamen wir in Chester an. Dick führte uns in eine Art Wirtshaus, welches nicht weit von dem Personenpostbureau stand. Amy und ich genossen hier jede eine Tasse Milch. Dick, der weniger der Lebensweise der Hirten huldigte als wir, trank ein Glas Branntwein. Die Stunde verging wohl oder übel und um sechs Uhr stiegen wir in den Postwagen.
Auf der Reise ereignete sich nichts, was hier besonders erwähnt zu werden verdiente. Wir passierten mehrere größere Städte Englands, Lichfield, Coventry, Oxford, und am dritten Tage, gegen vier Uhr nachmittags, langten wir in London an.
Dick hatte die Adresse eines kleinen Gasthauses, wo einige Erkennungsworte ihm sofortigen Willkommen bereiten mußten, denn der Wirt des Gasthauses stand, wie es schien, mit sämtlichen Schleichhändlern der Küste in Verbindung.
Dieses Gasthaus stand in Billiers-Street, einer kleinen Straße, die einerseits an die Themse, andererseits an den Strand stößt.
Ich gestehe, daß ich bei meinem Einzug in London mehr Schrecken als Bewunderung fühlte. Die sich nach allen Richtungen kreuzenden Wagen, dieses Getöse, unter welchem das des Donners vergebens versuchen würde, sich hörbar zu machen, diese mehr rennenden als gehenden Fußgänger, die Atmosphäre, welche, anstatt rein und durchsichtig wie auf dem Lande zu sein, jetzt grau und dick geworden war, das erbärmliche Gasthaus endlich, in welchem wir nach einer Reise von sechzig Stunden abstiegen, alles dies war nicht geeignet, meine Träume auf poetische oder goldene Weise zu verwirklichen.
Dick verlangte