Das schwache Herz. Федор Достоевский
freudiger Erregung an.
»Wer ist sie, Wassja?«
»Die Artemjewa! … « versetzte Wassja mit vor Glück gedämpfter Stimme.
»Ist's wahr?«
»Ich hab dir ja schon genug von der Familie erzählt, und du hast gar nichts gemerkt. Es fiel mir wirklich schwer, es vor dir zu verheimlichen; ich hatte solche Angst, davon zu sprechen! Ich fürchtete, das Ganze würde auseinandergehen, ich bin aber verliebt, Arkascha! Ach, mein Gott, mein Gott! Denk dir nur: die Sache war so,« begann er, jeden Augenblick vor Erregung stockend: »Sie hatte bereits vor einem Jahre einen Bräutigam, der wurde aber plötzlich irgendwohin versetzt; ich kannte ihn: er war so ein … Nun, ich will von ihm lieber nicht sprechen. Er ist also fort, läßt nichts von sich hören, ist verschollen. Man wartet und wartet und weiß nicht, was das zu bedeuten hat. Und plötzlich, so vor vier Monaten, kehrt er zurück – ist verheiratet und läßt sich bei den Artemjews nicht einmal sehen! Es ist doch roh und gemein! Und sie haben niemanden, der für sie eintreten könnte. Das arme Mädchen weint, und weint, und ich – verliebe mich in sie … Ich war, übrigens, in sie schon vorher verliebt! Nun begann ich sie zu trösten, kam jeden Tag ins Haus … Ich weiß wirklich nicht, wie das geschah, doch auch sie gewann mich lieb. Vor acht Tagen hielt ich es schließlich nicht aus, fing zu weinen an, zu schluchzen und sagte ihr alles: nun, daß ich sie liebe – mit einem Wort alles! … ›Auch ich bin bereit, Sie zu lieben, Wassilij Petrowitsch‹, sagte sie zu mir, ›doch ich bin ein armes Mädchen, spotten Sie meiner nicht; denn ich habe gar nicht den Mut, jemanden zu lieben!‹ Nun, mein Lieber, verstehst du es? … Wir haben uns auch sofort verlobt; ich überlegte mir lange hin und her und fragte sie schließlich: ›Wie wollen wir das der Mama sagen?‹ Sie antwortete darauf: ›Ja, es ist schwer! Warten Sie lieber noch eine Zeitlang. Denn Mama hat jetzt Angst; jetzt gleich wird sie mich Ihnen vielleicht noch nicht geben wollen; sie weint ja noch immer.‹ Ohne Lisa auch mit einem Wort vorzubereiten, platzte ich heute vor der Alten mit der Geschichte heraus. Lisa kniete vor ihr nieder, ich ebenfalls … die Alte gab uns ihren Segen. Arkascha, Arkascha! Mein Lieber! Wir wollen doch zusammen wohnen bleiben. Nein, von dir trenne ich mich nicht!«
»Wassja, ich schaue dich an, und kann dir doch nicht glauben! Bei Gott, ich schwöre: ich kann dir unmöglich glauben. Das Ganze kommt mir so vor … Hör einmal, du willst heiraten?.. Wieso habe ich nichts davon gewußt? Ich muß dir gestehen, Wassja: auch ich hatte die Absicht zu heiraten; doch da du es jetzt tust, kommt es auf dasselbe heraus! Also ich wünsche dir viel Glück!«
»Mein Freund, ich habe jetzt ein so süßes Gefühl im Herzen, so leicht ist mir zumute … « sagte Wassja. Er erhob sich vom Bett und ging einigemal erregt durchs Zimmer. »Nicht wahr, du fühlst es ja auch? Wir werden natürlich sehr bescheiden leben, werden aber trotzdem glücklich sein; und das ist doch keine Chimäre; unser Glück ist nicht aus einem Buche geschöpft, es ist die Wirklichkeit: wir werden wirklich glücklich sein!«
»Wassja! Hör einmal, Wassja!«
»Was denn?« fragte Wassja, vor Arkadij Iwanowitsch stehen bleibend.
»Mir kommt eben ein Gedanke; ich weiß nicht warum, ich fürchte ihn auszusprechen!.. Verzeihe mir also und löse meine Zweifel. Wovon willst du eigentlich leben? Ich bin ja entzückt, daß du heiratest, bin ganz außer mir vor Freude, und doch … wovon willst du leben? Wie?«
»Ach, mein Gott! Wie kannst du nur, Arkascha!« sagte Wassja und blickte Nefedewitsch sehr erstaunt an. »Was denkst du dir denn? Selbst die Alte überlegte sich die Sache keine zwei Minuten lang, als ich ihr alles klarlegte. Frage doch zunächst, wovon sie gelebt haben? Sie haben zudritt ja nur fünfhundert Rubel im Jahr! Das ist die ganze Pension, die sie nach dem Tode des Vaters bekommen. Sie alle: Lisa, und die Alte und noch der kleine Bruder, für den man aus dem gleichen Gelde die Schule bezahlen muß, alle drei lebten von den fünfhundert Rubeln; so leben eben andere Leute! Wir beide sind Kapitalisten dagegen! Ich habe ja manches Jahr, wenn es gut geht, beinahe siebenhundert Rubel Einkommen!«
»Höre, Wassja, entschuldige: bei Gott, ich meine es ja nur so … Ich bin doch wirklich besorgt, daß die Sache nicht auseinandergeht; aber von welchen siebenhundert Rubeln sprichst du? es sind ja im Ganzen nur dreihundert … «
»Dreihundert!.. So, und Julian Mastakowitsch ist nichts? Hast du den vergessen?«
»Julian Mastakowitsch! Das ist aber eine unsichere Sache; das ist doch etwas ganz anderes als dreihundert Rubel sicheres Jahresgehalt, wo man sich auf jeden Rubel wie auf einen treuen Freund verlassen kann. Julian Mastakowitsch ist freilich ein hervorragender Mensch, ich achte und verstehe ihn, obwohl er so viel höher steht als ich; ich liebe ihn sogar, bei Gott, weil er dich so liebt und dir jede Extraarbeit bezahlt, obwohl er die Möglichkeit hätte, mit diesen Arbeiten irgendeinen Beamten von Amts wegen zu betrauen. Du mußt dir aber sagen, Wassja … Höre noch folgendes: ich spreche ja wirklich keinen Unsinn; ich will zugeben, daß es in ganz Petersburg keine Handschrift gibt, die mit der deinigen zu vergleichen wäre; das erkenne ich gerne an!« sagte Nefedewitsch nicht ohne Entzücken. »Und doch kann es ja, Gott bewahre, vorkommen, daß du ihm einmal etwas nicht recht machst, oder daß er keine Arbeit mehr zu vergeben hat, oder sich einen andern nimmt … es kann ja schließlich alles passieren! Heute hast du ihn, und morgen – nicht; bedenke das nur, Wassja … «
»Höre einmal, Arkascha, ebenso gut kann jetzt über uns die Zimmerdecke einstürzen … «
»Ja, gewiß, du hast recht, ich meinte es ja nur so … «
»Nein, hör einmal zu, höre, was ich dir sage: wie kann er mich gehen lassen? Höre mich nur an! Ich erledige ja alles so aufmerksam und zuverlässig, und er ist so gut zu mir; heute hat er mir, höre nur, Arkascha, heute hat er mir fünfzig Silberrubel gegeben!«
»Wirklich, Wassja? Ist es eine Zulage?«
»Keine Zulage! Aus seiner eigenen Tasche hat er es mir gegeben! Er sagte zu mir: ›Du hast, mein Lieber, seit vier Monaten nichts bekommen; wenn du willst, nimm dieses Geld: ich danke dir‹, sagte er, ›denn ich bin mit dir zufrieden‹ … Bei Gott, das hat er gesagt! ›Du sollst doch nicht umsonst arbeiten!‹ Mir kamen sogar die Tränen! Mein Gott, Arkascha!«
»Sage einmal, Wassja, hast du die zuletzt bestellte Abschrift fertiggemacht?«
»Nein … noch nicht ganz fertig.«
»Wassinka, mein Engel! Was hast du angerichtet?«
»Das macht nichts, Arkascha, ich habe ja noch zwei Tage Zeit.«
»Ja, warum hast du die Arbeit noch nicht fertig?«
»Nun ja! Du siehst mich mit solcher Leichenbittermiene an, daß sich mir der Magen umdreht und das Herz weh tut! Was ist denn dabei? Du bringst mich immer auf diese Weise um, wenn du zu schreien anfängst: A-a-ah! Überlege dir nur: was ist denn dabei? Ich werde damit noch fertig werden, bei Gott!«
»Und wenn du nicht fertig wirst?« brüllte Arkadij und sprang vom Bette auf. »Erst heute hast du von ihm Geld bekommen! Und du willst heiraten! … Oh weh!«
»Das macht nichts, ich setze mich gleich an die Arbeit und mache sie fertig. Sei unbesorgt!«
»Wie hast du es versäumen können, Wassja?«
»Ach, Arkascha! Konnte ich denn ruhig hier sitzen bleiben? War ich denn in solcher Stimmung? Selbst in der Kanzlei konnte ich kaum sitzen, so übervoll ist mein Herz! … Ach! Nun werde ich die heutige Nacht durcharbeiten, ebenso morgen und übermorgen und mache es fertig! … «
»Ist noch viel übrig geblieben?«
»Störe mich nicht, um Gottes willen, störe mich nicht, schweig!«
Arkadij Iwanowitsch ging auf den Fußspitzen zum Bett und setzte sich hin; nach einer Weile wollte er schon wieder aufstehen, besann sich aber, daß er seinen Freund damit stören könnte und blieb sitzen, obwohl es ihm bei seiner Aufregung sehr schwer fiel: die Nachricht hatte ihn offensichtlich furchtbar aufgeregt, und seine Begeisterung war noch nicht abgekühlt. Er warf Schumkow einen Blick zu; auch dieser warf ihm einen Blick zu, lächelte, drohte mit dem Finger, zog furchtbar die Brauen zusammen (als ob davon seine Kraft und der ganze Erfolg der Arbeit abhingen)