Komödianten. Carry Brachvogel

Komödianten - Carry Brachvogel


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Reporter spitzte diskret die Ohren, hielt gespannt die Füllfeder in Bereitschaft. Endlich kam man zu der Hauptsache, zu dem Kardinalpunkt des Feuilleton, dem die Kunstansichten, wie die andern Äußerungen der großen Tragödin nur als Füllsel dienen sollten. Endlich kam man zu Harro Brachmann, dem gefeierten Dramatiker, dessen Heldinnen Meta Martens seit Jahren wie keine andre darstellte, weil sie ihr glichen, wie keine sonst ihr glich. Harro Brachmann, ihr Dichter, ihr Freund, ihr Geliebter– –.

      Die Phasen, die dieser Herzens- und Geistesbund wechselnd im Lauf der Jahre erlebte, bildeten ein unerschöpfliches Thema der Theater- und Zeitungschronik. Die Welt wurde über jede Reise, über jeden Streit des erlauchten Paares genau in Kenntnis erhalten, Bruch und Versöhnung, so oft sie sich auch wiederholen mochten, feierlich registriert und mit intimen Details erörtert. An eine wirkliche Katastrophe, an eine dauernde Trennung der beiden wollte man freilich nie recht glauben, man hatte es nie für möglich gehalten, daß die zwei wahlverwandten Seelen, die einander so viel gegeben und noch zu geben hatten, je von einander scheiden wollten. In den letzten Monaten aber schien das Niegedachte Wahrheit werden zu wollen. Das berühmte Paar hatte sich mit großem Lärm getrennt. Harro Brachmann reiste mit einer sehr jungen, sehr hübschen Utilité, die früher da und dort zusammen mit Meta Martens in seinen Stücken aufgetreten war. Meta Martens aber ließ verkünden, daß sie sich von der Bühne zurückzieht und noch dies Jahr ihre letzte, ihre allerletzte Tournee macht . . .

      »Denn wenn man so zerbrochen ist, so ganz erfüllt von Leid, bleibt dem Menschen nichts mehr, als die Einsamkeit und das große Schweigen! Was habe ich seit mehr als zehn Jahren um diesen Mann gelitten. Mein Gott, mein Gott, was habe ich gelitten!«

      Sie preßte krampfhaft die Hände ineinander, hob die Augen entgeistert zur Decke des Zimmers empor, es war dieselbe Qual, dieselbe rührende Bewegung, die sie Harro Brachmanns sanfter, übersensitiver »Eveline« gab.

      »Niemand weiß, niemand hat eine Ahnung, was dieser Mann mir war! Mit Worten läßt sich's nicht fassen, nicht erzählen läßt sich's, wie eine Geschichte oder ein Roman. Nichts war mir das Leben, alles nur er, er und immer wieder er. . . . Was hab' ich diesem Mann nicht alles gegeben; mich, mein Herz, meine Seele, meine Kunst! Geschenkt hab' ich, daß ich jetzt nichts mehr habe. Nie, gar nie ist solcher Undank erhört gewesen! Wissen Sie denn, was dieser Mann ohne mich wäre? Ein Nichts, sehen Sie, das man so wegbläst! (Sie blies ein Federwölkchen, das sich auf ihren bloßen Arm gesenkt hatte, heftig fort.) Alles, was er ist, hab' ich ihm gegeben, ihm den Weg gemacht, Schritt für Schritt. O, heute natürlich, heute hat der große Herr mich nicht mehr nötig, aber damals, da er noch als kleiner, halb verhungerter Dichter in einem Monatszimmer um zwanzig Mark in der Vorstadt wohnte, und keinen ordentlichen Rock auf dem Leibe trug, und kein Mensch seine Sachen lesen wollte, damals war ich gut genug! Da bin ich herumgelaufen bei den Direktoren und hab' gebettelt, daß sie seine Stücke aufführen und habe ihnen die Ausstattung gezahlt und die Kostüme. Und wenn mir das Geld nicht mehr reichte, bin ich für ihn zu Geldverleihern gelaufen, zu Wucherern, zu einem Gesindel, das man nicht mit der Feuerzange anfassen möchte . . . Geld mußte her, Geld um jeden Preis . . . O, Sie wissen ja nicht, kein Mensch ahnt, was dieser Mann für Luxusbedürfnisse hat, dieser Mann, der noch vor fünfzehn Jahren in schmierigen Garküchen um fünfzig Pfennig zu Mittag aß . . .«

      »Doch, gnädige Frau, man weiß, wie raffiniert und prachtliebend er ist! Man weiß, daß er lebt wie ein Fürst, daß er von allem immer nur das Beste, das Schönste, das Teuerste haben muß! Sein Haus am Tiergarten soll zugleich ein Palais und ein Museum sein, und seine Villa in Spaa –«

      »Ist wie ein Feenmärchen! Wer's nicht gesehen hat, kann sich keine Vorstellung davon machen!«

      »Nun, Harro Brachmann hat ja auch die entsprechenden Einkünfte für eine solche Lebenshaltung. Seine Stücke sind Repertoirestücke, seine Romane haben hundert Auflagen –«

      Meta Martens lachte höhnisch.

      »Du lieber Gott, wenn Sie glauben, daß er damit reicht! Ich, ich bin es, die immerfort die Unsummen hergeschafft hat für die Cäsarenlaunen dieses Mannes! Halb ruiniert hab' ich mich für ihn, jahrelang hab' ich in Schulden gesteckt bis über die Ohren! Sogar die Frau habe ich ausgezahlt, denn er schleppte ja aus seiner Anfängerzeit eine Frau mit sich herum, eine ordinäre, ganz unmögliche Person Der hab' ich achtzigtausend Mark auf den Tisch gelegt, damit sie ihn freigab . . . Ich, ich habe es nur zu einem bescheidenen Besitz in den Vorbergen gebracht, er aber, er hat einen Palast in der Stadt und einen in Spaa. Er reist im eigenen Auto, bewohnt, wenn er nach Paris kommt im Hotel du Rhin fünf Zimmer, läßt seine Zigarren eigens für sich in der Havanna drehen und den Zuschneider für seinen Frack zweimal im Jahr aus England kommen. Und was für ein Leben führt der Mann! Ich sage Ihnen, jede andre hätte es nicht drei Monate mit ihm ausgehalten, ich aber, ich habe ihm fünfzehn Jahre geopfert –«

      »Aber haben Sie nicht auch viel von ihm empfangen, gnädige Frau? Trotz aller Schwächen bleibt er doch ein großer Künstler, ein Seelenkenner ohnegleichen. Kein andrer wird Ihr Wesen je so erfassen, so dichterisch zu gestalten vermögen wie er!«

      »Ja, er ist ein großer Künstler. Ich weiß, wieviel ich ihm schulde. Aber deswegen hat er mich doch elend gemacht, so elend, daß ich mir überhaupt nicht mehr wie ein Mensch vorkomme, nur noch wie etwas ganz Armseliges, Zerstörtes, das sich in einen Winkel verkriecht, um dort zu verenden. Diese letzte Zeit war so entsetzlich, so ent– –«

      Sie brach plötzlich ab, konnte nicht weitersprechen. Man sah, daß sie mit dem Weinen kämpfte. Sie biß die Lippen aufeinander, schluckte krampfhaft, schlug nervös mit den Augendeckeln, stand auf, ging ein paarmal rasch im Zimmer hin und her, unaufhörlich die Hände ineinander reibend. Warf sich dann plötzlich in den Sessel, über dem der köstliche Samtmantel hing, barg Arme und Kopf in dem Hermelin und begann zu schluchzen. Schluchzte so wild und leidenschaftlich, daß der Reporter fast vergaß, aufzuzeichnen und befangen wartete, bis dieser jähe Ausbruch sich legen wollte. Sie schien ganz aufgelöst in Schmerz und Tranen, jedes Glied an ihr bebte und die Töne, die ihrer Kehle entstiegen, kamen rauh und verzweifelt, wie aus einem zerstückelten Herzen. Aus ihrem üppigen Haarknoten aber löste sich langsam, in sanftem Ringel, die eine goldbraune Strähne, die sich in allen großen Leidenschaftsszenen löste und ringelte und von der ein verzückter Berliner Kritiker einmal geschrieben hatte: »Diese Strähne der Martens schwebt in den Momenten heftiger Affekte wie eine Gloriole über den unerhörten Ekstasen dieser vollendeten Kunst . . .«

      Allmählich wurde ihr Schluchzen milder, verlosch. Sie richtete sich auf, fuhr mit beiden Händen über das heißgeweinte Gesicht, sah fremd um sich. Nach einer Weile machte sie mit der Linken eine starre Geste, als zöge sie einen Strich: »Finita la commedia! Ich gehe heim zu meinen Rosen, meinen Büchern und meinen Bildern! In der Einsamkeit will ich vergessen, wer ich war und was ich ertragen habe!«

      Der Reporter wartete noch einige Augenblicke. Da sie nichts mehr sprach, erhob er sich, um ihr zu danken und zu gehen. Sie hüllte sich jetzt fröstelnd in ihren Mantel, reichte ihm mit einem rührenden Ausdruck der Erschöpfung die Hand.

      »Leben Sie wohl, Herr Doktor! Es hat mir wohlgetan, einmal mit einem Menschen zu reden, der wirklich ein Mensch ist. Und nicht wahr, es bleibt unter uns, Sie geben nichts davon in die Zeitung? Ich habe mich vielleicht von meinen Empfindungen hinreißen lassen und es wäre mir peinlich, wenn die Welt davon erführe. Die Welt braucht nichts zu wissen, als daß Meta Martens aufhört, Komödie zu spielen. Leben Sie wohl, Herr Doktor! Sie haben doch einen guten Platz für heute abend? Das Haus ist schon seit vorgestern ausverkauft. Also auf Wiedersehen heute abend! Wenn Sie mich heute auf der Bühne lachen und jubeln sehen, dann denken Sie ein wenig daran, wie unglücklich Meta Martens im Leben ist!«

      Der Reporter ging.

      Der Kopf war ihm benommen von der warmen parfümierten Luft, dem Blumenduft, den Worten und den Gesten der Martens. Während er auf die Redaktion eilte, um sein Interview gleich an Ort und Stelle zu verfassen, dachte er bei sich: »Was für ein Weib! Was für ein wundervolles Weib!«

      II

      Meta Martens blieb einige Augenblicke in derselben Stellung und in denselben Gedanken. Dann begann sie im langsamen Spiel mit den Händen durch den weißen Pelz zu gleiten. Es freute sie, die schwarzen Schwänzchen durch die Finger schlüpfen


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