Weie Nachte. Федор Достоевский

Weie Nachte - Федор Достоевский


Скачать книгу
und das plötzlich, für nur einen Augenblick ganz unerwartet in unbeschreiblicher Schönheit erstrahlt, während Sie sich erstaunt und berauscht fragen: Welche Kraft hat in diesen traurigen, nachdenklichen Augen solches Feuer entzündet? Was hat ihr das Blut in die blassen, eingefallenen Wangen getrieben? Was hat die zarten Gesichtszüge mit Leidenschaft übergossen? Warum wogt diese Brust? Was hat im Gesicht des armen Mädchens Kraft, Leben und Schönheit geweckt und es mit diesem Lächeln belebt? Woher kommt dieses sprudelnde, zündende Lachen? Sie schauen sich um, Sie suchen, Sie raten … Doch der Augenblick ist schon vorbei, und Sie sehen vielleicht schon morgen den nachdenklichen, zerstreuten Blick von vorhin, dasselbe bleiche Antlitz, die gleiche Ergebenheit und Schüchternheit der Bewegungen und sogar etwas wie lähmenden Unmut und Reue ob des flüchtigen Aufschwunges von vorhin … Und es tut Ihnen leid, daß die plötzliche Schönheit so schnell, so unwiederbringlich verwelkt ist, daß sie so trügerisch und vergebens vor Ihrem Blick gestrahlt hat; es tut Ihnen leid, weil Sie nicht einmal Zeit gehabt, sich in sie zu verlieben …

      Und doch war meine Nacht noch schöner als der Tag! Und das kam so: Ich kehrte sehr spät in die Stadt zurück, und als ich mich meiner Wohnung näherte, schlug es schon zehn Uhr. Ich ging den Kanal entlang, wo man um diese Stunde gewöhnlich keinem Menschen begegnet. Ich wohne allerdings in einem entlegenen Stadtteile. Ich ging und sang, denn wenn ich mich glücklich fühle, summe ich immer irgend etwas vor mich hin, wie es auch jeder glückliche Mensch tut, der weder Freunde, noch gute Bekannte, noch sonst jemanden hat, mit dem er seine Freude teilen könnte. Und plötzlich hatte ich ein ganz unerwartetes Abenteuer.

      Etwas abseits, an das Geländer des Kanals gelehnt, stand ein weibliches Wesen, das sehr aufmerksam in das trübe Wasser des Kanals hinabzuschauen schien. Es trug ein reizendes gelbes Hütchen und eine kokette schwarze Mantille. »Es ist wohl ein junges Mädchen,« sagte ich mir, »und zweifellos eine Brünette.« Sie hatte meine Schritte wohl nicht gehört und rührte sich gar nicht, als ich mit verhaltenem Atem und pochendem Herzen an ihr vorüberging. »Seltsam!« dachte ich mir: »Sie ist wohl ganz mit einem Gedanken beschäftigt.« Und plötzlich blieb ich wie angewurzelt stehen. Ich hörte ein dumpfes Schluchzen. Ja, ich irrte mich nicht: das Mädchen weinte wirklich, und nach einem Augenblick hörte ich sie wieder aufschluchzen! Mein Herz krampfte sich zusammen. Sonst bin ich ja Damen gegenüber sehr schüchtern, doch das war ja ein ganz besonderer Fall! … Ich kehrte um, ging auf sie zu und würde wohl sicher »Madame!« gesagt haben, wenn ich nicht gewußt hätte, daß diese Anrede in den russischen Gesellschaftsromanen schon tausendmal gebraucht worden ist. Dies allein hielt mich davon ab. Doch während ich nach einem andern Worte suchte, kam das Mädchen zur Besinnung, sah sich um, senkte den Blick, huschte an mir vorbei und ging den Kai entlang. Ich folgte ihr, doch sie merkte das und ging vom Kai auf die andere Straßenseite hinüber. Ich wagte nicht, ihr auf das Trottoir zu folgen. Mein Herz schlug so heftig wie bei einem gefangenen Vogel. Ein Zufall kam mir ganz unerwartet zu Hilfe.

      Auf der andern Straßenseite tauchte plötzlich neben meiner Unbekannten ein Herr im Frack auf; er schien in soliden Jahren zu sein, doch seine Haltung war nichts weniger als solid. Er wankte hin und her und tastete sich vorsichtig an den Mauern entlang. Das Mädchen ging aber gerade wie ein Pfeil aus dem Bogen, eilig und zugleich etwas unsicher, wie alle jungen Mädchen gehen, die nicht wollen, daß jemand sie nachts auf dem Nachhausewege anspreche und ihnen seine Begleitung anbiete. Der wankende Herr würde sie auch niemals eingeholt haben, wenn ihm das Schicksal nicht den Rat eingegeben hätte, eine andere Taktik zu wählen. Ganz unvermittelt begann er plötzlich, was ihn nur die Beine trugen, zu rennen. Sie lief wie der Wind, doch der wankende Herr kam immer näher, holte sie schließlich ein, das Mädchen schrie auf und – ich segne das Schicksal für den vortrefflichen Knotenstock, den ich zufällig in der Hand hatte! Im Augenblick war ich auf der andern Straßenseite, im Augenblick erfaßte der ungebetene Begleiter die Sachlage, begriff meine unwiderlegbaren Argumente, schwieg und blieb zurück; erst als uns eine größere Strecke von ihm trennte, begann er in recht energischen Ausdrücken gegen mich zu protestieren. Doch wir hörten kaum seine Worte.

      »Geben Sie mir Ihren Arm,« sagte ich meiner Unbekannten, »und er wird sich nicht mehr unterstehen, Sie zu belästigen.«

      Sie reichte mir stumm ihren Arm, der noch vor Aufregung und Schreck zitterte. O ungebetener Herr! Wie dankte ich dir in diesem Augenblick! Ich streifte sie mit einem Blick: sie war sehr hübsch und brünett – ich hatte also richtig geraten. Auf ihren schwarzen Wimpern glänzten noch die Tränen des eben ausgestandenen Schreckens, oder vielleicht auch eines früheren Kummers; ich weiß es nicht. Doch auf ihren Lippen spielte bereits ein Lächeln. Auch sie streifte mich mit einem heimlichen Blick, errötete etwas und wurde verlegen.

      »Nun sehen Sie es: warum haben Sie mich vorhin abgewiesen? Wäre ich gleich an Ihrer Seite, so wäre nichts geschehen … «

      »Aber ich kannte Sie nicht; ich glaubte, daß auch Sie … «

      »Kennen Sie mich denn jetzt?« »Ein wenig … Warum zittern Sie jetzt so?«

      »O, Sie haben mich gleich beim ersten Blick erkannt!« antwortete ich, ganz entzückt darüber, daß das Mädchen auch klug war; auch einem schönen Mädchen kann Klugheit niemals schaden. »Sie errieten ja gleich auf den ersten Blick, mit wem Sie es zu tun haben. Es ist wahr, wenn ich vor einer Frau stehe, bin ich stets schüchtern und, ich gebe es zu, nicht weniger aufgeregt, als Sie es vorhin waren, wie jener Herr Sie so erschreckte … Jetzt bin ich erschrocken. Es ist mir, als ob alles ein Traum wäre; ich habe mir aber auch im Traume niemals vorgestellt, daß ich imstande wäre, mit irgendeinem weiblichen Wesen zu sprechen … «

      »Wieso? Ist es wirklich wahr?«

      »Ja. Wenn mein Arm zittert, so kommt es nur daher, weil er noch niemals von einer so hübschen kleinen Hand umfaßt wurde, wie von der Ihrigen. Ich habe gänzlich verlernt, mit Damen zu sprechen. Das heißt: ich habe es auch niemals gekonnt. Ich bin ja ganz einsam … Ich weiß sogar nicht, wie ich zu Ihnen sprechen soll. Ich weiß im Augenblick auch nicht, ob ich nicht soeben eine Dummheit gesagt habe? Sagen Sie es mir, bitte, geradeaus: ich bin nicht im mindesten empfindlich … «

      »Nein, nein, ganz im Gegenteil. Und wenn Sie schon verlangen, daß ich aufrichtig sprechen soll, so will ich Ihnen sagen, daß uns Frauen diese Schüchternheit gut gefällt. Und wenn Sie noch mehr wissen wollen: sie gefällt auch mir, und ich will Sie nicht von mir jagen, bis ich vor meinem Hause angelangt bin.«

      »Sie werden damit erreichen,« begann ich, vor Entzücken kaum atmend, »daß ich meine Schüchternheit aufgebe und somit auch meine einzige Waffe aus der Hand lege … «

      »Waffe? Was für eine Waffe und zu welchem Zweck? Das gefällt mir schon gar nicht.«

      »Verzeihen Sie! Ich tu's nicht wieder, es kam mir so ganz unwillkürlich von den Lippen. Wie können Sie auch erwarten, daß ich in einem solchen Augenblick gar keinen Wunsch habe … «

      »Den Wunsch, mir zu gefallen, nicht wahr?«

      »Ja, ja … Seien Sie doch um Himmels willen gut zu mir! Vergessen Sie nicht, mit wem Sie es zu tun haben: ich bin ja schon sechsundzwanzig Jahre alt und habe noch gar keine Bekanntschaften. Wie kann ich da vernünftig, gewandt und klug sprechen? Es ist auch für Sie vorteilhafter, wenn ich ganz offen spreche … Ich kann nicht schweigen, wenn mein Herz aus mir spricht. Nun, es ist ja gleich … Glauben Sie mir: ich hatte noch niemals eine Frau in meiner Nähe, niemals, niemals … Keine einzige Bekanntschaft! Und ich sehnte mich tagtäglich nur danach, endlich einmal jemandem zu begegnen. O, wenn Sie wüßten, wie oft ich schon auf diese Weise verliebt gewesen bin! … «

      »Wieso? … Und in wen?«

      »In niemand bestimmten, in ein Ideal, in die, die ich gerade im Traum sah. In meinen Gedanken spinne ich ganze Romane aus … O, Sie kennen mich noch nicht! Natürlich habe ich ja auch zwei oder drei Frauen gekannt: wie wäre es auch anders möglich! Doch was waren das für Frauen? Lauter sogenannte gute Hausfrauen … Sie werden sicher lachen: ich will Ihnen gestehen, daß mir schon einigemal der Gedanke kam, irgendeine aristokratische Dame auf der Straße, natürlich wenn sie allein ist, anzusprechen, selbstverständlich ganz nüchtern, ehrerbietig und leidenschaftlich; ihr zu sagen, daß ich in meiner Einsamkeit zugrunde gehe, daß sie mich nicht von sich jagen solle, daß


Скачать книгу